Von Alexander
Mittwoch, 27. Februar 2019

Hier fehlt noch ein megageiler Slogan, der die Startup-Szene im Ruhrgebiet perfekt beschreibt

Mit dem Slogan "Laptop und Lederhosen" schaffte Bayern den Sprung zum IT-Standort. Berlin war jahrelang "arm, aber sexy" und drückte damit auch das Gefühl vieler Menschen, die sich selbst verwirklichen wollen, aus. Das Ruhrgebiet labt sich unterdessen am Blick in die Vergangenheit und verspielt vielleicht deswegen seine Zukunft.

Wenn über das Ruhrgebiet geredet und insbesondere geschrieben wird, dann meist über die Vergangenheit. Ein typischer Artikel über die Region, in der ich aufgewachsen bin, bemüht Bilder, Begriffe und Wortspiele mit der industriellen Vergangenheit. Es ist im Zusammenhang mit dem Ruhrgebiet immer von Kohle, Bergleuten, Bodenschätzen, Kumpeln, Fördertürmen, Halden, Zechen, Malochern und vor allem vom Strukturwandel die Rede. Wobei der Strukturwandel im Revier, im Pott, im einstigen Land der Schlote (um noch mehr Klischees zu bedienen) schon vor mehreren Jahrzehnten begonnen hat. Wenn die Tagesschau im Jahre 2018 im Zusammenhang mit dem Ruhrgebiet die Frage “Was kommt nach der Kohle?” in den Raum wirft, dann empfinden das einige Menschen im Revier schon fast als Beleidigung. Denn das Ruhrgebiet ist schon lange viel viel mehr als Kohle, Eisen und Stahl.

Fakt ist: Das Bergwerk Prosper-Haniel im wunderschönen Bottrop (meiner Heimatstadt) war zuletzt – seit der Schließung der Zeche Auguste Victoria 2015 – das letzte aktive Steinkohlen-Bergwerk im Ruhrgebiet. Das Bergwerk, dessen älterer Teil ganz in der Nähe meines Elternhauses steht, wurde am 21. Dezember 2018 für immer geschlossen. Bereits zuvor am 14. September wurde die letzte Kohle im Regelbetrieb gewonnen. Das Kapitel Bergbau zwischen Duisburg und Dortmund ist seitdem definitiv beendet. Es wird damit auch Zeit, den Blick in die Vergangenheit zu beenden. Das Revier muss den Kohlenstaub endlich loswerden, abschütteln! Und mit ihm alle Klischees, die der Rest des Landes mit dem Ruhrgebiet verbindet.

Warum? Der Bergbau hat die Region zwar lange geprägt, Menschen die in den vergangenen 30 bzw. 40 Jahren im Ruhrgebiet groß geworden sind, haben aber zu weiten Teilen seit ihrer Geburt, nichts mehr mit Kohle und Stahl zu schaffen. Mein Großvater war noch unter Tage. Ich selbst habe ihn aber nicht mehr als aktiven Bergmann erlebt. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Der Bergbau war schon während meiner Kindheit in meiner Familie, die zum Großteil (bis auf meine Oma väterlicherseits) nach dem zweiten Weltkrieg im Ruhrgebiet gelandet ist, nur ein Blick in die Vergangenheit.

Ein Blick in die Vergangenheit, an dem sich die ganze Region labte und teilweise noch immer labt. Ein Blick auf die einstigen – angeblichen – glorreichen Zeiten. Mit Vollbeschäftigung, Frauen in Kittelschürzen, kleinen (dreckigen) Zechenhäusern, malochenden Männern, die abends in der Kneipe ein Pilsken trinken, Jungen, die auf der Straße Fußball spielen, großen Unternehmen, bei denen Opa, Vater und Sohn gleichzeitig ihre Brötchen verdienen konnten, und Wäscheleinen, auf denen die weiße Wäsche sofort schwarz wurde.

Dieser ständige Blick zurück auf die industriellen Zeiten mit all ihren Vor- und Nachteilen behinderte im Revier jahrelang nicht nur den Blick in die Zukunft, sondern auch den Blick auf die Gegenwart des einstigen Kohlenpotts. Die alten Zeiten kommen nicht wieder! Insbesondere Großkonzerne, die tausenden Menschen Arbeit geben und ganze Generationen und Städte prägen, sind wenn es diesen Giganten schlecht geht, ein echtes Problem für die jeweiligen Städte und die Menschen, die Arbeit suchen. Der Blick zurück machte viele Menschen in der Region, die Fördertürme meist nur von den Logos diverser regionaler Initiativen kennen, und vor allem im Rest des Landes blind für das tatsächliche, das neue, das moderne Ruhrgebiet. Und dieses moderne Ruhrgebiet ist längst da! Schon lange! Die großen Fördertüme der Vergangenheit haben den Blick auf das neue Ruhrgebiet nur jahrelange verdeckt. Es ist einfach nicht die Zeit für Ruhrstalgie – in Anlehnung an Ostalgie.

Die Zukunft im Ruhrgebiet hat längst begonnen! Seit Jahren wächst und gedeiht im Ruhrgebiet eine junge, umtriebige Startup-Szene. Die ist zwar noch längst nicht mit Berlin, Hamburg oder München zu vergleichen, die Szene zwischen Duisburg und Dortmund muss sich aber auch nicht verstecken. Sie muss nur lauter werden, sich besser vernetzen, sichtbarer werden. Auch die Medien in der Region müssen das Thema viel mehr in den Fokus rücken. Über Startups aus dem Ruhrgebiet wird in regionalen und lokalen Berliner Zeitungen und Magazinen sowie in den großen Wirtschaftsmagazinen häufiger berichtet als in der Region selbst. Die Städte im Revier wiederum müssen ihre Stadtgrenzen einfach mal vergessen. Startups sind in vielen Fällen nicht wirklich an Orte gebunden, die Mitarbeiter oftmals auch nicht. Bochumer gründen ihre Firmen in Essen und geben Menschen aus vielen Städten Arbeit. Die Szene lebt und liebt diese Freiheit. Die großen Unternehmen in der Region wiederum, die teilweise schon recht aktiv in der Szene unterwegs sind, müssen ihre Türen noch mehr für Startups öffnen. Und: Die Investoren im Lande, die sich auf jeder Mini-Veranstaltung in Berlin die Füße komplett platt treten, müssen öfter mal in den ICE nach Dortmund, Bochum oder Essen steigen.

Im Ruhrgebiet gibt es Startups und Grownups wie Urlaubsguru, GastroHero, Masterplan.com, Pottsalat, Bauduu oder Myster.de zu entdecken. Anders als in Berlin, wo große B2C-Grownups wie zalando, Home24 oder Delivery Hero beheimatet sind, kann das Ruhrgebiet aber insbesondere B2B! Ein Thema, auf das immer mehr Geldgeber total abfahren. Entlang von Emscher und Ruhr kümmern sich unzählige Firmen um Zukunftsthemen wie IndustrialTech, Cybersecurity oder Internet of Things (IoT). Alleine Bochum kann bereits heute mit einer stattlichen Szene rund um das extrem wichtige Thema Cybersecurity wuchern. In Duisburg ist mit dem startport längst ein Hub für das megawichtige Thema Logistik entstanden. Und auch der erfolgreiche Geldgeber Tengelmann Ventures (TEV) ist im Revier zu Hause und engagiert sich inzwischen auch stark für die eigene Heimat. Und auch der Initiativkreis Ruhr treibt mit der Gründerallianz Ruhr die Startuppierung der Region voran. Mit dem Data Hub etwa bringt die Gründerallianz Startups, die sich mit Daten beschäftigen und Großunternehmen zusammen.  Wahrgenommen wird dies alles im Rest des Landes kaum bzw. viel zu wenig. Andere Regionen sind einfach lauter, vermarkten sich besser.

Wer das Startup-Ruhrgebiet in seiner ganzen Breite kennen lernen möchte, sollte mal beim Ruhr:Hub in Essen, den ich als Netzwerker unterstütze, reinschauen. Seit Ende 2016 fördert das Ruhr:Hub-Team die Gründerkultur im Pott, vernetzt die Szene, macht diese sichtbar und veranstaltet grandiose Events wie die Startup Nights (SUN). Ein tolles Beispiel wie die Unternehmen und Startups in der Region zusammenarbeiten ist auch das Event Beyond Conventions. Ein Format, bei dem sogar stille Unternehmen wie Aldi Süd mitmachen. Ansonsten sollte man im Oktober zum phänomenalen RuhrSummit kommen. Mit zuletzt 4.500 Besuchern ist der RuhrSummit eines der größten Startup-Events im Lande überhaupt. Einen guten Überblick über die gesamte Region bietet der Startup Guide Ruhrgebiet.

Was dem Ruhrgebiet noch fehlt ist ein Slogan. Ein Slogan, der das moderne Ruhrgebiet perfekt beschreibt. Ein Slogan wie “arm, aber sexy”, der Berlin jahrelang geprägt hat. Viel wichtiger aber ist, dass das ganze Revier die Vergangenheit abschüttelt, den Kopf hebt und die Gegenwart wahrnimmt. Denn: Die Zukunft im Ruhrgebiet hat längst begonnen! Die Zukunft im Revier sind viele kleine, mittlere und große Startups. Viele kleine, mittlere und große Firmen, die anderen Menschen zeigen, dass Unternehmertum eine Möglichkeit ist, sich selbst zu verwirklichen. Viele kleine, mittlere und große Unternehmen, die den Menschen im Ruhrgebiet Arbeitsplätze bieten. Einfach viele, viele Gründungen, die zeigen, dass das Revier mehr zu bieten hat als die Vergangenheit.

Der digitale Pott kocht – #Ruhrgebiet


Mit hunderten Startups, zahlreichen Gründerzentren und -initativen, diversen Investoren sowie dutzenden Startup-Events bietet das Ruhrgebiet ein spannendes Ökosystem für Gründer. ds, die Gründerallianz Ruhr und der ruhr:HUB berichten gemeinsam über die Digitalaktivitäten im Revier.

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Foto (oben): Shutterstock