#Gastbeitrag
Die gefährlichsten Irr-Glauben in der Finanzplanung – Warum so viele Finanzpläne für die Tonne sind
Wenn man Gründer fragt, warum sie denken, dass sie einen Finanzplan machen sollen, erhält man meistens Antworten wie „Um eine bessere Übersicht zu haben“ oder „Um den Break-Even prognostizieren zu können“. Schaut man sich dann diese Finanzpläne an, drängt sich der Eindruck von willkürlich in Excel-Tabellen gepresste Zahlen auf – wie das zu mehr Übersicht oder gar Prognosen wichtiger Meilensteine verhelfen soll, bleibt wohl das Geheimnis der Ersteller. Und fragt man sie, was der Trigger für die Erstellung des Finanzplans war, erhält man häufig die Finanzierungsrunde, die Kreditbeantragung oder die Teilnahme an einem Business Plan-Wettbewerb als Antwort – also auf Verlangen von jemand anderem, der mit (normalerweise finanziellen) Ressourcen winkt.
Der Finanzplan als eine Hausarbeit zum Finanzierungsziel? Das würde zumindest die schlechte Qualität der meisten Finanzpläne erklären. Denn über die Jahre haben sich einige Praktiken eingebürgert, die es zwar vermeintlich einfach machen, einen Finanzplan zu erstellen, gleichzeitig das Ergebnis aber zur Wertlosigkeit verdammen. Das ist nicht nur schade um die Zeit, sondern auch gefährlich, da diese oft monströsen Excel-Monolithen gerne als Grundlage von Beteiligungs- oder Kreditverträgen herangezogen werden: die Nicht-Erreichung bestimmter finanzieller Meilensteine kann zur Verweigerung der nächsten Auszahlung und damit im schlimmsten Fall zur Insolvenz des Unternehmens führen. Zu den am weitesten verbreiteten falschen Praktiken gehören nicht hergeleitete Umsätze, die Berechnung der Umsätze aus angestrebten Marktanteilen oder das ignorieren benötigter Lernzeit.
Umsätze, die vom Himmel fallen
Viele Finanzpläne starten mit den Umsätzen, die auch nicht auf einem gesonderten Blatt näher erklärt werden, sondern eben einfach vom Himmel fallen. Leider sind auch immer noch viele Vorlagen von Banken und Business Plan-Wettbewerben so gestaltet, so dass man den Eindruck gewinnen könnte, Umsätze müssen halt geschätzt werden. Aber das kann nur daneben gehen. Spätestens seit dem Online Marketing und der Prägung des Begriffs „Customer Acquisition Costs“ (CAC) sollte jedem Unternehmer klar sein, dass jeder Kunde zunächst einmal Geld kostet. Egal, ob sich die Abhängigkeit der Umsätze von einem klaren Online Marketing-Kanal oder einem komplexen B2B-Vertriebsvorgang herstellen lässt – sie lässt sich herstellen. Nur, wenn man den Weg des Kunden von der ersten Gewinnung seiner Aufmerksamkeit bis zum Kauf (und darüber hinaus) sauber modelliert und die entsprechenden Kosten aufträgt kann man schließlich Umsätze ableiten, die halbwegs realistisch sind. Als Bonus obendrauf kann man dann im Finanzplan auch noch leicht die CAC ablesen, was einem bei Investoren zumindest Sympathiepunkte einbringen kann, für die eigene Unternehmenssteuerung aber essentiell ist.
Wenn wir nur 1% Marktanteil erreichen…
Eine der am weitesten verbreiteten Unarten unter Gründern ist die Ableitung der Umsätze aus einem wie auch immer ermittelten angestrebten Marktanteil. Das äußert sich dann im Pitch z.B. so: „Unser adressierbarer Markt ist 2 Milliarden € groß, wenn wir bis 2020 nur einen Marktanteil von 1% erreichen, machen wir einen Umsatz von 20 Millionen €“.
Nicht nur, dass dieser Marktanteil auch wieder vom Himmel fällt, man könnte sich also die ganze Arbeit nach derselben Begründung wie oben sparen. Viel schlimmer ist aber, dass diese Konstruktion mit nur zwei Fragen und einer simplen Rechnung auseinander genommen werden kann, und man steht ziemlich blöd da. Wie viel Kunden entsprechen denn einem solchen Jahresumsatz? Und welche CAC sind markt-/branchenüblich? Nimmt man nun für die erste Frage an, dass ein Kunde in unserem Beispiel 200 € Umsatz bedeutet, wären also 100.000 Kunden notwendig, um den erstrebten Umsatz zu erreichen. Nehmen wir für die CAC, also die Antwort auf die zweite Frage, hier einmal ein offensichtlich günstiges Verhältnis von 100 € an. Multipliziert man nun die Anzahl der Kunden mit den CAC, erhält man ein Marketing-Budget von 10 Millionen €, was die wenigsten Startups zur Verfügung haben. Zwar kann man argumentieren, dass ein Teil wieder aus den laufenden Umsätzen stammen kann, aber wenn man dies in einem richtigen Finanzplan versucht darzustellen, stößt man schnell an Grenzen. Denn mit steigendem Marketing-Budget und Kundenzahl steigen auch die Kosten. Zudem sollte man kritisch prüfen, welche Steigerung des Marketing-Budgets überhaupt realistisch umsetzbar ist und ob die nötige Anzahl Kunden weiterhin zu den gleichen CAC gewonnen werden kann. Aber das sind schon fast Details, zu denen man gegenüber Investoren oft gar nicht kommt, wenn man ihnen einen solchen Ansatz präsentiert…
Das ignorieren sämtlicher Lernkosten
So viele Anhänger wie es vom „Lean Startup“-Prinzip gibt, so wenig schlagen sich Eric Ries’ Methoden in den Finanzplänen nieder. Denn selbst die wenigen, die saubere Zusammenhänge herstellen und CAC ausweisen, scheinen spätestens dann völlig vergessen zu haben, dass es utopisch ist, von vorneherein mit den bekannten Benchmarks des Marktes und der Konkurrenz zu planen. So braucht es fast immer mehrere Iterationen, bis man die ursprünglich geplanten CAC – zum Markteintritt und vor allem vor einem Product-Market-Fit – erreichen kann. Entsprechend geringer fallen auch die Umsätze aus, was die wenigsten auf dem Schirm haben. Ebenso könnten sich bestimmte Investitionen in dieser Zeit noch nicht lohnen, wenn man sich dessen bewusst ist. Es lohnt sich also, die „Lean Startup“-Kernaussagen auch bei der Finanzplanung im Kopf zu haben. Ein richtig guter Finanzplan begleitet sogar die Build-Measure-Learn-Zyklen und liefert schnelle Antworten auf die Frage, woran es denn gelegen haben kann.
Woher die fehlgeleiteten Praktiken in der Erstellung von Finanzplänen kommen, ist heute wohl nicht mehr feststellbar, fest steht aber, dass sie zu völlig aussagelosen Umsatzzahlen führen, die als Grundlage von Finanzierungsverträgen sogar denkbar schlechteste Auswirkungen haben können. Auch der Ruf von Finanzplänen als komplexe, schwierig und zeitaufwändig zu erstellende Zahlen-Monster war hier sicherlich nicht ohne Einfluss. Wenn man sich allerdings vor Augen führt, dass die Grundrechenarten und ein einigermaßen logisches Denkvermögen die grundlegenden Kompetenzen zur Erstellung eines Finanzplanes sind, der die realen Zusammenhänge abbildet, verliert diese Arbeit doch vielleicht einen Teil ihres Schreckens. Belohnt wird man jedenfalls mit einem Finanzplan, der nicht nur Plan, sondern auch Simulationsinstrument und Controlling-Tool ist und am Ende vielleicht wirklich hilft, zum Break-Even zu kommen.
Zur Autorin
Ruth Cremer ist Mathematikerin und Beraterin sowie Hochschuldozentin im Bereich Geschäftsmodelle, Kennzahlen und Finanzplanung. Als ehemaliger Investment Manager weiß Sie, worauf Investoren achten und hilft bei Pitch- und Dokumentenvorbereitung auch im Investment- oder Akquisitionsprozess. In der aktuellen fünften Staffel von “Die Höhle der Löwen” war sie als externe Beraterin in die Auswahl und Vorbereitung der Kandidaten involviert.
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