Gastbeitrag
Berlin als Fintech-Zentrum? Infrastruktur als Problem!
Berlin ist bestens bekannt für seine alternative Kulturszene und kreative Industrien. Dabei wird oft vergessen, dass sich die deutsche Hauptstadt in den letzten Jahren als einer der führenden Technologiestandorte Europas etabliert hat. Auch die Fintech-Szene boomt in Berlin. Wird die Spree-Metropole nun bald London als Europas Fintech-Zentrum ablösen? Das wird wohl – wenn überhaupt – noch einige Jahre dauern.
Zwar gibt es viele Standortfaktoren, die für Berlin sprechen – das Startup-freundliche Umfeld; die Verfügbarkeit qualifizierter, internationaler Mitarbeiter; kein Kopfzerbrechen über den nahenden Brexit. Diesen stehen allerdings einige gravierende Nachteile gegenüber, wie etwa die mangelnde Finanzinfrastruktur und die teils strikte Regulierung.
Aber egal ob man Berlin oder andere Städte betrachtet – welche Faktoren begünstigen denn nun das Wachstum der Fintech-Branche? Aus meiner eigenen Erfahrung als Gründer gibt es vier Standortfaktoren, die für den Erfolg eines Fintechs entscheidend sind: das finanzielle Ökosystem, das regulatorische Umfeld, der Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften, und die Kosten der Unternehmensführung.
Florierende Startup-Szene, aber wenig Finanzinfrastruktur
In Deutschland belegt Berlin als Fintech-Standort klar die Spitzenposition – ein Drittel aller deutschen Fintechs haben sich in der Hauptstadt niedergelassen. Und die Berliner Startup-Branche wächst kräftig weiter. Im ersten Halbjahr 2017 beliefen sich die Investition auf 1,5 Milliarden Euro, ein Plus von 177 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2016. Die hohe Konzentration an Startups und der internationale Talentpool machen Berlin zu einem attraktiven Ort für Fintech-Gründer.
Allerdings sind in der Hauptstadt kaum Banken und Großkonzerne angesiedelt. Und während Berlin durch Technologie-Expertise glänzt, konzentriert sich die Finanz-Expertise (noch) in Frankfurt und München. Das macht es schwieriger für Berliner Startups, sich vor Ort mit etablierten Unternehmen auszutauschen und relevante Kontakte zu knüpfen. Denn der weltweite Trend geht zur Kollaboration: mehr und mehr Fintechs arbeiten mit traditionellen Finanzinstituten zusammen und bringen so ihre innovativen Produkte auf den Massenmarkt.
Es gibt mittlerweile Initiativen hier in Berlin wie beispielsweise die Kooperation von Deutscher Bank und Axel Springer Plug & Play, die darauf abzielt junge Technologieunternehmen im Banken- und Versicherungsbereich zu fördern. Diese könnten dazu beitragen, die geografische Lücke zwischen Berlin und Deutschlands traditioneller Finanzmetropole, Frankfurt zu schließen. Dafür müssten aber weit mehr Banken und Finanzdienstleister hier vor Ort aktiv werden.
Regulierung als Markteintrittsbarriere
In Deutschland sehen sich Fintechs teils mit hohen Markteintrittsbarrieren konfrontiert. Eine berechtigterweise primär auf Verbraucherschutz ausgerichtete Regulierung macht es jungen (und etablierten) Unternehmen allerdings oft schwer, neue Ideen und Konzepte auf den Markt zu bringen.
Regulierung ist unverzichtbar, um die Stabilität und die Glaubwürdigkeit der Finanzindustrie zu stärken und die Interessen der Verbraucher zu schützen. Allerdings können zu viel Bürokratie und zu strikte Reglementierungen Startups schnell ausbremsen und Innovationen verlangsamen oder sogar unmöglich machen.
Kluge Regulierung sollte dazu beitragen, Verbraucherinteressen und Stabilität zu wahren und dabei gleichzeitig Angebotsvielfalt und Innovation fördern. Dass dieser Spagat gelingen kann, zeigt die britische Finanzaufsicht (Financial Conduct Authority, FCA). Aus unserer Sicht – und dies ist vielleicht typisch britisch – setzt die FCA bei der Regulierung der Kreditmärkte wo möglich auf pragmatische Lösungen, die durchaus hilfreich für kontinentaleuropäische Ansätze sein könnten. Gleichzeitig ist aber auch die BaFin über Konzepte wie etwa die Veröffentlichung diverser Leitfäden darum bemüht, den Marktteilnehmern bei der Umsetzung der Regulierung unterstützend zur Seite zu stehen.
Berlin bleibt Anziehungspunkt für Talente aus dem In- und Ausland
Der Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte in der Fintech-Branche hat sich in den letzten Jahren zunehmend verschärft. Eine Studie der Recruiting-Webseite Indeed ergab, dass 20 Prozent der Top-Fintech-Stellen nach 60 Tagen noch nicht besetzt sind.
Was die Personalbeschaffung betrifft, bietet Berlin viele Vorteile. Die Lebenshaltungskosten sind günstiger als in den meisten europäischen Hauptstädten, das Kultur- und Freizeitangebot ist riesig und die lokale Startup-Szene floriert. Das bringt viele junge Menschen mit digitalem Know-How aus dem In- und Ausland in die Stadt.
Schwieriger gestaltet sich die Suche nach Mitarbeitern mit finanzieller Expertise. Die Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Banken und Finanzdienstleister ihren Hauptsitz in Frankfurt oder München haben, erschwert wie oben beschrieben nicht nur das Networking sondern auch den Zugang zu Arbeitskräften mit Finanz-Know-How.
Günstige Standortkosten
Einen klaren Vorteil verbucht Berlin bei den Büromieten, die deutlich niedriger sind als beispielsweise in London, New York oder Paris, was sich positiv auf die Standortkosten auswirkt. Das reiche Angebot an Coworking-Spaces bietet zudem günstige Alternativen zum traditionellen Büro und fördert die Zusammenarbeit und Innovation in der Stadt.
Darüber hinaus sind die Visakosten für Nicht-EU-Bürger in Deutschland relativ erschwinglich: ein deutsches Arbeitsvisum kostet pro Mitarbeiter 60€, verglichen mit beispielsweise 477€ in Großbritannien.
Fazit? Es gibt noch Spielraum nach oben
Berlin muss sich als Fintech-Standort vor der internationalen Konkurrenz keineswegs verstecken. Das komplexe regulatorische Umfeld kann zugegebenermaßen abschreckend wirken. Doch in der Summe finden Gründer hier gute Startbedingungen, internationales Talent und ein inspirierendes Umfeld. Damit Berlin London seine Spitzenposition als führender europäischer ‘Fintech-Hub’ streitig machen kann, muss aber vor allem die Finanzinfrastruktur der Stadt weiter verbessert werden.
Über den Autor
Jens Woloszczak ist Gründer und CEO von Spotcap.
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