Internet und Mobilfunk helfen Afrika mehr als Entwicklungshilfe
Kein Kontinent verführt Beobachter so sehr zu verzerrten Wahrnehmungen wie Afrika. Im Mai 2000 machte die renommierte Zeitschrift „The Economist“ ihre Titelseite mit der Headline auf: „The hopeless continent“. Auf dem Cover zeigte das Magazin einen schwer bewaffneten Afrikaner. Fast zwölf Jahre später, im Dezember 2011, war Afrika wieder das Titelthema des „Economist“. Diesmal ließ auf der Titelseite ein Afrikaner einen Drachen steigen, und die Überschrift lautete: „Africa rising“. Der Chefredakteur der Zeitschrift musste zugeben: „Leute haben mir ausgiebig verdeutlicht, dass sie einen guten Schnitt gemacht hätten, wenn sie an dem Tag, als wir Afrika zum ‚hoffnungslosen Kontinent’ erklärten, in einen Korb von afrikanischen Aktien investiert hätten.“ Und in der Tat: Wer etwa 2012 in den Aktienindex NSE All Share Kenia investierte, hatte fünf Jahre später sein Geld verdoppelt.
Wenn wir an Afrika denken, haben wir andere Bilder im Kopf – glückliche Tiere oder leidende Menschen. „Afrikaner, die keine Tiere, Despoten oder Nelson Mandela sind, werden nur gezeigt, wie sie unter Armut, Krieg und Krankheit leiden. Erinnern Sie sich an die letzten beiden Filme mit Afrikanern, die Sie gesehen haben, dann wissen Sie, was ich meine“, schreibt der Afrika-Spezialist Jonathan Berman in seinem Buch „Success in Africa“. Popsänger, die sich in ihren Konzerten für Afrika engagieren, haben dazu beigetragen, dass sich dieses zwar nicht falsche, aber doch sehr einseitige Bild Afrikas in unseren Köpfen verfestigt hat. Sie forderten ebenso wie linke Globalisierungskritiker, dass die reichen Länder mehr Geld Entwicklungshilfe nach Afrika geben sollen. Damit sollen die Probleme des Kontinents gelöst werden.
Entwicklungshilfe klingt moralisch gut und für manche ist sie – fast im religiösen Sinne – eine Art Wiedergutmachung für die Sünden des Kolonialismus und der „Ausbeutung der Dritten Welt“ durch die kapitalistischen Länder. Aber bewirkt sie das, was sich die Befürworter davon erhoffen? Abdoulaye Wade, 2000 bis 2012 Präsident von Senegal, äußerte in einem Interview: „Ich habe noch nie erlebt, dass sich ein Land durch Entwicklungshilfe oder Kredite entwickelt hat. Länder, die sich entwickelt haben – in Europa, in Amerika; oder auch in Japan oder asiatische Länder wie Taiwan, Korea und Singapur -, haben alle an den freien Markt geglaubt. Das ist kein Geheimnis. Afrika hat nach der Unabhängigkeit den falschen Weg gewählt.“ In der Tat wählte Afrika einen anderen Weg. Nach dem Ende der Kolonialzeit bekannten sich fast alle afrikanischen Länder zu irgendeiner Form des Sozialismus.
Dambisa Moyo, die in Sambia geboren wurde, in Harvard studierte und in Oxford promoviert wurde, hat in ihrem Buch „Dead Aid“ die Entwicklungshilfe der reichen Länder als eine weitere Ursache für die Not auf dem Kontinent identifiziert. In den vergangenen 50 Jahren, schrieb Moyo 2009, wurde im Rahmen der Entwicklungshilfe über eine Billion Dollar an Hilfsleistungen von den reichen Ländern nach Afrika überwiesen. „Doch geht es den Afrikanern durch die mehr als eine Billion Dollar Entwicklungshilfe, die in den letzten Jahrzehnten gezahlt wurden, tatsächlich besser? Nein, im Gegenteil: Den Empfängern der Hilfsleistungen geht es wesentlich schlechter. Entwicklungshilfe hat dazu beigetragen, dass die Armen noch ärmer wurden und dass sich das Wachstum verlangsamte… Die Vorstellung, Entwicklungshilfe könne systemische Armut mindern und habe dies bereits getan, ist ein Mythos. Millionen Afrikaner sind heute ärmer – nicht trotz, sondern aufgrund der Entwicklungshilfe.“
Afrika im Wandel: Internet und Mobilfunk
Doch es gibt auch Zeichen der Hoffnung. Zu Beginn des Jahrtausends profitierte Afrika wirtschaftlich stark von den steigenden Rohstoffpreisen, doch als sie dann wieder sanken, wurde allen klar, dass dieses Wachstum nicht nachhaltig ist. In seiner Bedeutung unterschätzt wird häufig, was die Kombination aus Internet und Mobilfunk in afrikanischen Ländern bewirkt hat, beispielsweise in Kenia. M-Pesa, eine neue Art von Handy-Banking, das der Mobilfunkkonzern Safaricom einführte, revolutionierte von Grund auf die kenianische Wirtschaft. Auf einmal konnten die vielen Millionen Kenianer, die den kenianischen Banken zu arm waren, Geld versenden und bargeldlos bezahlen.
M-Pesa basiert darauf, dass eine Mobilfunkrechnung im Prinzip nicht anders funktioniert als ein Bankkonto: Bei einem Prepaid-Vertrag zahlt der Nutzer Guthaben ein und bekommt dann die Telefongebühren abgebucht, bis sein Guthaben aufgebraucht ist. Aber warum soll ein Mobilfunknutzer nur so viel einzahlen dürfen, wie er für seine Telefonate und SMS benötigt? Ausgehend von dieser Überlegung ermöglicht M-Pesa die Einzahlung von Guthaben, das dann per SMS anderen Mobilfunknutzern gutgeschrieben wird.
Viele kenianische Familienväter arbeiten in Nairobi und bleiben dort, je nach Auftragslage, eine Woche, zwei oder auch einen Monat. Wollten sie ihrer Familie, die meist auf dem Land lebt, vor der Einführung von M-Pesa Geld schicken, mussten sie einem Fahrer der unzähligen Kleinbusse im Land einen Briefumschlag geben und eine saftige Gebühr bezahlen, damit ein Familienmitglied an einem vereinbarten Haltepunkt den Briefumschlag in Empfang nehmen konnte. Dieses System war zwar zuverlässig, aber teuer und umständlich. Dank M-Pesa kostet eine Überweisung einen Bruchteil und ist in Sekundenbruchteilen erledigt.
Inzwischen werden über M-Pesa nicht nur Miete, Stromrechnungen und Steuern bezahlt, sondern auch Aktiengeschäfte und sogar der Abschluss von Versicherungen abgewickelt. M-Pesa setzte Kaufkraft frei, was der Bevölkerung den Kauf von Handys, den Abschluss von ersten, einfachen Krankenversicherungen, den Erwerb von Medikamenten und vielen anderen Haushaltsdingen ermöglichte. Einer Schätzung zufolge hat M-Pesa immerhin zwei Prozent der kenianischen Bevölkerung aus der ärmsten Armut herausgeholfen. Heute werden mehr als 40 Prozent der kenianischen Wirtschaftsleistung über M-Pesa und vergleichbare Firmen abgewickelt.
Start-Up-Revolution in Afrika
Vor allem aber hat die Verbindung von Internet und Mobilfunk einen Gründerboom sondergleichen ausgelöst. Überall in Nairobi entstehen Start-Up-Zentren wie 88mph, in denen die Apps der Zukunft für den gesamten afrikanischen Kontinent entwickelt werden. Während europäische Unternehmer noch an Websites für Laptop oder Desktop hängen, haben afrikanische Unternehmer längst die Zukunft für sich entdeckt und wenden sich hauptsächlich an mobile Internetnutzer. Websites gehören in Kenia weitgehend der Vergangenheit an. Heute zählen Apps. Rund um diese Gründerzentren in Kenia haben sich Start-Up-Finanziers, Venture-Capital-Funds und zahlreiche andere Dienstleister entwickelt. Und dieser Gründerboom ist stabiler als eine Wirtschaft, die vor allem auf dem Reichtum an Rohstoffen basiert.
Es wäre also falsch, positive Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent nur auf die gestiegenen Rohstoffpreise zurückzuführen. Dank Internet und Mobilfunk nahm der Durchgriff des Staates auf viele Branchen ab. Dadurch konnten sich Unternehmer etablieren, die nicht mehr nur vom Wohlwollen des Staates abhängig waren oder von direkten Beziehungen zur Politik profitierten. Es entstand eine selbstbewusste Klasse afrikanischer Unternehmer. Zu ihnen gehört der 1946 im Sudan geborene Mo Ibrahim, der in Afrika zu einer Legende wurde. Er war maßgeblich an der Entwicklung des Mobilfunks auf dem Kontinent beteiligt und damit an der wohl größten Umwälzung seit dem Ende des Kolonialismus. Er hatte in England promoviert und war dort beim Aufbau der mobilen Kommunikation von British Telecom beteiligt. Ibrahim schlug dem Unternehmen den Aufbau eines Mobilnetzes in Afrika vor, doch British Telecom erkannte diese einmalige Chance nicht, was sich im Nachhinein als das größte Glück für ihn herausstellte. 1989 verließ er das Unternehmen und gründete zunächst die Beratungsgesellschaft MSI (Mobile Systems International), die er im Jahr 2000 für 900 Millionen Dollar an das britische Unternehmen Marconi Company verkaufte. Zuvor hatte er eine Mobilfunkgesellschaft, die Celtel International, von dem Unternehmen abgespalten, mit der es ihm gelang, die milliardenschwere Finanzierung des Mobil-Netzwerkes in Afrika zu stemmen. Sein Unternehmen expandierte schon bald nach Nigeria, Kenia, Uganda, Tansania, Malawi, Sambia, die DR Kongo, Kongo-Brazzaville, Tschad, Niger, Burkina Faso, Sierra Leone, Gabun, Madagaskar und – unter anderem Markennamen – nach Ghana und Sudan. Im Jahr 2005 verkaufte er sein Unternehmen für 3,4 Milliarden Dollar an das kuwaitische Konkurrenzunternehmen Zain, das einige Jahre später für sein gesamtes Afrika-Geschäft 10,7 Milliarden Dollar bekam.
Gerade der Mobilfunkmarkt ist ein Beispiel dafür, dass wir in Europa und Amerika die Entwicklung in Afrika nicht richtig wahrnehmen. Die Penetrationsrate für Mobilfunkteilnehmer (d.h. die Zahl der Mobilfunkanschlüsse pro 100 Einwohner) explodierte in Afrika binnen zehn Jahren von 15,3 Prozent auf 84,9 Prozent (2015), in 14 afrikanischen Ländern lag sie 2014 sogar bei über 100 Prozent. Die praktischen Auswirkungen erläutert ein afrikanischer Unternehmer: Sein Fahrer musste früher drei oder vier Tage Zeit verbringen, um Geld zu seiner Familie nach Hause zu bringen, heute erledigt er das per SMS. Früher mussten die Gemüseverkäuferinnen von Haus zu Haus gehen und fragen, wer welches Gemüse haben wollte. Heute nehmen sie die Bestellungen mit dem Mobiltelefon entgegen und die Kunden zahlen auch mit dem Mobiltelefon. Auch das ist heute Afrika.
Als das Umfrageinstitut TNS im Auftrag der Europäischen Kommission europaweit fragte, welche positiven Bilder den Menschen zu Afrika einfallen, nannte jeder Dritte die Reservate, jeder Vierte die Schönheit von Natur und Landschaften. Ein Prozent dachte an neue Geschäftsmodelle wie etwa Bankgeschäfte per Mobiltelefon und zwei Prozent dachten an Unternehmergeist. Die andere Seite: Der nigerianische Investmentbanker und Unternehmer Tony Elumelu hat eine Stiftung gegründet, die einen jährlichen Preis für Existenzgründer unter 30 Jahren auslobt. Zuletzt bewarben sich mehr als 45.000 Unternehmer aus allen 54 afrikanischen Ländern, 1.000 von ihnen kamen in die engere Wahl.
Bono: Afrika braucht mehr Kapitalismus
Es gibt also diese positiven Entwicklungen. Dass Afrika aber noch nicht weiter ist, liegt an den vielen Hemmnissen. Während es beispielsweise in Deutschland laut offiziellen Vergleichszahlen der Weltbank zehn Tage dauert, um ein Unternehmen zu gründen, benötigt man in Angola 36 Tage, in Nigeria 31 Tage und in Südafrika 46 Tage. Übrigens: In dem bereits erwähnten Ruanda, das sich durch eine besonders positive Entwicklung auszeichnet, dauert es nur halb so lange wie in Deutschland, nämlich 5,5 Tage. Und: Positiv wiegt, dass sich die Zahl der Tage, die es dauert, ein Unternehmen zu gründen, in einer Dekade erheblich verkürzt hat, in Mosambik waren es 2006 noch unglaubliche 174 Tage, heute sind es nur noch 19 Tage. Und in Sambia reduzierte sich die Zahl im gleichen Zeitraum um 27,5 auf nunmehr nur noch 7,5 Tage. Bemerkenswert ist auch, dass der gesellschaftliche Stellenwert von Unternehmertum in Subsahara-Afrika positiv belegt ist und eine große Akzeptanz in der Bevölkerung erfährt, besonders in Botswana, Ghana und Ruanda.
Die künftige Entwicklung in Afrika ist aus all diesen Gründen ungewiss. Eines ist aber heute schon zu erkennen: Wachstum und Wohlstand finden auch in Afrika unter kapitalistischen Voraussetzungen eher statt als seinerzeit in den Staats- und Planwirtschaften des “afrikanischen Sozialismus”. Nicht in jedem Land führt die Einführung des Kapitalismus zu gleichen Ergebnissen, aber sie ist ein Katalysator für die Mehrung des wirtschaftlichen Wohlstandes.
Das hat inzwischen übrigens auch der U2-Rocksänger Bono erkannt, der früher weltweit die großen Afrika-Festivals organisierte, bei denen der Kapitalismus angeprangert und mehr Entwicklungshilfe als Lösung zur Überwindung von Hunger und Armut in Afrika propagiert wurde. Bono hat sich durch die Tatsachen überzeugen lassen: „Handel und unternehmerischer Kapitalismus befreit mehr Menschen aus der Armut als Hilfe. Afrika muss eine Wirtschaftsmacht werden.“ Bob Geldorf, der die Live-Aid-Konzerte für Afrika mit ins Leben gerufen hatte, gründete zusammen mit Partnern einen Private Equity-Fonds, weil er sah, dass es mehr braucht als nur wohltätige Spenden, damit Afrika seine Probleme löst: Privates Kapital.
Der Gastbeitrag von Rainer Zitelmann ist ein Auszug aus seinem soeben erschienenen Buch: “Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“. Das Buch stellt einen klaren Vergleich der Wirtschaftsysteme dar und bietet dem Leser einen nonkonformistischen Blick auf die Geschichte.
Zitelmann verzichtet dabei auf zu komplizierte Fachsprache und macht es dem Leser leicht seine Gedanken nachzuvollziehen.
Zum Autor
Rainer Zitelmann ist Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologe. Er war Wissenschaftlicher Assistent an der Freien Universität Berlin und Ressortleiter bei der Tageszeitung „Die Welt“, bevor er sich als Unternehmer selbstständig machte. Er hat 21 Bücher geschrieben und herausgegeben, viele davon sind internationale Erfolge. Weit über die Fachwelt hinaus bekannt wurde er durch zahlreiche Fernsehauftritte und Medienberichte.
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