Meinung
Große Koalition: Heimatminister statt Digitalminister
Katerstimmung machte sich am Morgen des 20. November in der deutschen Gründerszene breit. In der Nacht hatte die FDP die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition abgebrochen. Das Jamaika der Favorit der Startups war, hatte bereits der Deutsche Startup Monitor 2017 angekündigt. In der Sonntagsfrage des Monitors gaben 77% der befragten Gründerinnen und Gründer CDU/CSU, FDP und Grünen ihre Stimme. Die Sondierungsergebnisse der vier Parteien bestätigten die Wahl der Gründer. Digitalisierung und Startups waren Schwerpunkte in den Entwürfen des Sondierungspapiers. Der Kontrast zum Sondierungspapier der großen Koalition hätte nicht größer sein können. Kaum Digitalisierungsthemen waren im Papier zu finden und das Wort Startup suchte man vergeblich. Dem Novemberkater folgte Unverständnis und Wut. Auch der Startup-Verband machte seinem Ärger Luft.
Jetzt liegt der Koalitionsvertrag der großen Koalition vor. Wäre er das Termsheet für eine Finanzierungsrunde, die meisten Gründer würden es ziemlich sicher unterschreiben. Der Startup-Verband hatte vor den Koalitionsverhandlungen mit einer zehn Punkte umfassenden Checkliste noch einmal auf die wichtigsten Forderungen an die Politik aufmerksam gemacht. Alle zehn Forderungen finden sich nun im Koalitionsvertrag wieder.
Zu den Highlights gehört der “große nationale Digitalfonds”, der sich aus den “Einlagen institutioneller Anleger” speisen soll. Damit will die Bundesregierung endlich Investitionen von Versicherungsfonds und Pensionskassen in Wagniskapital ermöglichen. Es ist der entscheidende Hebel um dem deutschen Startup-Ökosystem das dringend benötigte Kapital in allen Phasen zuzuführen. Gemeinsam mit dem Tech Growth Fund, der bereits in der letzten Legislaturperiode diskutiert wurde und Startups in der Wachstumsphase Fremdkapital in Form von VentureDebt zur Verfügung stellen sollen stehen damit zwei große Finanzierungsprogramme im auf der ToDo-Liste der neuen Bundesregierung. Bestehende Programme wie der Hightech-Gründerfonds, Invest und das Engagement der KfW sollen wenig überraschend fortgesetzt werden.
Auch jenseits der Startup-Finanzierung ist der Vertrag lesenswert. Ein echter Meilenstein kann das geplante Fachkräfteeinwandungsgesetz werden. Allerdings kann man sich auch fragen, warum dieselben handelnden Politiker nicht in der Lage waren, dieses für die gesamte deutsche Wirtschaft immens wichtige Projekt bereits in der alten Legislaturperiode umzusetzen. Seit dem Brexit sind 1.5 Jahre vergangen. 1.5 Jahre in denen sich Deutschland bereits wesentlich besser als Einwanderungsland für die besten Talente der Welt hätte positionieren können und müssen. Das Einwanderungsgesetz muss jetzt schnell kommen.
Koalitionsverträge gilt es aufmerksam zu lesen. Oft verbergen sich sehr wichtige Punkte in kurzen Sätzen, manchmal nur hinter einzelnen schwer verständlichen Worten. Einer dieser wichtigen Sätze: “Wir werden Hürden für den Gründungsprozess abbauen und prüfen Anpassungen im Insolvenzrecht.” Angesichts von Studien, die belegen, dass 80% der Deutschen aus Angst vor dem Scheitern nicht gründen würden, ist eine Insolvenzrechtsreform der Schritt hin zu mehr Gründungsdynamik im Land.
Ein Begriff, der es in sich hat, ist die “einheitliche europäische Startup-Definition”. Wenn das gelingt verbirgt sich dahinter nicht weniger als der heilige Gral der Startup-Förderung. Warum? Die Europäische Union setzt den Mitgliedsstaaten sehr enge Grenzen, in denen sie einzelne Wirtschaftszweige fördern und bevorzugen dürfen. Wer schon einmal Förderprogramme in Anspruch genommen hat ist garantiert darauf gestoßen, dass diese regelmäßig nur für kleine- und mittlere Unternehmen (KMU) gelten. Genau diese KMU sind heute schon europaweit definiert und können bei Gesetzen und Förderungen bevorzugt werden. Eine europäische Startup-Definition würde gleiches für Startups ermöglichen. Ein Steuervorteil, zum Beispiel mit Blick auf das Anti-Angel-Gesetz, wäre ebenso möglich wie spezielle Erleichterungen im Arbeitsrecht. Die Bundesregierung kann eine solche Definition nicht alleine schaffen. Aber immerhin hat sie sich nun das Ziel gesetzt, eine solche Definition in Brüssel zu verankern.
Insgesamt sind mehr als 20 für Startups- und die Digitalwirtschaft relevante Themen im neuen Koalitionsvertrag. Darunter auch einige, die in Zukunft eine kritischen Würdigung und Beobachtung bedürfen.Ein positives Thema will ich noch erwähnen. Ein Rechtsrahmen für Mitarbeiterbeteiligungen soll geprüft werden. Wer ein solches Mitarbeiterbeteiligungsprogramm in seinem Startup bereits eingeführt hat, der weiß warum wir hier schon lange eine Reform fordern. Wer es bislang vermieden hat, wahrscheinlich auch. Die aktuellen Möglichkeiten Mitarbeiter am Unternehmen zu beteiligen sind hochkompliziert, steuerlich unfair und geprägt von Rechtsunsicherheiten.
Also alles gut? Ist dieser Koalitionsvertrag der Aufbruch in goldene Zeiten für die deutsche Gründerszene? Genau hier liegt das Problem: Der Aufbruch fehlt. Nach Monaten der Diskussion um ein eigenständiges Digitalisierungsministerium oder einen Digitalstaatsminister im Bundeskanzleramt ist die Entscheidung gefallen: Alles bleibt beim Alten. Viel Digitalkompetenz bleibt im Bundeswirtschaftsministerium, etwas im Bundesinnen- und Bundesverkehrsministerium und ein wenig in allen anderen Ressorts. Das kann es nicht sein. Der größten Veränderung der Gegenwart kann man nicht erfolgreich begegnen, indem man nichts ändert. Damit gibt es nach gegenwärtigem Stand auch keine Person, die diesen politischen Aufbruch ins Neuland verkörpert. Ein Chief Digital Officer existiert schlicht nicht.
Was bedeutet dieser Koalitionsvertrag nun für die Startup-Szene? Zuerst: Die Inhalte machen Mut. Nicht alles was im Koalitionsvertrag steht, wird umgesetzt. Und so ist auch die alte Bundesregierung versprochene Maßnahmen schuldig geblieben. Was jedoch nicht darin steht, lässt sich im Laufe einer Legislatur nur sehr schwer realisieren. Deshalb ist der Koalitionsvertrag die neue ToDo-Liste. Der Startup-Verband wird die Umsetzung durch die neue Bundesregierung einfordern, begleiten und dokumentieren.
Die organisatorische Neuaufstellung bleibt hingegen aus. Das Signal ist ein “Weiter so”, und das kann niemand wollen!
Zum Autor
Florian Nöll ist der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Startups.
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