15 Fragen an Madison Bell
“Die besten sind diejenigen, die selbständig arbeiten”
Jeden Freitag beantwortet ein Gründer oder eine Gründerin unseren standardisierten Fragebogen. Der Fragenkatalog lebt von der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Fragen, die alle Gründerinnen und Gründer beantworten müssen – diesmal antwortet Madison Bell, Mitgründerin und Head of Product von Kontist, einer Banking-App für Selbständige. 2016 gründete sie das Unternehmen gemeinsam mit Christopher Plantener, Alexander Baatz und Sebastian Galonska. Zuvor hob Bell, die aus Ohio stammt, das soziale Netzwerk Nextdoor aus der Taufe.
Was bedeutet es Dir, Dein eigener Chef zu sein?
Es geht in Wirklichkeit darum zu verstehen, dass man nicht sein eigener Chef ist, sondern die Wünsche seiner Kunden versorgt. Egal, ob das als Gründer eines Unternehmens wie Kontist ist oder in einer freischaffenden Tätigkeit. Wenn Kunden unzufrieden sind, ist es egal, was du anbietest: Du wirst nicht viel länger im Geschäft sein. Man muss einfallsreich sein und immer die Performance im Auge behalten. Außerdem erkennen, was du ganz besonders gut kannst, all deine Zeit darauf verwenden und den Rest auslagern.
Bei welcher Gelegenheit kam Dir die Idee zu Deinem Start-up?
Die Idee zu Kontist stammt von meinem Mitgründer Chris, den ich in Berlin kennengelernt habe. Ich hatte meine ganze Karriere lang im Silicon Valley gearbeitet. Das war toll, aber ich wollte gerne eine alternative Sichtweise auf die Welt kennenlernen und Berlin schien der richtige Ort zur richtigen Zeit zu sein. Deutschland ist sehr cool in dem Sinne, dass es im Gegensatz zur USA eine Historie der Datenfreiheit im Bankensektor hat. Das ist der Treibstoff für FinTech. Als Chris und ich uns unterhielten, stellten wir fest, dass ich als Freelancer in den USA mit denselben Problemen in der Handhabung meiner Finanzen zu kämpfen gehabt hatte, über die er hier berichtete. Ich weiß noch, wie mein erster Auftraggeber mir sagte, ich könne ihm nicht einfach in einer Email mitteilen, was er mir schuldete: Ich müsste eine ordentliche Rechnung schreiben! Wie jeder Durchschnittsmensch hatte ich keine Ahnung davon, was dazu gehört, als Freelancer zu arbeiten: Rechnungsstellung, Buchführung, Cash Flow Management – ohne die Möglichkeit, sich täglich mit diesen Aufgaben beschäftigen zu können. Ich hatte damals Angst, weil ich nicht wußte, was mir von meinen Einnahmen eigentlich gehörte. Ich habe einfach alles in ein Bankkonto gepackt und es nicht angerührt, bis die Steuer bezahlt war. Glücklicherweise konnte ich mir das leisten, da ich nicht auf diese Einkünfte angewiesen war. Die meisten Freelancer haben dieses Privileg nicht und müssen diese finanzorganisatorischen Herausforderungen meistern. Chris und ich merkten schnell, dass wir das Problem ähnlich betrachteten sowie auch die Lösung. Unsere Idee entwickelte sich dann über einen gewissen Zeitraum, als wir unsere künftigen Kunden kennenlernten und ihre Erfahrungen mit den unseren verglichen. Das Coole an Kontist ist, dass jeder, der hier arbeitet, selbst schon lange genug Freelancer gewesen ist, um seine persönliche Erfahrung einzubringen. Das ist sehr wichtig, um Empathie für den Kunden aufzubauen.
Was waren bei der Gründung Ihres Start-ups die größten Stolpersteine?
Wir standen vor schwierigen Entscheidungen, als es darum ging, was für ein Banking-Produkt wir genau bauen würden. Würde es auf einer bestehenden Infrastruktur wie Figo aufsetzen? Sollte es eine Integration in die Plattform eines Bankenpartners wie solarisBank sein? Oder würden wir dafür eine eigene Banklizenz benötigen? Jede dieser Optionen kommt mit Vor- und Nachteilen. Es war nicht einfach, die abzuwägen. Ein weitere Schwierigkeit war die Konditionierung unserer Kunden. Ich glaube, Selbständigen wurde beigebracht zu glauben, dass das derzeitige Bank- und Finanzdienstleistungsangebot für sie das Beste ist, was sie je bekommen werden. Sie könnten vielleicht eine mittelmäßige Lösung für eine andere eintauschen, aber sie würden nie etwas finden, das für sie von Vorteil wäre. Deshalb sind viele mißtrauisch. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass jemand wirklich Interesse hat, etwas speziell für ihre Bedürfnisse zu entwickeln.
Woher stammte das Kapital für Dein Unternehmen?
Das Kapital für Kontist stammte vom dänischen Venture Capital Unternehmen Founders und dem dänischen Wachstum-Fonds VœkstFonden.
Was würdest Du rückblickend in der Gründungsphase anders machen?
Gute Frage! Ich würde heute wahrscheinlich mit Web und mobilem Internet starten, um jedem Selbständigen Deutschlands die Möglichkeit zu geben, unser Banking-Produkt von Anfang an zu benutzen. Wir hatten lange Zeit nur eine iOS App und haben dadurch einen großen Teil unseres Marktes ausgeschlossen. Das macht es schwierig, ein rundes Produkt zu entwickeln. Ich würde außerdem schneller eine eigene Kreditkarte lancieren.
Jedes Start-up muss bekannt werden. Welche Marketingspielart ist für Euch besonders wichtig?
Unsere Marke ist für uns extrem wichtig. Unser Erscheinungsbild und unsere Ansprache sind komplett anders als bei den Banken da draußen. Wir setzen das bewußt ein, um eine Beziehung zu unserem Publikum aufzubauen. Unserer Marke basiert auf dieser Tatsache, dass wir selbst – die Kontist Gründer und Mitarbeiter – selbständig arbeiten oder lange gearbeitet haben. Wir gehören der gleichen Community an wie unsere Kunden und sehen die Dinge ähnlich. Wir sind keine außenstehenden Banker, die den Freelancern ihre Sichtweise aufdrücken. Ein Beispiel, wie wir das erlebbar gemacht haben: Wir hatten im Oktober in Berlin-Mitte eine Popup-Bankfiliale, in der Besucher Kontist kennenlernen und unser Produkt testen konnten. Ich glaube, ein Unterschied zu anderen Startups und digitalen Marken, ist, dass wir viel Zeit und Energie investieren wollen, um unsere Kunden persönlich kennen zu lernen. Wir wollen der Liste nicht einfach nur mehr Namen hinzufügen, sondern auch verstehen, wer sich dahinter verbirgt.
Welche Person hat Dich bei der Gründung besonders unterstützt?
André M. Bajorat von Figo. Er hat uns als erfahrener Berater bei der Gründung unterstützt und hat uns außerdem die Figo-Infrastruktur für die Alpha-Version unseres Produkts zur Verfügung gestellt.
Welchen Tipp gibst Du anderen Gründern mit auf den Weg?
Kultur ist extrem wichtig. Und eine zentrale Komponente für Kultur ist Diversity. Je mehr du frühzeitig tust, um sicherzustellen, dass du eine Vielfalt von Mitarbeitern im Team hast, desto größer sind die Chancen, dass deine Produktentwicklung erfolgreich sein wird. Wenn du nur eine einheitliche Gruppe von Leuten beschäftigst, wird dein Produkt unbewußt so verzerrt, dass es der Weltanschauung dieser Leute entspricht und nicht dem Markt. Aus diesem Grund haben wir bei Kontist ein sehr internationales Team, es spiegelt unsere global Ambition wider.
Du triffst die Bundeswirtschaftsministerin – was würdest Du Dir für den Gründungsstandort Deutschland von ihr wünschen?
Mein Interesse geht weiter als das klassische Startup-Modell. Es gibt einen interessanten Trend dahin, dass Leute Gig Work machen. Gig Worker sind fast alles Freelancer. Sie bekommen durch diese kurzfristige, flexible Arbeit einen ersten Geschmack, was es heißt, sein eigener Chef zu sein und ein Business zu führen. Sie lernen die Grundlagen, z.B. wie viel sie arbeiten und wie viel sie erwirtschaften müssen, um ihre Kosten zu decken. Deshalb bin ich der Meinung, Gig Work kann ein Sprungbrett für diese Freelancer in ein Unternehmertum größeren Stils sein, sozusagen ein alternatives Startup-Modell. Für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands liegen hier meiner Meinung nach große Chancen. Gig Work anzunehmen, sie zu stimulieren und dann diesen Leuten dabei zu helfen, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen, könnte Deutschland großes Wachstum bringen. Ein Problem dabei ist, dass allen Freelancern in Deutschland ein Stigma anheftet. Es herrscht die Meinung, dass berufliche Selbständigkeit eine Notlösung ist, weil man keine Festanstellung bekommen konnte. Dabei ist es in den meisten Fällen anders herum: Erfolgreiche Freelancer bekommen viele Jobs angeboten, sie entscheiden sich nur bewußt dagegen, sie anzunehmen.
Was würdest Du beruflich machen, wenn Du kein Start-up gegründet hätten?
Ich würde wahrscheinlich die internationale Expansion von Nextdoor, meinem letzten Startup, das ich in San Francisco mitgegründet habe, leiten.
Bei welchem deutschen Start-up würdest Du gerne mal Mäuschen spielen?
N26 oder Figo. Figo haben ein tolles Fintech-Ökosystem an interessanten Partnerschaften geschaffen. Da gäbe es viel zu lernen.
Du darfst eine Zeitreise unternehmen: In welche Epoche reist Du?
In die Zukunft: ins Jahr 2050, weil ich gespannt bin zu sehen, wie die Wirtschaft durch das Wachstum in selbständiger Arbeit neu ausgerichtet worden ist. Außerdem bin ich optimistisch, dass wir dann mehr Gleichstellung sehen werden, sowohl der Geschlechter als auch in anderen Bereichen.
Du hat eine Million Euro zur persönlichen Verfügung: Was machst Du mit dem ganzen Geld?
Ich würde das Geld in zwei Fonds aufteilen. Erstens: Ein Superfonds zur Förderung von Marketing, PR und Lobbying für Freelancer und Selbständige, um das Stigma zu zerschlagen, dass Freelancer schlecht in ihrem Job sind. Ich würde gerne das Bewusstsein in der Öffentlichkeit kreieren – z.B. durch einen Film – dass es extrem erfolgreiche Menschen gibt, die Jobs machen, von denen die Masse nicht mal wusste, dass sie existierten, und dass die besten darunter diejenigen sind, die selbständig arbeiten. Die zweite Hälfte des Geldes würde in einen Fonds zur Unterstützung von freiwilliger Familienplanung auf globaler Ebene gehen. Das sehe ich als Grundlage dafür, dass Frauen die Option bekommen, in der Erwerbsbevölkerung gleich vertreten zu sein.
Wie verbringst Du einen schönen Sonntag?
Ziemlich entspannt, da der Rest der Woche schon ziemlich hektisch ist. Ich gehe morgens im Tiergarten joggen und danach zum Brunch ins Restaurant Mogg oder zu Distrikt Coffee in Berlin-Mitte.
Mit wem würdest Du gerne einmal auf einen Kaffee oder ein Bier verabreden?
Mit dem deutschen Komödianten Jan Böhmermann, der ziemliche Schwierigkeiten mit der Türkei hatte. Er ist sehr smart und hat eine interessante Sichtweise auf Deutschland. Ich mag einfach seine Outsiderperspektive. Das reflektiert in gewisser Weise, was wir mit Kontist versuchen.
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