Gastbeitrag

So etabliert man eine Kultur des Experimentierens

Um Shoppingerlebnisse zu schaffen, auf die Kunden reagieren, ist eine Unternehmenskultur notwendig, in der kontinuierlich Tests und Optimierungen durchgeführt werden. Experimente müssen gut vorbereitet und in die Hände der richtigen Leute gelegt werden.
So etabliert man eine Kultur des Experimentierens
Dienstag, 19. Dezember 2017VonTeam

Der Kunde ist König – hieß es schon immer. Er wurde gut behandelt, zumindest war das die Intention der Hersteller. Die Frage ist nur: Hat er sich auch gut behandelt gefühlt und die Informationen erhalten, die er wollte? Oder lag das Hauptaugenmerk der Unternehmen auf der Produktentwicklung mit der Annahme, der Verkauf passiert automatisch? In vielen Branchen hat der extreme Konkurrenzkampf dazu geführt, dass die Qualität alleine nicht mehr ausreicht. In den Fokus rückt die Customer Experience, also die Erfahrung, die Kunden im Umgang mit Unternehmen und Produkten sammeln. Ihre Zufriedenheit trägt essentiell zum Geschäftserfolg bei. Das heißt, Unternehmen müssen ihre Kunden besser kennenlernen, um ihre Interessen und Wünsche einzuschätzen und ihnen die richtigen Angebote zu unterbreiten. Was eignet sich hier besser, als neue Webseiten, Apps oder Produkte vorher zu testen? Personalisierung und A/B-Tests machen es möglich.

Dabei spielen für Unternehmen nicht nur finanzielle Investitionen eine Rolle, sondern auch die Sensibilisierung der Mitarbeiter für datengestützte Entscheidungen: Jede neue Idee für Website oder Produkt kann vorher – falls gewünscht nur an einer kleinen Zielgruppe – getestet und ausgewertet werden. Ohne Risiko kreativ werden – der Traum jener Mitarbeiter, die für das Kreativsein bezahlt werden. Doch es geht darum, die gesamte Belegschaft miteinzubeziehen und kontinuierlich Tests durchzuführen. Ob gutes oder schlechtes Ergebnis: Daten sagen mehr als ein Bauchgefühl und geben eine eindeutige Richtung vor. Dafür sind keine großen Kapitalinvestitionen nötig, sondern eine Änderung des Verhaltens im gesamten Unternehmen, vom Sachbearbeiter bis zum Geschäftsführer. Ziel ist es, eine Philosophie des Experimentierens zu etablieren, ohne die Mitarbeiter zu überfordern.

Tipp 1: Ohne Planung und Struktur geht gar nichts
Der grundlegende Schritt für eine erfolgreiche Optimierung der Customer Experience liegt in der Planung: Welche Vorleistungen sind erforderlich? Liegen erste Ergebnisse vor? Welche Mitarbeiter bilden das „Testing-Team“, welche Arbeitsgruppen werden unternehmensweit miteinbezogen? Bei der Entwicklung einer Optimierungsstrategie müssen die Testaktivitäten zunächst mit den Zielen des Unternehmens abgestimmt werden. Denn ohne eine strategische Leitlinie besteht zum Beispiel die Gefahr, unkoordinierte oder ineffiziente Tests zu erstellen, die zeit- und personalintensiv sind, aber kaum brauchbare Ergebnisse liefern. Die Entwicklungsarbeit im Vorfeld erleichtert es den Mitarbeitern, ihre Aufgaben besser zu verstehen. Zudem dient sie als Checkliste zur Straffung des Workflows.

Tipp 2: Ideenfindung in den Fokus rücken
Ist die entsprechende Struktur für Experimente geschaffen, wird es Zeit für die Ideenfindung. Bei diesem Prozess geht es darum, starke Hypothesen für die Durchführung von Experimenten und Kampagnen zu entwickeln. Ein Beispiel: Ein Fahrradhersteller vermutet, dass der Bezahlprozess beim Erwerb eines Bikes zu kompliziert und unübersichtlich abläuft. Er entwirft einen alternativen, einfacher strukturierten Check-out-Prozess und testet, ob es zu mehr Kaufabschlüssen kommt. Die Testergebnisse werden ihm zeigen, welchen Weg er einschlagen muss.
Die Ideenfindung stellt jedoch auch einen der schwierigsten Schritte dar. Denn ohne einen strukturierten Rahmen zur Unterstützung der kreativen Experimentierphase gelingt es kaum, kontinuierlich auf gute Ideen zu kommen. Jetzt ist die Firmenkultur entscheidend: Entwickeln Sie eine „Mitmach-Attitüde“, die alle Mitarbeiter einschließt. Jeder kann in strukturierter Form Verbesserungsvorschläge einreichen, die zentral im sogenannten Backlog gesammelt werden. Die Testing-Verantwortlichen priorisieren die Ideen und setzen sie um.

Tipp 3: Binden Sie Produktverantwortliche und Kreative mit ein
Bei der Entwicklung von nützlichen Hypothesen, die durch Testing überprüft werden, ist Kreativität gefragt. Aus diesem Grund sollten nicht nur nüchtern denkende Analysten an diesem Prozess beteiligt sein, sondern viele kreative Köpfe, die oft die Verantwortung für die Produkte tragen. Sie sind es, die die Ideen haben, da sie sich tagtäglich mit dem Produkt beschäftigen. Viele Unternehmen begehen den Fehler, genau diese Mitarbeiter nicht in den Experimentierprozess einzubinden. Oftmals werden sie sogar von dem Analytics-Team gebremst, da hier Effizienz vor Effektivität geht. Dabei handelt es sich um eine kleine technische Gruppe von analytisch denkenden Experten, die bessere Geschäftsergebnisse in einer Disziplin erzielen möchten, die Kreativleistungen erfordert. Doch Optimierung erfordert eine Kombination von analytischen und kreativen Fähigkeiten. Demokratisieren Sie ihr Testing – holen Sie alle ins Boot, nicht nur einzelne Abteilungen!

Tipp 4: Passen Sie den Workflow an
Fragen Sie sich, ob es bereits eine Dokumentation zur digitalen Strategie und Messung der Performance der Customer Experience gibt. In vielen Fällen kann das bereits vorhandene Tool hilfreich sein und für eine Optimierungsmethodik angepasst oder erweitert werden, beispielsweise eine Teamsatzung in Form eines Word-Dokuments oder ein in einer Webanwendung verwalteter Workflow. Es kann auch sein, dass kleine Teams gemeinsam in einer Tabelle gearbeitet haben, nun aber viel mehr Mitarbeiter mit Experimenten beschäftigt sind – dann wird die Tabelle schnell unübersichtlich. Kurz: Schaffen Sie ideale Arbeitsbedingungen für Experimente und Optimierungsmaßnahmen.

Tipp 5: Bilden Sie Testing-Champions aus
Technologie entwickelt sich ständig weiter und verschiebt die Grenzen des Machbaren, während die Erwartungen von Verbrauchern immer weiter steigen. Deshalb ist Fortbildung in diesem Bereich immens wichtig. Verwandeln Sie einen engagierten Mitarbeiter in einen Test-Champion und bilden Sie ihn immer weiter aus. Programme zur Weiterqualifizierung erfordern nicht zwangsläufig kostspielige Schulungen oder Universitätskurse. Einige Unternehmen investieren schon jetzt in erheblichem Maß in ihre Zertifizierungs- und Ausbildungsprogramme, die nicht viel kosten. Fördern und honorieren Sie zum Beispiel die Teilnahme an Konferenzen und Benutzergruppen sowie Foren und Open-Source-Codeprojekten. Definieren Sie für alle Teammitglieder Ziele für die Erreichung der relevantesten Technologie- und Branchenzertifizierungen für ihre Funktion. Zudem können Sie die Kosten für die Prüfungen selbst bezuschussen und erfolgreiche Abschlüsse mit einfachen Geschenken belohnen.

Das Wichtigste: Bleiben Sie in Bewegung
Um Shoppingerlebnisse zu schaffen, auf die anspruchsvolle Kunden tatsächlich reagieren, ist eine Unternehmenskultur notwendig, in der kontinuierlich Tests und Optimierungen durchgeführt werden. Experimente müssen gut vorbereitet und in die Hände der richtigen Leute gelegt werden, die sich kontinuierlich fortbilden und für die Entwicklung der Experimente Zeit und Geld zur Verfügung gestellt bekommen. Doch das Allerwichtigste bleibt, den Sinn und Erfolg von Testing- und Personalisierungskampagnen in das Bewusstsein der Mitarbeiter zu rücken – quer durch alle Abteilungen. Schaffen Sie einen regen Austausch zwischen dem Testing-Team und dem Rest des Unternehmens, beispielsweise durch ein monatliches Reporting über erfolgreiche Kampagnen oder die Danksagung an Mitarbeiter, die gute Ideen beigesteuert haben. Nur durch regelmäßiges Feedback schaffen Sie eine Experimentierkultur, die auch alle in Ihrem Unternehmen erreicht.

Zum Autor
Frank Piotraschke gilt als erfahrener Branchenexperte der digitalen Medienwelt und leitet seit November 2015 als Senior Director Sales EMEA die Geschäfte von Optimizely in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Davor verantwortete er die Geschäfte bei dem Webanalysespezialisten AT Internet für die Regionen DACH, Osteuropa & Russland. Davor war der studierte Diplomkaufmann als Head of Business Development bei AT Internet tätig und baute den neuen Standort des Unternehmens in Hamburg auf.

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Foto (oben): Shutterstock