Wachstumssegment E-Health – Deutschland holt auf
E-Health oder Digital Health – egal unter welchem Namen: Seit einiger Zeit ist das Thema Digital Health in aller Munde. Die Bandbreite innerhalb der Branche ist dabei groß und das Spektrum reicht dabei von der Fitness-App bis zur digitalen Privaten Krankenvollversicherung. Krankenkassen stehen längst auf dem Plan. Wir sprechen mit Ingo Horak, der die Branche beobachtet, noch ehe die einen eigenen Namen hatte.
Seit einiger Zeit ist das Thema Digital Health in aller Munde. Ist FinTech damit als Trendthema abgelöst worden?
Gemessen an den globalen Investments in Start-ups ist FinTech noch eindeutig größer: 24,7 Milliarden Dollar versus 8,1 Milliarden Dollar im Health-Segment, also dreimal so hoch. Richtig ist aber auch: die Gesundheitsmärkte sind mit 7,83 Trillionen Dollar weltweit deutlich größer und machen im Durchschnitt 10% des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts des Landes aus. Auch das Wachstumspotential ist mit prognostizierten 18,28 Trilliarden, also einer Steigerung um das 2,3fache, bis 2040 gigantisch. Dazu kommt, dass Gesundheit für viele Menschen relevanter ist als Bankdienstleistungen.
Was versteht man eigentlich genau unter Digital Health bzw. E-Health – von welchen Unternehmen sprechen wir da genau?
Die Bertelsmann Stiftung hat sich 2016 mit einer lesenswerten Studie an ein umfassendes, wissenschaftliches Klassifikationsverfahren zu Digital Health gemacht und daraus eine Typologie der Anwendungen erstellt – Digital-Health Anwendungen für Bürger. In diesem Sinne wird Digital Health – etwas sperrig formuliert – verstanden als “die kooperative und/oder interaktive Anwendung von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Bevölkerungsgesundheit”. Wir sehen momentan ein sehr dynamisches Startup-Umfeld mit neuen, innovativen Ansätzen. Das Spektrum reicht von der Fitness-App bis zur digitalen Privaten Krankenvollversicherung. Eine vollständige Liste würde hier den Rahmen sprengen und eine Auswahl würde die Bedeutung einer Vielzahl von Startups nicht gerecht.
Wie viele davon gibt es derzeit in Deutschland?
Die Abfrage bei nach “Category: Health Care und Headquarter: Germany” bei Crunchbase ergibt momentan 530 Unternehmen. Je nachdem, wie man die Auswahl definiert und mit den üblichen Ungenauigkeiten bei Crunchbase variiert die Anzahl. Eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums aus dem letzten Jahr zählt beispielsweise 100.000 Gesundheits-Apps! Eine genau Liste gibt es daher leider nicht.
Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?
Die Unterschiede zwischen Deutschland und anderen Ländern, insbesondere den USA sind ja hinlänglich beschrieben worden, da will ich die Binsen nicht weiter behelligen. Die allgemeinen Unterschiede wirken sich natürlich auch auf den Bereich Digital Health aus. In Kurzform: das gesamte Ökosystem ist deutlich geringer ausgeprägt als beispielsweise in den USA, holt aber auf.
Deutschland ist ein Land der Versicherungen und Krankenkassen – ist das für hiesige Unternehmen aus dem E-Health-Sektor Fluch oder Segen?
Deutschland hat eine lange Tradition in der Sozialgesetzgebung, mit Einführung der ersten Krankenversicherung 1883 durch Otto von Bismarck. Das wirkt kulturell bis heute bei den Deutschen. Es gibt aktuell 117 gesetzliche und 43 private Krankenversicherungen. Die Zahl ist aber stark rückläufig: 1970 gab es alleine bei den gesetzlichen Krankenversicherungen 1.815, also das fast 16-fache. Für Start-ups birgt das duale System aus privaten und gesetzlichen Versicherungen mit einer größeren Anzahl von Marktteilnehmern sowohl Fluch und Segen. Fluch, weil es kleinteiliger ist und die Digitalisierung manchmal mit homogeneren Strukturen wie die NHS in Großbritannien beispielsweise einfacher umsetzen lässt. Segen, weil es mehrere Kooperationsmöglichkeiten ausgeschöpft werden können. Gesetzliche Krankenkassen können Selektivverträge mit Startups individuell im Rahmen des Sozialgesetzbuchs V durchführen, private sind in der Vertragsgestaltung noch flexibler. Richtig schwierig wird es allerdings, in den verbindlichen Vergütungsrahmen aller gesetzlichen Krankenversicherungen aufgenommen zu werden – weshalb es bis heute auch noch kein Startup geschafft hat.
Was sind die großen Herausforderungen in der Branche?
Es gibt eine Vielzahl an Herausforderungen für Startups. Die größte in Digital Health ist das Geschäftsmodell, sprich: wer am Ende bezahlen soll. Gesundheitssysteme sind weltweit hochgradig reguliert. Die Anforderungen an Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit sind hoch, komplex und dauern lange. Zudem kommt, dass die Zahlungsbereitschaft von Bürgern für den ersten Gesundheitsmarkt in Deutschland historisch bedingt sehr gering ist. Darüber hinaus wächst die Akzeptanz innovativer oder womöglich disruptiver Startups bei fast allen Marktakteuren wie Leistungserbringer aber auch Patienten nur sehr langsam. Es muss wohl erst eine kritische Anzahl “digitaler Natives” in die Gesundheitsbranche diffundieren.
Wer sind die großen Investoren aus der Branche?
Analysten von CBinsights führen eine Liste der weltweit aktivsten VCs und Investoren für Digital Health, was eine Indikation zur Größe ist, gemessen am Investitionsvolumen. Zu den Top 5 der VCs zählen Rock Health, Khosla Ventures, Qualcomm Ventures, KPCB, Google, Social Capital und GE Ventures. Bei den Investoren gehören außerdem Acceleratoren wie Y Combinator oder 500 Accelerator dazu. Also insgesamt führende Namen. 2015 waren weltweit über 1.350 einzelne Investoren auf, eine Zahl die mittlerweile deutlich höher ist. In Deutschland der mit Abstand aktivste Investor ist der High-Tech Gründerfonds mit 96 Investments in LifeScience/Healthcare seit 2005.
Was sind derzeit die großen Themen der Digital Health Startups?
Nach dem führenden Venture Capitalist Rock Health gibt es zwischen 2014-2016 diese 6 Top Kategorien: genomics/sequencing, analytics/big data, wearables/biosenseing, telemedicine, digital medical devices, population health management. Wir werden in Zukunft sicherlich auch einiges von Artificial Intelligence/AI, Virtual Reality/VR oder Internet of Things/IoT in der Medizin hören.
Zur Person:
Ingo Horak gründete 2007 in Hamburg das Arztbewertungsportal DocInsider, das seinerzeit vom Gelbe Seiten Verlag aufgekauft wurde. 2015 gründete Horak New Digital Health Net. Es bietet ein Spektrum von Strategie-Entwicklung, Konzeption von Geschäftsmodellen, Produkten und Kommunikation bis zur erfolgreichen Umsetzung und Markteinführung.
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