Gastbeitrag von Meike Neitz

Von oben herab – Die Gründerszene in China

Nach Angaben von Chinas State Administration for Industry and Commerce wurden allein 2015 vier Millionen neue Startups gegründet. Laut dem Nachrichtenportal China.org: Im Schnitt alle 7 Minuten eine Neugründung.
Von oben herab – Die Gründerszene in China
Donnerstag, 20. April 2017VonTeam

Ende März gab der chinesische Tech-Gigant Tencent seine fünfprozentige Beteiligung in dem von Milliardär Elon Musk gegründeten US-Unternehmen Tesla bekannt – für 1,8 Milliarden US Dollar.  Da horchten große Teile der deutschen Geschäftswelt auf. Wer? Tencent? Nur wenige haben in Deutschland von diesem Unternehmen je gehört. Und doch ist Tencent der profitabelste Internet-Konzern Asiens und gehört mit 800 Millionen Usern seiner App wechat zu den weltweiten Tech-Superstars.

Das Beispiel Tencent ist beispielhaft für die chinesische Gründerszene: Sie ist riesig und wächst rasant, aber abgesehen von der Prominenz von Firmen wie Alibaba ist relativ wenig über sie bekannt.

Innovation jetzt!

China hat eine Weile gebraucht, um sich zum individuellen Unternehmertum zu bekennen –  klar, im modernen, kapitalistischen China geht es um Profit und es China hat eine eigene Form der Marktwirtschaft entwickelt – und doch sind die großen Konzerne unter staatlicher Kontrolle. Doch, seit sich das chinesische Wirtschaftswachstum verlangsamt, schaut die Regierung nach neuen Wegen um die Wirtschaft anzukurbeln und ordnete seiner Bevölkerung unter anderem mehr Innovationsbestreben an. Als Zünder für eine neue, von oben geförderte Gründerwelle gilt eine denkwürdige Rede des ehemaligen chinesischen Premiers Li Keqiang auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Jahr 2015:

„To foster a new engine of growth, we will encourage mass entrepreneurship and innovation. China has 1.3 billion people, a 900-million workforce, and over 70 million enterprises and self-employed businesses. Our people are hard-working and talented. If we could activate every cell in society, the economy of China as a whole will brim with more vigor and gather stronger power for growth. Mass entrepreneurship and innovation, in our eyes, is a “gold mine” that provides constant source of creativity and wealth.“

Der Beginn einer beispiellosen Innovations- und Startup-Bewegung in China: Seit dem Start der „mass innovation Kampagne“ sind Inkubatoren, Coworking Spacess, Venture Capital Fonds und Millionen neuer Startups förmlich aus dem Boden geschossen. Die von der Regierung unterstützen Fonds sammelten allein 2015 umgerechnet 231 Milliarden Dollar im ein. 16.000 High-Tech Inkubatoren wurden von der chinesischen Regierung ins Leben gerufen. Innovative Startups werden von den Behörden mit Beträgen zwischen 6.800 und 41.000 Euro gefördert. Die staatlichen Anstrengungen blieben nicht unbemerkt: Eine von KPMG durchgeführte Studie unter Senior Executives aus der Tech-Szene ergab, dass die Mehrheit der Befragten glaubten, Shanghai habe das Zeug, zum nächsten Silicon Valley zu werden – die chinesische Metropole verwies damit Städte wie New York, Tokio, Peking und London auf die Plätze. Die Begründung? Die Infrastruktur ist gut, es gibt viele Fördermöglichkeiten für Jungunternehmen, große Hightech-Parks nähren technische Entwicklungen, es steht viel Venture Kapital zur Verfügung und allein der lokale Markt ist riesig. Es gibt in China inzwischen 735 Millionen Internetnutzer – bei einer Einwohnerzahl von 1,3 Milliarden Menschen, bedeutet das einen riesigen Pool an Konsumenten, mit ebenso viel Platz nach oben. Kein Wunder, dass Startups aller Couleur probieren, ein Teil des Kuchens abzubekommen.

Xnode

Zu Besuch bei Xnode, einem Coworking Space/Accelerator, der inmitten des großen Booms, im März 2015 gegründet wurde – mit freundlicher und finanzieller Unterstützung der lokalen Regierung. Xnode beherbergt heute 70 Startups, die nur nach einem strengen Auswahlprozess aufgenommen werden. Sie heißen seedlink, dyly.com, tuoniao.fm, tophhatter, 247 tickets oder royal horse und kommen aus dem ganzen Land nach Shanghai. Gerade hat der zweite Standort in der Megastadt aufgemacht: Zwei weitere folgen in den kommenden drei Monaten. Die Geschwindigkeit hier ist: rasant. Da der Konkurrenzkampf groß ist, darf man keine Zeit verlieren. Das gilt für alle Akteure der Branche- auch für einen Accelerator. Hinter Xnode steht Gründer und CEO Wei Zhou, der selbst zwei Unternehmen aufgebaut und erfolgreich verkauft hat. Vorher arbeitete er lange bei der Unternehmensberatung Roland Berger. Man merkt, wie motiviert und überzeugt er von dem Potential des Unternehmerlands China ist. Er ist der Meinung: „Die Zeit für Startups in China ist jetzt. Obwohl wir eine lange Tradition des Unternehmertums haben, galt es früher als wichtiger, dass Kinder in großen Konzernen  unterkommen oder einen Regierungsamt bekleiden. Das hat sich geändert: Es ist cool geworden, Gründer zu sein.“ Nach Angaben von Chinas State Administration for Industry and Commerce wurden allein 2015 vier Millionen neue Startups gegründet. Laut dem Nachrichtenportal China.org: Im Schnitt alle 7 Minuten eine Neugründung. Auf der Liste der Einhörner, als den Unternehmen, die eine Bewertung von über 1 Milliarden Dollar haben, ist China mit 37 Firmen dabei.  Die großen Vorbilder sind natürlich genau diese Internet-Riesen: Alibaba, Baidu, Didi Xuching  Xiaomi oder Tencent, die in den letzten Jahren sowohl mit spektakulären IPO, schwindelerregenden Finanzierungsrunden und Umsätzen in Milliardenhöhe von sich hören machten. Die Dimensionen, in denen sich die chinesische Startup-Welt bewegt- sie sind höher, weiter, schneller.

Das Team ist überall der Schlüssel zum Erfolg

Seit seinen Exit investiert Wei Zhou selbst- und ist an über 20 Startups beteiligt. Diese unterstützt er auch aktiv mit seinem Netzwerk. „Wie in jedem Land sind die Connections auch in China das A und O – man braucht einen Fuß in der Tür, um erfolgreich zu sein.“ Was die Branche betrifft, so hat sich Wei nicht festgelegt. „In China ist in allen Bereichen noch so viel Raum“, sagt er – egal ob Fintech, Deep-Tech, Health, oder AI. „Ich investiere, wenn mich das Konzept und vor allem das Gründerteam überzeugt. Die Chemie muss stimmen, denn das Team ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Interessanterweise kommen erfolgreiche Gründer oft gerade nicht aus dem Top-Universitäten des Landes, berichtet  Wei Zhou. „Diese produzieren nach wie vor die typischen Corporate-Lebensläufe: Top-Regierungsjobs, Großunternehmen, Banken. Auf die weniger elitären Universitäten muss man schauen, um kreative Querdenker zu finden, die über den Tellerrand schauen.“

Das Kapital ist da

Auch in Sachen Finanzierung sind in China andere Dimensionen an der Tagesordnung: „Es ist so viel Geld im Umlauf“ sagt Wei Zhou. „Vom Staat, von VCs und von den ‘Nouveau Riche’.“ Die Neureichen haben in den Boomjahren sehr viel Geld verdient und gelten als risikofreudig. Sie investieren schnell und oft nach Bauchgefühl, es geht weniger um eine gründliche Due Diligence wie in Deutschland So ist es auch auf Investment-Seite Trend geworden, sein Geld in Startups zu stecken. Laut KPMG wurden im Jahr 2016 allein 31 Milliarden Dollar Venture Capital ausgeschüttet – dies bedeutet ein 19%-igen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Und das trotz dem globalen Rückgang von Investitionen, wie zum Beispiel in Deutschland, wo 2016 2,2 Milliarden Dollar investiert wurden  und damit 30% weniger als im Vorjahr.

„China ist jetzt schon der zweitgrößte Venture Capital – Markt hinter den USA.“, sagt Wei Zhou. Den Stolz in seiner Stimme kann er nicht unterdrücken.

Wie Glücksspiel in Macau

Doch auch Chinas Startup-Boom hat seine Schattenseiten. Schon länger sorgen sich Experten über eine Überhitzung des Marktes und auch Wei Zhou warnt: „Hier sind leider viele Cowboys unterwegs – sowohl auf Startup-Seite, als auch bei den Investoren. Da muss man aufpassen, nicht an die falschen zu geraten.“ Wie lange bis die Bubbel platzt? Wie nachhaltig wird gewirtschaftet? Wie ist die Qualität der Startups zu bewerten? Es ist schwer, wirklich verlässliche Zahlen über die junge Gründerszene zu bekommen: Und hier besonders, welche Startups oder Fonds eben nicht funktioniert haben.

Nach wie vor sind die Risiken des chinesischen Markts nicht zu unterschätzen: Internetzensur und staatliche Kontrolle, keine flächendeckend gute Infrastruktur, fehlende Rechtssicherheit bezüglich geistigem Eigentum. Allen voran steht der große Konkurrenzkampf, der Startups dazu zwingt schnell kräftig zu wachsen, denn sonst haben sie verloren – das heißt, sie werden kopiert und überholt. Das Resultat ist ein großer Druck, viel Kapital einzusammeln um den Wachstum realisieren zu können. Doch oben scheint die Luft schnell dünner zu werden:  Studien haben ergeben, dass während  Frühphasenfinanzierungen zahlreich sind, alles, was in China über eine C-Runde hinaus geht, spärlich gesät ist. Da heißt es: Profitabilität, IPO oder – aufgeben. Zu den prominentesten Startup-Beispielen, die dieses Jahres aufgeben mussten, gehört die Carsharing-Platform UU Cars – in die  Investitionen in Höhe von 20 Millionen US Dollar flossen. Weil eine weitere Runde nicht zustande kam, musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. „Letztlich ist eine Startup-Investition doch auch wie Pokern in Macau. Niemand kann wissen, ob man gewinnt, oder verliert – das verraten einem die Zahlen auch nicht.“ , sagt der Xnode Chef.  Auch in China läge die Scheiterrate von Startups bei 85 – 90% schätzt Wei.  Da tue sich nichts im Vergleich zu Europa oder den USA: Die wenigsten Gründer schaffen es, ein nächster Jack Ma zu werden.

Going abroad

Was in den Augen des umtriebigen Netzwerkers Wei in jedem Fall in China fehlt, ist der internationale Austausch.  Die Brücke zwischen dem Reich der Mitte und dem Rest der Welt – sie ist zwar bei vielen großen Konzernen erbaut, nicht jedoch im Startup-Bereich.  Bei Xnode bemüht sich das Team um Zhou, das Verhältnis zwischen ausländischen und chinesischen Gründern sehr ausgeglichen zu halten: Sie kommen aus Australien, den USA, Großbritannien oder Frankreich. Wenige Bewerber seien allerdings aus Deutschland – derzeit ist nur das deutsche Fintech-Startup Ginmon Teil der Xnode-Clique. Wei Zhou ist bestrebt, dies zu ändern und arbeitet unter anderem an einem German Accelerator Projekt. Im Mai bringt er eine Delegation von führenden „Techies“ nach Berlin, um sich mit dortigen Machern der Szene zu auszutauschen. Er sagt: „Trump ist zwar ein Horrorszenario, aber wenn es ein Gutes hat, dann ist es die Chance, dass China und Europa, vor allem Deutschland, stärker zusammenarbeiten. Dies sollte auch und vor allem für die Gründerszene gelten.“

Zur Autorin
Meike Neitz hat ihre Basis in Hamburg, befindet sich jedoch derzeit auf Asientour: Shanghai – Seoul – Taipei. Meike hat sich vor einem Jahr selbständig gemacht und berät mit ihrer Agentur “Die Zukunftsmanufaktur” Startups und Mittelständler in Fragen rund um die Kommunikation. Sie hat lange im Ausland gelebt und ist leidenschaftliche Globetrotterin: 80 Länder hat sie schon bereist – alle 193 sind das Ziel bis sie 70 ist.

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