Nikolas Samios im Interview

“Das wichtigste Tool sind Kaffee, Bier und Wein”

"Ich glaube, viele Themen brauchen einen persönlichen Austausch. Ob man das mit Slack und Co. wirklich hin bekommt, da bin ich skeptisch. Nicht umsonst investieren viele der US-Top-Investoren nur ein paar Blocks von ihrem Office entfernt", sagt Nikolas Samios von der German Startups Group.
“Das wichtigste Tool sind Kaffee, Bier und Wein”
Dienstag, 29. November 2016VonAlexander Hüsing

Die börsennotierte German Startups Group (GSG) investiert seit einigen Jahren massiv in junge und ältere Start-ups. Der umtriebige Kapitalgeber hält rund 50 (oft kleine) Beteiligungen – darunter Unternehmen wie Auctionata, Mister Spex und reBuy.de. In der Seed-Phase investiert die Berliner Gruppe in der Regel rund 100.000 Euro. In der Early Stage-Phase bis zu 500.000 Euro möglich. Bei reiferen Unternehmen 500.000 bis 3 Millionen Euro. Im VC-Interview mit deutsche-startups.de spricht Nikolas Samios, Chief Investment Officer bei der GSG, über Abendessen, Secondary Shares und VC-Binsen.

Reden wir über Geld. Was genau reizt Dich daran, Geld in Unternehmen zu investieren?
Wir können so bei einigen der aus unserer Sicht besten Startups und damit Unternehmer-Teams dabei sein. Das ist nicht nur wirtschaftlich attraktiv, sondern auch persönlich einer der interessantesten Jobs, die ich mir vorstellen kann, denn pro Zeiteinheit sieht und lernt man als VC so viel mehr als ein “klassischer” linearer Unternehmer.

Wie wird man eigentlich Venture-Capital-Geber – wie bist Du Venture-Capital-Geber geworden?
Ich habe schon zu Schulzeiten meine erste Garagen-Firma gegründet und nach dem Abitur und Zivildienst einfach weitergemacht, Studium wäre mir damals wie ein Rückschritt vorgekommen. Ich habe dann für eine meiner ersten Firmen eine Finanzierung mit einem Corporate-VC durchgeführt und daraufhin haben mich zahlreiche Freunde und Bekannte nach meiner Meinung und Unterstützung gefragt, so im Sinne von “wie bekommt man die erste Million Wachstumskapital, wenn Friends, Fools & Family-Geld nicht mehr reicht”. Das war natürlich sehr schmeichelhaft und zugleich unglaublich lehrreich und interessant. Nach ein paar Jahren Coaching bei Mittag- und Abendessen habe ich das Thema, wenn man so will “Corporate Finance für Startups“, dann zu meinem eigentlichen Geschäft gemacht und die Anteile an meinen operativen Firmen nach und nach verkauft. So bin ich seit jetzt gut 15 Jahren Full-Time damit beschäftigt, Venture Deals zu strukturieren, die ersten Jahre mehr auf Gründer-Seite und dann in den letzten zehn Jahren zunehmend auch auf Seite der Investoren.

In der VC-Welt wird oftmals mit Millionenbeträgen hantiert, wird Dir da nicht manchmal mulmig zumute – bei diesen Summen?
Mulmig eigentlich nicht, da entwickelt sich schon eine gewisse Routine, aber wir machen uns Investment-Entscheidungen auch nicht leicht: Wir haben eine besondere Verantwortung, da wir mehrheitlich ja fremdes Geld investieren. Da ist es etwa auch bei Folgeinvestments unabdingbar, eine Investmententscheidung so kritisch und objektiv wie möglich zu hinterfragen: Investiert man in eine Firma nochmal, weil man seine erste Kaufentscheidung bestätigen will und/oder sich in eine Firma “verliebt” hat – was menschlich verständlich wäre, aber wirtschaftlich fahrlässig – oder ist das Investment auch nüchtern betrachtet das richtige? Dazu muss man viel Disziplin und auch gewisse Prozesse etablieren, etwa Investment Committees, die emotional möglichst unbefangen die richtigen Fragen stellen, auch wenn ein Investment Manager – was ja durchaus auch gute Seiten hat – für ein Thema „brennt“ und damit vielleicht einen Tunnelblick entwickelt, und Probleme auch mal ausblendet.

Was sollte jeder Gründer über Euch – als VC – wissen – wie etwa grenzt Ihr Euch von anderen Investoren ab?
Die German Startups Group ist ein unternehmerischer Investor, der – weil wir kein Fonds mit festen Laufzeiten sind – über viele, viele Jahre und auch viele, viele Runden Finanzierungspartner der aus unserer Sicht besten Unternehmer im deutschsprachigen Bereich ist. Wir sind dabei “stage-agnostisch”, also investieren in Firmen mit Bewertungen von 1 Million bis 1 Milliarde und wir kaufen als einer der ganz wenigen in Deutschland auch systematisch Secondary Shares, also “gebrauchte” Anteile von frühen Co-Gründern oder Angels, was ebenfalls sehr nützlich sein kann. Mit uns gewinnt man also einen sehr flexiblen Partner, mit dem man über viele Jahre sinnvoll arbeiten kann, ich habe dafür auch schon den Begriff „Patient Capital“ gehört. Und zugleich sind wir starker Förderer der Bewegung, durch neue Kapitalbrücken – wir sind ja börsennotiert und sprechen damit ganz andere Anlegerklassen an als der klassische geschlossene VC-Fonds – in Deutschland generell mehr Geld für die Assetklasse “Startups” zur Verfügung zu stellen.

Welche Unterstützung bietet Ihr – neben Geld?
Wir sind vom Team-Background her erstmal sehr stark aufgestellt in der Strukturierung von Finanzierungsrunden, allen dazu notwendigen Dokumenten, der Anwerbung weiterer Investoren, allen Fremdkapital- und Mezzanine-Themen, M&A-Prozessen bis hin zum Exit und IPO: Christoph Gerlinger hat beispielsweise drei IPOs durchgeführt und ich habe mehr als 200 VC-Runden organisiert oder zumindest daran teilgenommen. Und wir geben dieses Wissen sehr gerne auch weiter, etwa auf unserer vcmasterclass, versuchen also Aufklärungsarbeit zu leisten wo nötig und keinen „Unfair Advantage“ gegenüber insbesondere unerfahrenen Gründern für uns zu nutzen. Weiterhin haben wir eines der zahlenmäßig größten Portfolien und sind auch sehr aktiv im Markt, ergo haben wir viele direkte Beziehungen zu Co-Investoren und Käufern, können hier also durchaus hilfreich sein. Last but not least haben wir mit unserer Mehrheitsbeteiligung Exozet über 100 iOS-, Android- und Backend-Entwickler, UX-Leute und Kreative und können so auch mal hands-on Support geben, etwa bei einem Growth-Sprint oder wenn mal eigene Ressourcen abhandenkommen – das Ganze aber nur wenn gewünscht – wir haben somit keine Konflikte.

Wie organisiert Ihr den Austausch mit Euren Portfolio-Firmen, welche Tools nutzt Ihr?
So antiquiert das klingen mag, aber das wichtigste Tool sind Kaffee, Bier/Wein und wenn es physisch nicht geht, dann das Telefon. Ich glaube, viele Themen brauchen einen persönlichen Austausch. Ob man das mit Slack und Co. wirklich hin bekommt, da bin ich skeptisch. Nicht umsonst investieren viele der US-Top-Investoren nur ein paar Blocks von ihrem Office entfernt. Im Venture-Geschäft gilt der schöne Spruch: „all business is people business“.

Wie entscheidet Ihr, ob Ihr in ein Start-up investiert: Bauchgefühl, Daten, Beides oder was ganz anderes?
Da wir von Seed bis Growth Stage investieren, variiert die Datenmenge sehr stark. Je früher im Zyklus, desto mehr Bauch ist dabei, bzw. versuchen wir dort, Bauch stark durch Analyse des Backgrounds und Trackrecords des Teams und der beteiligten Investoren, sowie eigenes Markt-Research und Reference Calls zu unterstützen. Wir wollen nicht wetten, sondern zumindest – die Amis nennen das so schön – einen “Educated Guess” tätigen. Je weiter ein Startup in der Entwicklung ist, desto mehr können Zahlen, KPIs, Kundenfeedback etc. mit einfließen. Oft sagen wir deswegen auch in der Seed-Stage „nein danke, kommt aber bitte in 6 bis 9 Monaten nochmal vorbei” und sind dann auch gerne bereit, eine höhere Bewertung zu akzeptieren, wenn es geklappt hat. So haben wir dann nicht nur mehr Daten, weil das Startup zwischenzeitlich etwa am Markt aktiv ist, sondern wir können insbesondere auch vergleichen, was uns das Team damals als Soll präsentiert hat und wie das Ist zwischenzeitlich aussieht. Solche Traktions-Daten eines Startups über einen längeren Zeitraum sind eigentlich die beste Datenquelle zur Bewertung eines Teams.

Nicht jedes Start-up läuft rund, nicht jedes wird ein Erfolg. Was macht Ihr, wenn eine Eurer Beteiligungen in Schieflage gerät?
Ein guter Freund hatte das mal als “Triage” bezeichnet. Man muss als Investor mit Disziplin und kühlem Kopf prüfen, ob die betroffene Firma nüchtern betrachtet unheilbar verloren ist – dann sollte man weder Geld noch Zeit investieren – oder ob eine Rettung mit sinnvollem Aufwand möglich und unter Renditegesichtspunkten erstrebenswert ist. Letztendlich wird es in solchen Situationen sehr oft darauf hinauslaufen, dass die Bestandsgesellschafter nochmal nachschießen müssen, weil die angeschlagene Firma nicht in der Lage ist, auf dem Markt neue Investoren anzuwerben. Hier gilt die alte VC-Binse: „Kein gutes Geld schlechtem hinterherwerfen” – jedes neue Investment, auch ein Folgeinvestment muss also genauso kritisch abgewogen werden. Hier muss man sich als Team auch gegenseitig unterstützen, um ganz normale psychologische Effekte auszugleichen. Da sind wir dann etwa wieder bei der Bedeutung eines guten Investment Committees, was ich vorher schon erwähnt hatte.

Und woran merkt Ihr, dass Ihr bei einem Start-up die endgültige Reißleine ziehen müsst?
Das gute an Startup-Pleiten ist, dass sie in der Regel in den ersten Jahren im Lebenszyklus auftreten, da hier die Firma und das Team beweisen muss, dass es einen, sagen wir mal neudeutsch, “Produkt/Market-Fit” gibt und das Team das Ganze auch umsetzen kann, ohne sich gegenseitig zu zerfleischen, was auch immer wieder mal vorkommt, da unter dem extremen Druck, den es da oft gibt, auch Nerven blank gelegt werden können. Zu unterscheiden, ob also nur ein temporäres Problemchen vorliegt und man das mit einem Pivot – übrigens ein grässliches Wort – lösen kann oder der tote Gaul noch auf letzter Reserve geritten wird, ist durchaus eine Kunst und weniger eine Wissenschaft. Aber hart gesagt: Ein guter Investor sagt bei sowas öfters mal „nein” und lässt sich auch nicht so leicht erpressen mit einem “wenn nicht alle Euro x investieren, gehen wir zum Insolvenzgericht”, denn erfahrungsgemäß verliert man als VC mit Folgeinvestments in nicht gut laufende Firmen vielfach mehr Geld als mit den Erstinvestments, wenn man nicht diszipliniert aufpasst. Das mag vielleicht gründerunfreundlich klingen, ist es aber gar nicht. Wir setzen auch Personen nicht auf eine schwarze Liste, die mal eine Pleite gebaut haben. Das gehört zum Unternehmerleben durchaus dazu und ich bin sicher, dass mir die meisten guten Serial-Entrepreneurs Recht geben, dass man bei Themen, bei denen einfach der Wurm drin ist, auch durchaus mal aufrichtig den Stecker ziehen sollte, als Geld von Investoren und Lebenszeit der Gründer in unrettbaren Modellen zu verbrennen. Der „Retter-Reflex“ ist also durchaus zu hinterfragen. Bei einem Growth-Stage-Startup wird man das Problem hingegen deutlich weniger sehen, da kann man sich dann vortrefflich streiten, ob bei einem Investment noch ein Faktor x oder nur y auf das eingesetzte Geld drin ist, aber ein Totalausfall ist da dann sehr selten.

Gebt Ihr uns einen Einblick in Euer Anti-Portfolio – bei welchen, jetzt erfolgreichen, Firmen seid Ihr leider nicht eingestiegen?
Uns gibt es jetzt seit grob vier Jahren, in denen wir nach und nach gewachsen sind, konnten also am Anfang größere Tickets schlichtweg mangels eigener Größe nicht machen. Da waren schon ein paar gute Sachen dabei, aber ob wir bei den Themen, bei denen wir uns frei entscheiden konnten jetzt daneben lagen oder richtig, ist oftmals noch nicht abschließend zu sagen. Zum Beispiel waren wir bei N26 anfangs skeptisch. Kann gut sein, dass wir uns deswegen später noch in den Allerwertesten beißen, aber Stand heute würde ich mich mit dieser abschließenden Wertung noch schwertun. Es geht bei Investoren ja auch nicht nur um das binäre dabei sein, sondern immer auch um die Bewertung bzw. Rendite, auch nach allen verwässernden Effekten von Folgerunden und Co. Bei einem “heißen” Thema passen, weil die Bewertung zu hoch war, kann also durchaus auch schlau und richtig sein, auch wenn das von außen betrachtet ohne alle Daten nicht offensichtlich sein mag. Wir haben auf jeden Fall seit Beginn unserer Investmenttätigkeit ziemlich konstant über 25 % p.a. auf das eingesetzte Kapital verdient, das ist für einen Venture Investor in Deutschland mit eher breit gefächertem Ansatz, ich nenn’ das gerne auch „schwäbisches Venture Capital“ und gerade auch im Vergleich mit Niedrig- und Negativzinsen überall doch ein – wie ich finde – sehr ordentliches Ergebnis.

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Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.