Startups können massiv von Amazon profitieren

Viele Startups produzieren physische Produkte und bauen aufwendige Shops für deren Vertrieb. Amazon als Distributionskanal haben die wenigsten von ihnen auf dem Zettel. Warum das ein Fehler sein könnte und wie man bei Amazon einsteigt, erklärt Kai Klement, Co-Founder von KAVAJ.

Welches sind die auffälligsten Unterschiede zwischen Startups und Amazon-Sellern?
Das kann man so pauschal nicht beantworten. So wenig, wie es DAS Startup gibt, gibt es DEN Amazon-Seller. Bei beiden ist die Bandbreite riesig. Und zwar in jeder Beziehung: Was die Business-Modelle angeht, die unternehmerischen Herausforderungen, vor denen man steht oder auch nur die Prozesse, die den geschäftlichen Alltag prägen.

Die Amazon-Verkäufer lassen sich in mindestens drei grundsätzlich unterschiedliche Kategorien aufteilen:

  • die Reseller, die einfach nur Waren von fremden Marken auf Amazon verkaufen
  • die Private Label-Anbieter, die existente Produkte verändern und dann unter ihrer eigenen Brand veröffentlichen und die
  • Marken, die Produkte komplett neu entwickeln, teilweise jahrelange Forschungs- und Entwicklungsarbeit in jedes neue Produkt investieren.

Aber einige grundsätzliche Unterschiede sind mir in meiner Zeit als Amazon-Mitarbeiter und jetzt als Händler und Eigen-Markenproduzent schon aufgefallen. Das ist natürlich modellhaft zu verstehen und gilt nicht zu hundert Prozent:

Finanzierung: In der Regel sind Startups durch Venture Capital oder auch durch die Crowd finanziert. So beschaffen sie sich das nötige Kapital, um zu wachsen und nehmen – wenn überhaupt – nur zu sehr geringem Anteil ihr eigenes Geld in die Hand.

Aber dadurch holen Sie sich natürlich auch viel mehr Köche ins Boot, die dann alle mitreden wollen und die alle ihre eigenen Interessen haben.

Ich habe noch keinen Amazon-Händler getroffen, der über mehrere Finanzierungsrunden gegangen ist.

Das sind nahezu alles Bootstrapper, also ihre Unternehmen sind eigenfinanziert. Die meisten sparen sich ein Polster an, mit dem sie dann die ersten Produkte finanzieren und reinvestieren dann über einen kürzeren oder längeren Zeitraum den gesamten Profit – oder einen großen Teil davon – in das Wachstum ihres Unternehmens, also in weitere Produkte und größere Bestellmengen bereits existenten Sortiments.

Ich denke aber, dass aber schon sehr bald auch die VC-Szene beginnen wird, sich für das Amazon-Händler-Ökosystem zu interessieren. Handel auf Amazon ist ein stark wachsendes Marktsegment mit hohen Gewinnmöglichkeiten.

Ich bin also sicher, dass bald VCs und andere Investoren Ausschau halten werden nach sehr schnell wachsenden Unternehmen auf Amazon, um dann Geld und Expertise anzubieten und zu sagen: “Hey, jetzt habt Ihr es ohne uns schon so weit geschafft – jetzt gebt mal mit unserer Hilfe wirklich Vollgas und lasst uns zusammen so richtig was rucken.”

Ähnliches wird in der Amazon-Education- und Software-Szene passieren. Momentan sprießen Kurse und Tools wie Pilze aus dem Boden, aber auch auf diesen Zug ist die VC-Szene bisher nicht aufgesprungen. Dauert aber auch nicht mehr lange, denke ich.

Zeitliche Perspektive für das Unternehmen Ein weiter Unterschied zwischen Startups und Amazon-Händlern ist wohl, auf wie lange Zeit das eigene Entrepreneurship in diesem eigenen Unternehmen angelegt ist.

Schielen die meisten Startups doch eher auf einen lukrativen Exit nach wenigen Jahren, ticken die meisten Amazon-Händler eher wie der klassische Familienunternehmer: Organisch und stabil wachsen, um ein solides und skalierbares Unternehmen aufzubauen.

Macht es für Startups Sinn, auch auf Amazon zu verkaufen?
Die Frage für mich ist eher: Macht es für Startups Sinn, irgendwo anders zu verkaufen als auf Amazon? Wir selbst sind ganz starke Verfechter von ‘Selling on Amazon only’.

Wir tun das aus einem ganz einfachen und sehr naheliegenden Grund: Bei Amazon sind die Kunden schon da. Über 300 Millionen Kunden, diese Marke hat Amazon letztes Jahr übersprungen, begeben sich immer wieder auf die Plattform – und zwar immer schon mit der Intention, etwas zu kaufen.

Die Besucher kommen nicht, um eine Information zu finden oder sich unterhalten zu lassen, sondern, um Produkte zu recherchieren und wahrscheinlich zu kaufen. Ganz anders als bei Google, Facebook oder anderen riesigen Plattformen. Jeder Besucher auf Amazon ist potenzieller Käufer.

Dadurch ist die Conversion Rate auf Amazon auch sehr viel höher als auf jeder anderen Plattform.

Es ist ja inzwischen so, dass die Customer Journey eines Produktkäufers nicht mehr bei Google oder anderswo beginnt, sondern direkt auf Amazon. Weil der Käufer weiß, er bekommt dort alles und in der Regel Amazon den besten Preis hat, startet ein Käufer inzwischen in der Regel seine Reise bis zum Check out-Button ohne Umwege direkt auf Amazon.

Außerdem ist der Kauf auf Amazon extrem einfach: Produkt suchen, Klick – am nächsten Tag da. Oder auf dem Handy: Ein Klick, ein Swipe – bestellt.

Die andere sehr beeindruckende Zahl ist, dass in den USA schon letztes Jahr im Q4 50 % aller Online-Käufe über Amazon liefen. Das ist mehr, als die nächstplatzierten Top Ten-Händler und -Plattformen zusammen an Umsatz hatten.

Amazons Ziel ist ein jährliches Wachstum von vierzig Prozent – und das basierend auf dieser sowieso schon enormen Basis. Amazon hat letztes Jahr die 100 Milliarden-Umsatz-Marke übersprungen. Und jetzt rechne man sich einfach mal aus, dieser Umsatz wächst jährlich um 40 %…

Und zusätzlich beginnt Amazon bereits jetzt, in der Wertschöpfungskette nach unten zu gehen, also weitere Tätigkeitsfelder anzubieten. In die logistischen Dienstleistungs-Prozesse seiner Händler ist Amazon mit Fulfillment by Amazon (FBA) ja schon länger eingestiegen… Jetzt gehen sie ganz massiv in das Feld der Platzhirsche DHL, UPS, Hermes & Co.

Auch in der organischen Google-Suche rutschen Ergebnisse aus Amazon immer weiter nach oben. Dein Job als Händler ist es also nur noch, die richtigen Produkte zu entwickeln und sie bei Amazon selbst vor die Kunden zu bekommen.

Dann hast Du eine Verkaufsspirale, an der Amazon selbst so schnell dreht, dass die Umsätze und das Gefunden werden in den organischen Suchergebnissen sich quasi von allein immer weiter nach oben schrauben.

Es macht also keinen Sinn mehr, einen eigenen Shop aufzubauen, weil mir Amazon als Plattform alle Vorteile bietet, die ich mit einem eigenen Shop nie und nimmer erreichen kann.

Und diese Vorteile wiegen unserer Meinung nach viel stärker als die Provisionen und Gebühren, die Amazon verlangt.

Also noch einmal: Klar, wir werben überall und weltweit, wir bauen außerhalb von Amazon ein eigenes Haus auf, bilden eine Marke und generieren externen Traffic über alle Social Media Kanäle, haben eine Website, die eine Geschichte erzählt. Alles super wichtig und richtig.

Aber verkaufen: nur auf Amazon.

Welches sind die häufigsten Ängste, warum jemand trotz mächtigen Anlaufs dann doch nicht zum Amazon-Seller wird und wie kann man diese Sorgen entkräften?
Schwerpunktmäßig hören wir vier Hauptgründe bei uns in der KAVAJ Academy oder wenn wir unterwegs sind.

1. Amazon ist zu komplex, man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Man kann so viel falsch machen und muss dermaßen viel beachten…
Ja, es stimmt, beim Handel auf Amazon ist schon einiges zu beachten. Aber es ist auch relativ einfach in den Griff zu bekommen, weil Amazon selbst gute Hilfe bietet.

Wir empfehlen außerdem, sich auf dem Education Markt anschauen. Sehr schnell wird man Kurse, Infos, Facebook-Gruppen finden, mit Hilfe derer man sich innerhalb recht kurzer Zeit ein umfassendes Überblickswissen aneignen kann.

Der Rest ist learning by doing – ein Schritt nach dem anderen, dann löst sich die Unübersichtlichkeit schnell auf.

2. Wenn ich über Amazon verkaufe, begebe ich mich mit meinem gesamten Geschäft in eine sehr starke Abhängigkeit von Amazon
Das sehen wir komplett anders. Wir begreifen unsere Präsenz auf Amazon nicht als Abhängigkeit, sondern als das Tummeln in dem Markt mit einfach allen Kunden. Wenn es Dir gelingt, Dein Produkt auf Seite 1 oder 2 zu positionieren, verkaufst Du automatisch.

Und außerdem: Amazon hat keine globale Instanz, sie schalten Dir nicht Deine Accounts in allen Länder zugleich ab. Klar, sie könnten Dich Land für Land sperren, aber das ist sehr unwahrscheinlich.

Die Sache mit der Abhängigkeit sehen wir eher so: Amazon ist weltweit präsent, und durch Amazon sind wir automatisch da, wo die Kunden sind.

Wir würden uns eher abhängig fühlen, wenn wir auf anderen Kanälen verkaufen müssten: Idealo, ebay, ein eigener Webshop – bei allen müsste ich darum kämpfen, dass dort Kunden hinkommen. Und dann macht Google ein Update und alle Rankings sind hinfällig. Nein danke.

Amazon macht auch Updates, aber dass Salesrankings aufgrund von Updates auf- und abwandern, können wir nicht bestätigen. 
Dass Amazon die Terms of Services anpasst, ist super wichtig, um den Marktplatz zu schützen und das Vertrauen der Kunden aufrecht zu erhalten.
 ‘Paid Reviews’ ist nur ein Beispiel, wo es aus unserer Sicht extrem sinnvoll ist, diese zu verbieten. Nur ein Beispiel: 
Wenn Du noch vor dem offiziellen iPhone 7-Launch auf Seite 1 bei Amazon schon 20 Produkte hast mit jeweils 35 Sterne-Rezensionen, für Produkte, die noch nie am Originalgerät getestet werden konnten, wird es höchste Zeit, dass Amazon hier aktiv wird.

Klar, Du musst auch bei Amazon am Ball bleiben, damit dein Produkt sichtbar bleibt und Du Traffic bekommst.

Und ja, Du solltest auch für Traffic von außerhalb Amazons sorgen; auf Amazon selbst sind die Möglichkeiten begrenzt, den Traffic hochzupushen.

Aber, noch einmal – und das ist der mit Abstand wichtigste Faktor: Du brauchst nichts dazuzutun, dass Kunden auf den Kanal Amazon kommen. Nie. Sie sind schon da. Ohne Dein Zutun, ohne dass Du dafür Manpower, Zeit, Energie und Geld einsetzen musst. Sie sind einfach schon da. Und sie sind gekommen, um zu kaufen.

Du musst nur noch dafür sorgen, dass sie bei Dir kaufen. Und dieses ‘nur’ ist ein echtes ‘nur’ gemessen an dem Aufwand, den Du auf anderen Kanälen hast, um Käufer dorthin zu bekommen.

3. Wenn mein Account gesperrt wird, ist meine gesamte Existenzgrundlage dahin
Diese Angst wäre berechtigt, wenn man nichts tun könnte, um eine Account-Sperrung zu verhindern und wenn Amazon willkürlich ständig und out of the blue irgendwelchen Händlern den Hahn zudrehen würde.

Warum sollte Amazon das tun? Sie verdienen mit den Händlern Geld. Wenn Du Dich also an die Regeln hältst, dich mit Amazon nicht anlegst, den Kunden nach vorne stellst und dein Produkt gut ist, wird Amazon dich nie rausschmeißen.

Wichtig immer zu beachten ist einfach nur: Never mess up with Amazon.
Amazon ist riesig und hat auf seiner Plattform die ultimative Entscheidungsgewalt. Hausrecht eben. Und logischer Weise muss man sich an diese halten. Das ist ja ganz normal.

Amazon nimmt Dir als Händler alles ab, was teuer ist und was enorm viel Zeit benötigt, um es aufzubauen. Vor allem das Vertrauen seitens der Kunden, das Amazon seit 1995 konsequent und rigoros aufgebaut hat, ist einzigartig, nicht kopierbar und unbezahlbar.

Diesen Vertrauensstatus seitens der Kundschaft zu halten und weiter auszubauen ist unbezahlbar. Ginge er verloren, bräche nicht nur das Business von Amazon zusammen, sondern auch das Geschäft von allen Händlern.

Vertrauen ist die mit Abstand härteste und wertvollste Währung. Und insofern sind wir nur dankbar, wenn Amazon auch unbequeme Entscheidungen trifft, um diese Währung nicht zu gefährden.

4. Ich hab nicht genug Kapital und/oder Zeit– der Start als Händler auf Amazon ist ja doch viel teurer und zeitintensiver, als man so gemeinhin hört und liest
Diverse Ressourcen und Kurse propagieren: “Hey, nimm 500 € in die Hand, investiere eine Weile lang 5 Wochenstunden und binnen Kurzem bist Du – zack – durch den Handel auf Amazon stinkreich.”

Das wäre natürlich schick, ist aber Quatsch. Auf jeden Fall ist das in dieser Kausalkette völliger Unsinn. Mit so wenig Startkapital einzusteigen und dann das schnelle Geld zu erwarten, ist einfach Unsinn – oder Wunderglaube.

Wir haben bei KAVAJ mit 5.000 Euro Startkapital angefangen. Dann haben wir 1,5 Jahre lang den Amazon-Verkauf getestet – das kann man noch nebenbei stemmen.

Als dann Umsätze und Profite stiegen und immer mehr Produkte hinzukamen, wurde das alles für ‘mal eben nebenbei’ zu aufwendig und komplex. Und wir waren immerhin zu zweit – die meisten starten ja als Solopreneure.

Klar kann man mit 500 Euro und neben einem anderen Vollzeitjob den Verkauf bei Amazon starten. Man kann so prima langsam und peu a peu Kapital aufbauen, um dann irgendwann richtig mit dem Amazon-Verkauf zu starten und dabei schon erste Erfahrungen mit den Prozessen zu sammeln.

Aber man sollte dann schon 1 bis 2 Jahre einkalkulieren, bevor man mit seinem Amazon-Nebenjob genug Geld beisammen hat, um richtig Gas zu geben.

Dennoch ist es im Vergleich mit anderen Geschäftsmodellen via Amazon-Verkauf relativ einfach, ein erfolgreiches Geschäft mit – sagen wir mal – 3.000 Euro Startkapital aufzubauen, mit einem Produkt zu starten und dann organisch zu wachsen.

Das Gute an Amazon im Gegensatz zum eigenen Online-Shop ist, dass Du problemlos mit nur einem Produkt starten kannst, ohne Dich lächerlich zu machen. Kein Amazon-Käufer schaut sich den gesamten Händlershop an, bevor er ein Produkt kauft. Die meisten wissen nicht einmal, dass sie nicht direkt bei Amazon kaufen, wenn sie bei einem Marketplace-Seller kaufen.

Insofern braucht man nicht erst einmal zig Tausend Euro Kapital, um einen eigenen Online-Shop mit mehreren Produkten halbwegs professionell wirken zu lassen.

Du kannst sogar als Personengesellschaft starten und Dein Business erst später in eine teurere aber professioneller wirkende Kapitalgesellschaft umwandeln. Wobei Amazon es zurzeit wohl den Gesellschaftsform-Wechslern nicht so ganz leicht macht. Aber auch das ist zu schaffen.

Wenn man eigenen Online-Shop aufbaut, den mit mehreren Produkten füllt UND die ganze Logistik aufbaut – vom Marketing mal ganz zu schweigen – ist man mindestens im hohen fünfstelligen Bereich.

Bei Amazon hast Du nahezu Null Gründungskosten, hast die Kunden schon da und kannst Dich mit 39 Euro monatlich mit exzellenter Logistik ausstatten und zwar weltweit.

Klar, Du solltest einen Steuerberater bezahlen, EAN-Nummern kaufen und hast vielleicht noch Kosten für einige professionelle Tools – aber das war’s. Den Rest Deines Kapitals kannst Du Deine Produkte stecken.

Zur Person

Kai Clement (links) ist zusammen mit Jörg Kundrath Gründer der Marke KAVAJ. Auf Amazon – und nur auf Amazon – gibt es von KAVAJ “hochwertige und multifunktionale Designer-Taschen und Accessoires für iPads, iPhones und andere mobile Endgeräte.”
Die beiden kennen sich schon seit der Uni, arbeiteten zeitgleich bei Amazon und gründeten 2011 ihr Unternehmen. Inzwischen gehört KAVAJ zu den führenden Herstellern von Leder Cases in Deutschland, UK und den USA. Es wurden inzwischen über 400.000 Cases verkauft, die über 12 Millionen US$ Umsatz generierten.

Passend zum Thema: Im Artikel Kostenlose E-Books: E-Mail-Marketing-Tipps vom Feinsten haben wir unter anderem das 162-seitige englisch-sprachige kostenlose E-Book der beiden KAVAJ-Gründer vorgestellt: Joerg Kundrath & Kai Klement: The KAVAJ Case. Absolut lesenswert!

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