E-Learning taucht in der gesamten Studie nicht auf
Gerade veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung den neuen Deutschen Weiterbildungsatlas. Er ist die zweite große Erhebung darüber, wie wir uns hierzulande beruflich fortbilden. Während der erste Deutsche Weiterbildungsatlas Daten aus den Jahren 2007 bis 2012 zusammenfasste, basiert die neueste Studie auf dem Mikrozensus 2012 und 2013. Das Ergebnis: Die Menschen in Deutschland bilden sich immer weniger weiter. 12,3 % der über 25-Jährigen haben im Jahr 2013 an mindestens einer Fortbildung teilgenommen. Dabei gibt es große regionale Unterschiede. Während sich in manchen Kommunen wie in der Prignitz nur knapp 3 % der Menschen weiterbilden, ist es in anderen – etwa in Darmstadt – fast jeder Vierte.
Insgesamt bildet sich also der Studie zufolge jeder Achte von uns fort – und das in Zeiten, in denen neue Technologien schneller und nachdrücklicher als je zuvor unser Leben und Arbeiten verändern, in denen immer mehr Arbeitsabläufe digitalisiert und automatisiert, aber zugleich Fachkräfte in der digitalen Wirtschaft händeringend gesucht werden. Das ist eine spannende Einsicht. Umso frappierender ist die Schlussfolgerung, die die Studienherausgeber ziehen. Der Atlas bestätige, welche Handlungsfelder jetzt wichtig seien: der Ausbau der „Angebote, die auf die lokalen Bedarfe zugeschnitten sind“ und der „Kooperation zwischen kommunalen Akteuren“.
Weiterbildung gibt’s nur offline
Aus Sicht eines Start-ups liest sich die Studie also folgendermaßen: Im Jahr 2016 setzen wir alles daran, mehr Volkshochschulen und mehr Weiterbildungsanbieter in die strukturschwachen Regionen zu bringen. Leider taucht E-Learning in der gesamten Studie nicht auf. Allgemein fehlt der Bezug zu Online-Kursen. Das Wort “online” finden Leser lediglich im Zusammenhang mit dem Hinweis, wo man die Studie downloaden kann.
Nehmen wir an, die Studienherausgeber haben „Weiterbildung“ hier tatsächlich nur analog und offline definiert. Was bedeutet die Schlussfolgerung, mit mehr regionalen Angeboten würden wir uns mehr weiterbilden, beispielsweise für Städte wie Berlin? Berlin zeigt am meisten ungenutztes Potenzial, hier gibt es enorm viele Angebote, die Ausschöpfung ist aber verhältnismäßig gering: „Die Bundeshauptstadt blieb damit in der Weiterbildung ein Fünftel unter dem, was statistisch auf Grundlage der Sozialstruktur zu erwarten war“, beschreibt die Studie die Situation, übrigens ähnlich wie in Hamburg.
Was brauchen wir wirklich für lebenslanges Lernen?
Lernen verändert sich. Schon jetzt sind viele Bildungsangebote – gerade im Technologiebereich – nicht mehr state of the art und treffen nicht den wahren Bedarf am Arbeitsmarkt. Ein abgeschlossenes Informatik-Studium beispielsweise bedeutet längst nicht, sauberen Code schreiben und als Web Developer einsteigen zu können.
Etwa 70 % der Entwickler weltweit haben sich ihr Wissen selbst angeeignet. 44 % lernten „on the Job“, bereits ein Viertel mit Online-Kursen, so das Stack Overflow Survey 2016, eine Umfrage einer Online-Plattform für Entwickler. Bereits mit den ersten Foren und Communities ist das Internet für eine ganze Menge Tech-interessierter Leute zum primären Bildungsmedium geworden.
Für Jobs, die heute und in Zukunft gefragt sind, sollten wir uns mit neuen Lernmodellen auseinandersetzen und nicht darauf warten, dass die VHS endlich einen halbwegs passenden Kurs anbietet.
Die neue Weiterbildung: E-Learning mit persönlichen Mentoren.
Die ersten Erfahrungen mit E-Learning und Massive Open Online Courses (MOOCs) zeigten aber auch, dass Menschen oft eine helfende Hand, Inspiration und Motivation beim Lernen brauchen. Die Abschlussraten von MOOCs sind enttäuschend. Wirklich erfolgreiche Digital-Trainings, die zu einer professionellen Qualifikation verhelfen, bieten daher Mentoren-begleitete Online-Kurse, bei denen ein persönlicher Mentor den Teilnehmer auf seinem gesamten Weg begleitet.
Was brauchen wir also wirklich, um uns mehr und besser weiterzubilden? Ein neues Bildungsverständnis in Deutschland, das Platz macht für neue on- und offline Lernmodelle und wertschätzt, was Menschen sich auch ohne Zertifikat oder Titel erarbeitet und beigebracht haben. Ein Bildungsverständnis, das das Wissen und die praktischen Fähigkeiten einschließt. Das sind Lernformen, die flexibel, effektiv und motivierend das Potenzial der Menschen ausschöpfen helfen. Und nicht zuletzt das Bewusstsein, dass jeder Einzelne sich entwickeln, verändern und dazulernen kann, wenn er es in die Hand nimmt.
Zum Autor
Martin Ramsin wuchs in Stockholm auf und entwickelte bereits früh eine Leidenschaft für Computer. Sein erster Job zog ihn direkt nach San Francisco, und das kurz vor dem Platzen der Internetblase. Zurück in Berlin entwickelte er bald eine Vorliebe für digitales Produktmanagement. Erst 2013 nahm er das Programmieren von Webseiten wieder auf, belegte Codecademy Kurse und brachte sich Ruby on Rails mit Hilfe von Online-Tutorials bei. Zusammen mit Raffaela gründete er CareerFoundry, um viel mehr Menschen dabei zu helfen, ihr Potenzial zu entfalten. Heute arbeitet Martin in seinem Traumjob als Web Developer, COO und Gründer von CareerFoundry.
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