Wir brauchen einen Mutigen, der jeden Tinnef fördert
Wie das Handelsblatt (“Schäuble lässt Gründer im Regen stehen“) berichtet, wird es wohl vor der nächsten Bundestagswahl kein neues Wagniskapitalgesetz geben (was eigentlich vereinbart wurde) – Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) halte nichts davon, Risikoinvestments staatlich zu fördern. Eigentlich laufen die Verhandlungen zwar offiziell noch, die Erfolgsaussichten für ein Gesetz seien gering, heißt es im Bericht.
Nico Lumma nimmt dies zum Anlass bei Bild.de – ganz zu recht – zu schreiben: “Schäuble gegen Startups! … Zukunft nur ohne ihn!” Schäubles Blockade des Wagniskapitalgesetzes sei der falsche Weg und ein Schlag ins Gesicht derer, die versuchen Startup-Standort Deutschland attraktiver zu machen!, schreibt Digitalexperte Lumma. “Das ist rückwärtsgewandte Politik, die unsere Position im europäischen und globalen Wettbewerb weiter verschlechtert! Die Bundesregierung muss in die Zukunft des Landes investieren, damit die digitale Transformation gelingt!” Eben!
Schäuble verkennt die Bedeutung der Szene – wohl auch, weil er ein falsches Bild von der Start-up-Szene hat. Woran es im Lande im Zusammenhang mit Start-up leider noch immer mangelt, zeigt ein Artikel in der Berliner Morgenpost (“Fingerfarben, Bio-Limo – Start-ups und ihre Geschäftsideen“. Darin lästert Hajo Schumacher ordentlich über die Start-up-Szene ab und entwirft ein Bild von einer Szene, in der es um “Fingerfarben, Spielgerät und Bio-Limo für umme” geht. Start-ups diffamiert er generell als “Mate-Buden mit Tischkicker”.
Als weitere Klischees nutzt der bekannte Autor Uniabsolventen, die sich gerne ausbeuten lassen, Meetings im Stehen und den üblichen Hipster-Kram. Was immer das auch sein mag. Zitat: “Man muss Reklamesoftware nur quasi-religiös aufladen, Sinn und so, und Bio-Limo verschenken. Technologie? Alter Kram. Image: phänomenal”. Gleichzeitig hofiert Schumacher Tech-Verweigerer Schäuble. Dieser gehöre zu den Mutigen, die sich weigern, jeden Tinnef zu fördern, nur weil Start-up draufstehe. Stattdessen gibt es ein Loblied auf die Welt der Universitäten. Wahre Innovation komme “nach wie vor aus der öffentlich finanzierten universitären Ecke”.
Diese Sicht der Dinge ist mir etwas zu schwarz-weiß – zu rückwärtsgewandt. In den vergangenen 17 Jahren ist in Deutschland eine Start-up-Szene erwachsen, die mehr vorweisen kann als Tischkicker, Club Mate und Meetings im Stehen. Die Digital-Gründerinnen und -Gründer im Lande haben hunderte Unternehmen geschaffen, die sehr vielen Menschen ihr Auskommen sichern. Allein den 50 mitarbeiterstärksten Unternehmen in der Digitalwirtschaft sind rund 34.400 Mitarbeiter beschäftigt – siehe “Die 50 größten Arbeitgeber der Start- und Grown-up-Szene“. Die Start-up-Szene lockt tausende Menschen aus anderen Ländern nach Berlin, Hamburg und München. Diese Szene, die fast ohne stattliche Hilfe erwachsen ist, fördert immer neue Ideen und gibt das Wissen an die nächste Generation weiter.
Doch leider ist die Kapitalbeschaffung in Deutschland für viele Start-ups noch immer ein Problem – weswegen ein neues Wagniskapitalgesetz wichtig wäre, den Standort Deutschland weiter voran zu bringen. Wir brauchen einen Mutigen in Deutschland, der jeden Tinnef fördert – denn darunter könnte das nächste zalando, das nächste Goodgame, das Check24 sein.
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