Von Elke Fleing
Dienstag, 12. April 2016

So knackt man das Henne-Ei-Problem bei Plattform-Businesses

Heute stellt Matthias Walter 7 Strategien vor, wie der für Plattform-Geschäftsmodelle wichtige Netzwerkeffekt angeschoben werden kann und wie man das bei Plattformen gefürchtete 'Henne-Ei-Problem' bezüglich der kritischen User-Masse, die es zu erreichen gilt, löst.

Wer mit einem Plattform-Geschäftsmodell Geld verdienen will, muss sich intensiv mit dem so-genannten ‘Netzwerkeffekt’ beschäftigen. Denn der Wert einer Plattform bemisst sich an der Anzahl der Teilnehmer: Konsumenten, Produzenten und Partner.

Am Beispiel von AirBnB lässt sich dies leicht verdeutlichen: Für Wohnungssuchende ist die Platt-form attraktiv, wenn auch entsprechende Angebote zur Verfügung stehen. Und für Woh-nungsanbieter ist sie erst dann lukrativ, wenn genügend Suchende auf der Plattform stöbern.

Doch der Aufbau eines solchen Netzwerks scheint schwierig und, wie das Henne-Ei-Problem, nur sehr schwer zu lösen – das Eine ist nicht ohne das Andere möglich und umgekehrt. Eine Plattform ohne Produzenten lockt keine Konsumenten, eine Plattform ohne Konsumenten keine Produzenten.

Wie kann dieses Problem nun geknackt werden? Betrachtet man etablierte Plattformen, so las-sen sich 7 Netzwerkstrategien erkennen, mit deren Hilfe das Henne-Ei-Problem gelöst werden kann. Diese Strategien sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden:

Erweiterungs-Strategie: Überzeugung bestimmter Nutzer, die die Plattform dann weiterverbreiten
Diese Vorgehensweise hat Amazon erfolgreich umgesetzt. Einst war die Firma ‘nur’ ein erfolg-reicher Online-Versandhändler, der Bücher, CDs und Filme verkaufte und dadurch viele Konsumenten ansprach.

Über die nun integrierte Verkaufsplattform ‘Marketplace’ ist es anderen Händlern und Privat-personen möglich, ihre neuen und gebrauchten Produkte zu verkaufen. So werden externe Produzenten akquiriert. Für jeden verkauften Artikel erhält das Unternehmen eine Provision, die mittlerweile den Hauptanteil des Betriebsergebnisses ausmacht.

Wichtig bei dieser Strategie ist es, dass Unternehmen nicht gleich von Beginn an eine große An-zahl von Usern ansprechen wollen, sondern ganz gezielt ausgewählte Nutzer von ihrer Platt-form überzeugen. Sobald diese den Mehrwert erkannt haben, werden sie den Benefit der Platt-form erhöhen, positiv darüber sprechen und andere Nutzer überzeugen.

Single-Side-Strategie: Anfänglich Plattform exklusiv für Produzenten, dann Einschluss der Konsumenten
Selbiges gilt auch bei der Single-Side-Strategie, bei der ein Mehrwert für zunächst nur eine Nutzergruppe erzeugt wird. Hat sich die Plattform in dieser Nutzergruppe erst einmal etabliert, wird sie auch für andere Nutzer geöffnet.

Dieser Vorgehensweise folgten die Anbieter der App OpenTable, mit der Gäste im Voraus einen Tisch in ihrem Lieblingsrestaurant reservieren können. Anfangs bot das Unternehmen Restau-rantbesitzern eine Reservierungssoftware an, mit der sie ihre Tischbuchungen managen konn-ten.

Als ein großer Pool von Gastronomen generiert war, öffnete OpenTable die App auch für Pri-vatpersonen, die seitdem die Applikation für ihre kulinarische Abendplanung nutzen.

Huckepack-Strategie: Vernetzung mit Nutzern anderer Plattformen, um diese für die eigene Plattform zu gewinnen
Eine weitere Strategie ist die Huckepack-Strategie, die zum Beispiel PayPal zum Erfolg verhalf. Der Plattformbetreiber vernetzte sich mit einem erfolgreichen Unternehmen, das über eine große Nutzerdatenbank verfügt, und kreierte für die dortigen User einen neuen Mehrwert.

Als PayPal seinen Bezahldienst launchte, nutzte es zuerst die Datenbank von eBay und erleich-terte so den Käufern den Bezahlvorgang. Mittlerweile ist das Unternehmen eigenständig und in zahlreichen Onlineshops fest verankert.

Bei dieser Strategie geht es also darum, sich mit Konsumenten anderer Plattformen zu vernet-zen, um diese von der eigenen Plattform zu überzeugen.

Big-Bang-Strategie: Sofortige Generierung eines nahezu vollständigen Netzwerks durch Push-Marketing
So wie PayPal profitierten auch Twitter und die Dating-Plattform Tinder von einer Netz-werkstrategie.

Twitter gelang der Durchbruch erst neun Monate nach dem eigentlichen Launch. Grund dafür war die Big-Bang-Strategie, die sich durch die Anwendung des klassischen Push-Marketing auszeichnet. Dadurch soll mittels gezielten Werbemaßnahmen zu einem bestimmten Zeitpunkt vollste Aufmerksamkeit auf die Plattform gelenkt und sofort ein nahezu vollständiges Netzwerk gewonnen werden.

So investierte Twitter im Jahr 2007 $11.000, um in der Eingangshalle des South by Southwest-Festivals riesige Flachbildschirme zu installieren. Über einen SMS-Code konnten die Nutzer kur-ze Nachrichten verschicken, die in Echtzeit auf den Monitoren zu sehen waren.

Die kritische Masse war damit erreicht, die Begeisterung für Twitter stieg schlagartig und das Unternehmen wurde zur meistgenutzten Networking-Plattform der digitalen Welt. Diesem Konzept ist auch Tinder gefolgt. Auf einer Studentenparty der Southern California University launchte das Unternehmen seine App und schaffte damit ebenfalls den Durchbruch.

Nischenmarkt-Strategie: Anfängliche Begrenzung einer Plattform auf einen Mikro-markt, allmähliche Ausweitung
Eine ganz andere Strategie nutzte Facebook. Statt sofort eine große Nutzer-Anzahl zu gewin-nen, konzentrierte sich Marc Zuckerberg zunächst auf einen kleinen Markt und machte sich die Nischenmarkt-Strategie zunutze.

Er wusste, dass es schwierig sein würde, die User von Friendster und MySpace von Facebook zu überzeugen. Da der Wert von Social Networks von den Netzwerkeffekten abhängt, schien es anfangs unmöglich, die kritische Masse zu begeistern. Also begrenzte Zuckerberg seine Platt-form zunächst auf die Harvard Universität. Nachdem diese kleine Community sich aktiv auf Fa-cebook bewegte, weitete er sein Social Network auf andere Universitäten aus.

Mit dieser Vorgehensweise ging er der Notwendigkeit, eine kritische Masse zu erreichen, aus dem Weg. Schritt für Schritt dehnte er Facebook auf die Universitäten des Landes aus und bau-te sich so eine große Nutzerdatenbank auf.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Universitäten nicht miteinander verbunden. Als Facebook die campusübergreifende Vernetzung ermöglichte, stiegen die Nutzerzahlen rapide an und ebne-ten den Erfolg des größten sozialen Netzwerks.

Producer-Friendly-Strategie: Angeworbene Produzenten bringen eigene Konsumen-ten mit
Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter bedienen sich der Producer-Friendly-Strategie. Die Idee hinter dieser Strategie ist es, die Plattform so zu konzipieren, dass sie für Produzenten bestimmte Vorteile bietet. Treten die Produzenten der Plattform bei, bringen sie ihre eigenen Konsumenten mit.

So fungiert zum Beispiel Kickstarter als Intermediär für Produzenten, die für die Umsetzung eines Projekts oder die Gründung eines Unternehmens Kapital benötigen: Über die Plattform können die Produzenten unkompliziert ihre Finanzierungskampagne durchführen – und brin-gen dadurch Konsumenten, ihre Kapitalgeber, zur Plattform. So löst sich das Henne-Ei-Problem sozusagen von selbst.

Anreiz-Strategie: Anreize für Nutzer schaffen, angeworbene Produzenten folgen Kon-sumenten
Und schließlich gibt es noch eine letzte Variante, die sogenannte Anreiz-Strategie. Das Funk-tionsprinzip der Strategie ist einfach:

Durch bestimmte Anreize sollen User angeworben werden. Diesen Nutzern folgen wiederum andere Nutzer.

Bei dieser Vorgehensweise treten die Betreiber häufig als erster Produzent ihrer Plattform auf, wie etwa im Fall von creatlr.com. So können die Betreiber die Qualität und Art der Plattform-Beiträge in die tendierte Richtung lenken.

Auch Google verfolgte diese Strategie für die Entwicklung des Android-Betriebssystems. Um qualitativ hochwertige Apps zur Verfügung stellen zu können, stellte Google als Anreiz Preisgel-der für die Entwicklung herausragender Apps in Aussicht. Die erfolgreichen Entwickler wurden darüber hinaus mit ihren jeweiligen Apps Marktführer, was die Apps wiederum bei Nutzern bekannt und beliebt machte.

All diese Beispiele zeigen, dass es die verschiedensten Strategien gibt, die Plattformbetreibern zum Erfolg verhelfen. Natürlich kann nicht jedes Business Model einer einzelnen Strategie zu-geordnet werden, oft müssen verschiedene Bausteine miteinander kombiniert werden.

Durch den gezielten Einsatz eines oder mehrerer strategischer Elemente kann das Henne-Ei-Problem gelöst werden und aus einer Onlineplattform ein aktives Netzwerk entstehen.

Und ein funktionierendes Netzwerk akquiriert wiederum wie von selbst neue Produzenten, Konsumenten und Partner.

Zur Person

Matthias Walter leitet das Business Model Innovation Lab bei der T-Systems Multimedia Solutions GmbH. Er hilft Kunden dabei, ihr Geschäftsmodell auf Basis der Digi-talisierung zu verbessern oder zu innovieren. Als Experte für Plattform-Geschäftsmodelle hat er das Platform Business Model Canvas entwickelt und bereits erfolgreich angewendet. Mehr dazu erfahrt ihr in seinem Blog digital-ahead.de. Auch als Gründer ist er aktiv und konnte bereits mehrere Startups erfolgreich am Markt platzieren (kicksOmeter, BrunchGuide, krümelkiste)

Bisher erschienen in der Serie Startup Challenges:

Ohne die richtige Motivation ist alles nichts

Kreativität: So kommt man auf richtig gute Ideen

Product Thinking mit dem Product Field – so geht es!

Product Field: So funktioniert die Validierung

Rockt eure Produkt-Optimierung mit dem Product Field

Das Experiment Board hilft: Findet Euer Pro-dukt überhaupt Kunden?

Customer Development: Und was soll ich die Kunden fra-gen?!

Prototyping: Fake it ’til you make it

Die Mutter aller Canvases: Der Business Model Canvas

Business Model Canvas: 27 praktische Fallbeispiele

Value Proposition Design: So etabliert man eine Love Brand

Endlich ein Canvas für Plattform-Geschäftsmodelle