Anti-Exit-Gesetz – Startup-feindlich oder sinnvoll?
Es scheint, als habe ein einziger Abschnitt im Jahreswirtschaftsbericht 2016 des BMWi genügt, um der Gründerszene nach dem „Anti-Angel-Gesetz“ den nächsten Beweis für die Startup-feindliche Politik der Bundesregierung zu liefern. Der Vorschlag der Bundesregierung, den Anwendungsbereich der deutschen Fusionskontrolle künftige auch auf solche Fälle zu erweitern, „bei denen trotz geringer Umsätze des erworbenen Unternehmens der Transaktionswert einer Übernahme (etwa der Kaufpreis) besonders hoch ist“, wurde daher kurzer Hand als „Anti-Exit-Gesetz“ gebrandmarkt.
Der Spiegel berichtete, die Bundesregierung wolle die Übernahme von Startups durch etablierte Konzerne erschweren. Im Handelsblatt hieß es in einem Kommentar: „Erst denken, dann Gesetze entwerfen!“.
Doch treffen die Vorwürfe tatsächlich zu? Will die Bundesregierung den für Startups so wichtigen Exit erschweren? Und welche konkreten Folgen hätte es für Startups, wenn sie zukünftig von der deutschen Fusionskontrolle erfasst würden? Um dies zu bewerten, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, wie das System der Fusionskontrolle funktioniert und warum die Bundesregierung eine Ausdehnung ihres Anwendungsbereichs anstrebt.
Zweck und Funktionsweise der Fusionskontrolle
Die Fusionskontrolle dient der Verhinderung von wettbewerbsschädlichen Marktstrukturen, die entstehen können, wenn beispielsweise ein Unternehmen zu viel Marktmacht erhält oder die Abstimmung einiger weniger Anbieter erleichtert wird. Um diese Funktion zu erfüllen, sehen im Grunde sämtliche Fusionskontrollregime weltweit einen zweistufigen Test vor.
Anhand der sogenannten Aufgreifkriterien wird zunächst bestimmt, ob einem Zusammenschluss überhaupt in abstrakter Form ein wirtschaftliches Gewicht beizumessen ist, welches eine inhaltliche Prüfung rechtfertigt. Ist dies der Fall, wird im zweiten Schritt anhand der Eingreifkriterien untersucht, ob der Zusammenschluss negative Auswirkungen auf den Wettbewerb befürchten lässt, die eine Untersagung rechtfertigen.
Beim „Anti-Exit-Gesetz“ geht es einzig und allein um die erste Stufe, d.h. die Aufgreifkriterien. Die deutsche Fusionskontrolle sieht in § 35 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vor, dass nur solche Zusammenschlüsse inhaltlich zu untersuchen sind, bei denen alle beteiligten Unternehmen (in der Regel Erwerber und Zielunternehmen) gemeinsam weltweit im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss gemeinsam mehr als EUR 500 Mio. erwirtschaftet haben. Zudem muss ein beteiligtes Unternehmen in demselben Zeitraum mehr als EUR 25 Mio. und ein weiteres mehr als EUR 5 Mio. in Deutschland erlöst haben („Inlandsumsatzschwellen“). Letztere Schwellen dienen dazu, hinreichende Auswirkungen auf Deutschland sicherzustellen. Denn das völkerrechtliche Territorialprinzip verlangt, dass ein Staat sein Recht nur auf solche Sachverhalte erstreckt, die auch einen hinreichenden Bezug zu diesem haben.
Für die Frage, wann ein Zusammenschluss auf den ersten Blick genügend wirtschaftliches Gewicht hat, um eine inhaltliche Prüfung zu rechtfertigen, hat sich der deutsche Gesetzgeber, wie im Übrigen auch die Europäische Union, damit für die Umsätze der Unternehmen als Proxy entschieden. Diese Auswahl ist nicht zwingend. Andere Rechtsordnungen sehen abweichende Proxys vor. So stellen manche Nationalstaaten auf die Marktanteile der beteiligten Unternehmen auf einem bestimmten Markt ab (z.B. Spanien). Wieder andere Rechtsordnungen betrachten für die Aufgreifschwelle ihrer Fusionskontrolle den Kaufpreis, den der Erwerber für das Zielunternehmen zahlt.
Die USA beispielsweise stellen im Wesentlichen auf einen solchen „Size of Transaction Test“ ab. Hat ein Zusammenschluss einen Transaktionswert von derzeit mehr als USD 312,6 Mio., ist grundsätzlich eine Anmeldung zur Fusionskontrolle in den USA vorzunehmen.
Ob das gewählte Kriterium für das Aufgreifen eines Zusammenschlusses in der Fusionskontrolle richtig gewählt ist, kann anhand seiner Fehleranfälligkeit gemessen werden. Dabei unterscheidet man Fehler erster Ordnung, bei denen die Fusionskontrolle nicht anwendbar ist, obwohl ein Zusammenschluss zu einer wettbewerblichen Behinderung führen kann, sowie Fehler zweiter Ordnung, bei denen Zusammenschlüsse erfasst werden, die von vorneherein nicht geeignet sind, Wettbewerb spürbar zu beeinflussen.
Übernahme von Whatsapp als warnendes Beispiel
Vor dem Hintergrund der Übernahme von Whatsapp durch Facebook für den Kaufpreis von USD 19 Mrd. entstand – nicht nur in Deutschland – der Eindruck, dass das bisherige Kriterium der Umsatzschwellen für Zusammenschlüsse in der Internetökonomie nicht geeignet ist, um wirtschaftlich unbedeutende von wesentlichen Zusammenschlüssen zu trennen. Denn eine einzelne Transaktion mit einem Gegenwert von USD 19 Mrd. kann augenscheinlich nicht wirtschaftlich unbedeutend sein. Aufgrund der geringen Umsätze von Whatsapp in Deutschland, war der Vorgang jedoch nicht anmeldepflichtig. Dass die Europäische Kommission den Zusammenschluss gleichwohl prüfen konnte (und freigab), war einer Besonderheit des europäischen Fusionskontrollrechts geschuldet.
Wenn die üblichen Kriterien der deutschen und europäischen Fusionskontrolle jedoch nicht geeignet sind, wirtschaftlich bedeutende Transaktionen in der Internetökonomie zu erfassen, liegt offensichtlich ein Fehler der ersten Ordnung vor. Diesen möchte die Bundesregierung korrigieren. Es ist im Übrigen nicht ungewöhnlich, dass für bestimmte Branchen oder Industrien besondere Vorschriften für die Aufgreifkriterien der Fusionskontrolle gelten. So sieht beispielsweise § 38 Abs. 3 GWB vor, dass für die Berechnung der Umsätze für die Herstellung, den Vertrieb und die Veranstaltung von Rundfunkprogrammen das Zwanzigfache der tatsächlichen Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen ist.
Folgen für Start-ups
Wie die Bundesregierung die zukünftige Erfassung von Transaktionen im Style der Übernahme von Whatsapp durch Facebook im Gesetz umsetzen will, ist bislang nicht klar. Der Referentenentwurf für die 9. GWB-Novelle wird jedoch für die nächste Zeit erwartet. Gleichwohl lässt die Formulierung der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht 2016 befürchten, dass der zukünftig erweiterte Anwendungsbereich der Fusionskontrolle zwar die Fehler erster Ordnung vermeiden kann, jedoch auch eine ganze Reihe Fehler der zweiten Ordnung produzieren wird. Denn die Regierung hat ohne Not den Begriff der „Start-ups“ gewählt, obgleich man im Falle von Whatsapp nur schwerlich von einem solchen sprechen kann. Daher könnten je nach Ausgestaltung der Gesetzesnovelle in der Zukunft typische Exitvorgänge in den Anwendungsbereich der deutschen Fusionskontrolle fallen, die bislang ohne dieses regulatorische Erfordernis vollzogen werden konnten.
Die wesentliche Folge für die Startups bzw. deren Gründer oder Eigentümer wäre die Pflicht zur vorherigen Anmeldung des Exits beim Bundeskartellamt. Denn diese Anmeldepflicht trifft, jedenfalls im Falle der Veräußerung von Vermögen des Zielunternehmens oder Geschäftsanteilen, auch den Veräußerer (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 GWB). Der Exit darf demnach erst nach Freigabe durch das Bundeskartellamt erfolgen. Ein anmeldepflichtiger Exit, der ohne Freigabe vollzogen wird, ist rechtlich unwirksam und kann vom Bundeskartellamt „entflochten“, d.h. rückabgewickelt werden. Zudem kann ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht mit einem Bußgeld belegt werden. Von beiden Instrumenten hat das Bundeskartellamt in der Vergangenheit mehrfach Gebrauch gemacht.
Selbst wenn jedoch die deutsche Fusionskontrolle in Zukunft Exits deutscher Startups erfassen sollte, würden der bürokratische Mehraufwand und die Mehrkosten überschaubar ausfallen. In zeitlicher Hinsicht muss das Bundeskartellamt innerhalb von einem Monat ab Zugang der Anmeldung über diese entscheiden, es sei denn, es handelt sich um einen Fall, der aufgrund seiner möglichen wettbewerblichen Auswirkungen einer vertieften Analyse bedarf. Exits, bei denen es zu keinerlei wettbewerblichen Überschneidungen zwischen Erwerber und zu erwerbendem Startup kommt, würde das Amt innerhalb von ca. ein bis zwei Wochen freigeben. Die Anmeldung selbst muss zwar schriftlich erfolgen.
Die Pflichtangaben sind jedoch in ihrem Umfang sehr beschränkt und in der Regel dürfte eine Anmeldung von einigen wenigen Seiten genügen, auf denen grundsätzliche Angaben zum Erwerber, dem Start-up und der Art der Transaktion gemacht werden. Die Gebühren für eine solche Anmeldung bewegen sich im niedrigen bis mittleren vierstelligen Bereich. Üblicherweise werden diese Gebühren zudem vom Erwerber getragen. Der regulatorische Mehraufwand hält sich im Falle der deutschen Fusionskontrolle daher sehr in Grenzen.
Fazit:
Ob typische Exits in Zukunft von der deutschen Fusionskontrolle erfasst werden, hängt von der konkreten Umgestaltung des GWB durch den Gesetzgeber ab. Da durch einen Exit in der Regel keine wettbewerblichen Bedenken ausgelöst werden, ist es kaum vorstellbar, dass diese in Zukunft durch die deutsche Fusionskontrolle verhindert oder gar erschwert werden würden. Die mögliche Anmeldepflicht der Exits zur deutschen Fusionskontrolle wäre im Regelfall eine bloße Formalität, deren Mehraufwand in jeder Hinsicht überschaubar ausfiele.
Gleichwohl ist denjenigen, die vor einem „Anti-Exit-Gesetz“ warnen, zuzugeben, dass eine Gesetzesänderung, welche die Erfassung von Transaktionen in der Größenordnung der Übernahme von Whatsapp durch Facebook ermöglichen soll, so gestaltet werden sollte, dass unkritische Exits deutscher Startups von vorneherein herausgefiltert werden. Denn wie gezeigt bedeutet eine gute gesetzliche Konzeptionierung der Fusionskontrolle, dass sowohl Fehler der ersten als auch der zweiten Ordnung vermieden werden. Zudem muss die Erweiterung der Fusionskontrolle in Abstimmung mit der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten erfolgen. Andernfalls droht ein gesetzgeberischer Flickenteppich und Kleinstaaterei bei der fusionskontrollrechtlichen Prüfung unkritischer Exits.
Von einem „Anti-Exit-Gesetz“ zu sprechen, ist daher verfrüht. Die Wortwahl der Bundesregierung war jedoch mehr als unglücklich. Es ist kein Zufall, dass der Vorschlag der Monopolkommission zur Erweiterung der Fusionskontrolle zur Erfassung der Fusionen in der Internetökonomie im Juni 2015 bei weitem nicht so negative Reaktionen hervorgerufen hat wie nunmehr der Jahreswirtschaftsbericht. Der gesetzgeberische Prozess ist daher weiter kritisch zu verfolgen und nach Vorlage eines Entwurfs einer neuerlichen Bewertung zu unterziehen. Man darf hoffen, dass die Regierung den Weckruf bereits gehört hat.
Zur Person:
Dr. Kim Manuel Künstner ist Kartellrechtsexperte in der Frankfurter Rechtsanwaltssozietät Schulteriesenkampff. Er berät insbesondere Unternehmen aus dem e-Commerce-Sektor zu allen kartellrechtlichen Fragen, insbesondere zu Händlerbeschränkungen in Vertriebsverträgen, Beschwerden gegen marktbeherrschende Unternehmen und Compliance. Zudem bloggt er regelmäßig zu rechtliche Fragen des e-Commerce.
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