Antonia Ermacora (chatshopper) im Portrait
“Suche nach Menschen mit Entrepreneurial Drive”
Antonia Ermacora hat mit chatshopper den Nerv der Zeit getroffen: “Conversational Commerce” heißt der neue Trend. Per WhatsApp-Chat bekommen Kunden direkte Einkaufsberatung. Nun hat WhatsApp den deutschen Dienst gesperrt. Für die junge Seriengründerin ist das aber kein Grund um aufzugeben. Im Gegenteil: Jetzt will sie es erst recht wissen.
Wenn in der deutschen Gründerszene darüber nachgedacht wird, warum der Frauenanteil unter Online-Gründern vergleichsweise gering ist, heißt es oft: Frauen hätten ein größeres Sicherheitsbedürfnis. Deshalb gründeten sie seltener oder mit längerer Vorbereitung. Auf Antonia Ermacora trifft beides nicht zu. Mit Anfang 30 hat sie bereits mehrfach gegründet und jedes Mal schnell und aus dem Bauch heraus. Sie ist Anhängerin der „Lean-Startup-Methode“. Wenn sie etwas gründet, sieht das so aus: schnell mit einem Prototypen rausgehen, Tests durchführen, finanzielle Risiken gering halten, langsam wachsen.
„Im schlimmsten Fall gehen wir pleite und suchen uns wieder normale Jobs“
So wie bei chatShopper. Ermacora lacht, wenn sie an ihren Anwaltstermin kurz vor der Gründung denkt. Bei dem Treffen konfrontiert die Anwältin sie mit unzähligen rechtlichen „Wenn und Aber“. Es kommt ihr erdrückend vor. Bis sie sich durchringt und einfach loslegt, auch wenn nicht alle rechtlichen Detailfragen geklärt sind: „Egal, im schlimmsten Fall gehen wir pleite und suchen uns wieder normale Jobs.“ Wenn man sich im Vorfeld zuviel mit theoretischen Problemen beschäftige, komme man in Deutschland nie zum Machen – gewisse Risiken müsse man eben eingehen, ist sie überzeugt.
Mit dieser Kombination aus Bodenständigkeit und Risikobereitschaft hat die 31-Jährige es geschafft, chatShopper aufzubauen. Die Idee zu dem Chat-Dienst für direkte Einkaufs-Beratung kommt ihr während eines Praktikums beim Versand-Riesen Otto. Weil sich die Idee intern nicht umsetzen lässt, macht sie sich selbst daran – mit Otto als strategischem Partner im Rücken.
Die größte Schwierigkeit besteht für Ermacora darin, ihren Wunsch-Gründungspartner Matthias Nannt von der Idee zu begeistern. Ein schnell entwickelter Prototyp und die Reaktionen auf ihre Facebook-Werbung überzeugen den ITler: „Zehn Minuten nach Freischaltung unserer Facebook-Werbung kam die erste Anfrage. Kurz darauf konnten wir die Anfragen kaum noch bewältigen.“ Für Ermacora der Beweis, dass nach „Curated Shopping“ die Zeit reif ist für „Conversational Commerce“. Heute, ein knappes Jahr später, beschäftigt chatShopper bereits 15 Mitarbeiter.
Erstes Projekt: ein Doppeldeckerbus-Café
Die Kielerin mit dem herzlichen Lachen ist froh, dass sie vor chatShopper schon Gründungserfahrung gesammelt hat. Als sie mit Anfang 20 für drei Monate nach London geht und dort schwer verliebt hängen bleibt, will sie nicht „irgendeinen Überlebens-Job“ machen. Doch ihre Ausbildung als Veranstaltungskauffrau ist mitten in der Wirtschaftskrise nicht gefragt. Aus der Not heraus – und weil sie alte Autos liebt – kauft sie einen alten, roten Doppeldecker-Bus und baut ihn zu einem mobilen Café um. Mit dem „Coffeeshop on wheels“ ist sie auf Veranstaltungen, Konzerten oder in der Innenstadt unterwegs. Das Gefährt ist ein echter Hit, mittlerweile mehrfach kopiert. Ermacora merkt: Die Auseinandersetzung mit Personal, Marketing, Steuern machen ihr Spaß. Im Bus zu stehen und Sachen zu verkaufen hingegen nicht. „Ich bin wohl eher die, die Sachen anstößt“, lacht sie.
Dann werden Ermacora und ihr jetziger Mann Eltern. Es zieht die beiden zurück nach Deutschland, den Bus kann sie noch gewinnbringend verkaufen. In der neuen Heimat Kiel sitzt sie allein und noch ohne Netzwerk mit Kind – und langweilt sich. „Da habe ich angefangen, BWL zu studieren.“ Bis sie das Praktikum bei Otto beginnt und wieder zur Gründerin wird: zuerst mit fairpiece, einer Plattform für fair gehandelte Produkte, kurz darauf mit chatShopper.
Ermacoras Mitarbeiter entwickeln eigene Projekte
Und nun also das Drama mit WhatsApp. Der Messenger-Dienst hat chatShopper kurzerhand gesperrt. Ermacora nimmt es gelassen. „Für uns war es der Anlass, am Gesamtkonstrukt unseres Start-ups zu ruckeln. In Zukunft will ich regelmäßig einen ‘WhatsApp-Tag’ einlegen und alles vom Punkt Null aus betrachten. So bleibt man flexibel.“ Jetzt fokussiert sie sich auf Facebook. Ein Rückschritt? „Nein, entgegen aller Prognosen sind gerade junge Menschen sehr aktiv bei Facebook. Und weil junge Leute immer neugierig sind, wenn sie etwas komplett Neues im Facebook-Stream sehen, haben wir großen Zulauf bei dieser Gruppe.“
Ermacora selbst will als Gründerin komplett anders vorgehen als der verschlossene Nachrichten-Dienst WhatsApp. „Ich suche gezielt nach Menschen, die Entrepreneurial Drive haben. Wir ermutigen dazu, auf der Grundlage von chatShopper neue Dinge zu entwickeln.“ Verschiedene Mitarbeiter testen bereits die Adaption auf den Food-, Erotik- und Versicherungsbereich. „Mein Ziel ist: Wir wollen ein cooles Rocket werden!“, lacht die 31-Jährige mit dem rot-blonden Haarschopf. Die Betonung liegt dabei nicht auf „Rocket“, sondern auf „cool“.
Manchmal scheint es, als könne die Ex-Londonerin ihre rasante Reise mit chatShopper selbst noch nicht fassen. „Als wir am Anfang den Kontakt zu Investoren gesucht haben, wollten wir eigentlich nur eine Rückmeldung zu unserer Idee. Nach dem ersten Abtasten haben wir gleich Geld angeboten bekommen – das hat uns umgehauen!“ Mittlerweile haben die ehemaligen Zanox-Gründer Jens Hewald, Heiko Rauch und Thomas Hessler sowie Barcoo rund 150.000 Euro in das Start-up gesteckt. Die eigentliche Seed-Runde erwartet Ermacora für kommenden Herbst, dann will sie bis zu drei Millionen einsammeln.
„Ideen testen ist mein Ding“
Und wie vereinbart die quirlige Gründerin Beruf und Familie? Vor zwei Jahren ist noch ein zweites Kind dazu gekommen. „Mein Mann unterstützt mich sehr, ansonsten ginge vieles nicht. Ein Start-up ist und bleibt ein Fulltime-Job.“ Für sie selbst bedeutet das: Am Wochenende wird abends noch gearbeitet. Und während ihrer Berlin-Zeiten – Ermacora pendelt viel zwischen Kiel und dem Gründungsstandort Berlin – legt sie sich möglichst viele Termine in den Kalender und arbeitet bis 23 Uhr. „Klar, die Work-Life-Balance könnte besser sein, aber die Arbeit macht mir zum Glück so viel Spaß, dass es geht.“
In den kurzen Verschnaufpausen träumt Ermacora auch. Zum Beispiel davon, eines Tages nicht mehr arbeiten zu müssen, sondern arbeiten zu dürfen. Mit netten Leuten zusammen auf einem alten Hof zu leben, den man gemeinsam umbaut und der eine Werkstatt hat, mit viel Land drum herum. Und dann Zeit für die Entwicklung neuer Ideen zu haben, die auf Umsetzung warten. „Ideen testen ist eben mein Ding, ich bin der Starter-Typ – ob ich jemals langfristig etwas leiten werde, weiß ich noch nicht.“, erklärt Ermacora. Aber es kümmert sie auch nicht. Denn sie ist nicht der Typ Mensch, der sich im Vorfeld sorgt, sondern die Dinge auf sich zukommen lässt. Und damit fährt sie gut.
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