Von Team
Donnerstag, 5. November 2015

Gordon Gekko im Bällebad – eine Liebeserklärung

Gastautor Moritz Grumbach macht sich Gedanken zu Rocket Internet - und landet dabei irgendwo zwischen Ehrfurcht, Brummkreiseln und Götterdämmerung. Zweifelsohne mehren sich die schadenfrohen Stimmen, was den jüngsten Mangel an Ideen - und Erfolgen – der Berliner Kaderschmiede betrifft.

Neulich auf dem Weg nach Berlin bringt es meine wunderbare Freundin doch fertig, die folgende kongeniale Frage in den Raum zu stellen: „Du, dieses Rocket Internet… ist das schneller als normales DSL?“. Die Expertenantwort: „Ja Schatz, dafür kostet der Anschluss aber auch 1,7 Millionen Euro pro Monat inklusive Festnetztelefonie.“ In der Tat: wenn man in acht Jahren trotz fast zehnstelliger Verluste so etwas wie das Walhall der deutschen Gründerlandschaft errichtet hat, versteht man zweifelsohne etwas von Kommunikation. Zalando, Hellofresh oder jetzt auch Movinga – der Stempel „Samwer Inside“ ist ein Ritterschlag, wenn auch einer von Raubrittern, wie man mittlerweile weiß.

Einreiten, angreifen, weiterziehen: es weht etwas von einem napoleonischen Mythos über der Johannisstraße 20, dem Berliner Büro der Internetfirma. Sieht man sich Fotos von den bunten Sitzmöbeln und den schneidigen Ex-Mackies, Bainies und Goldmännern im Berliner Office an, wirkt das alles ein bisschen so, als hätte Erwin Rommel gerade seinen Geburtstag bei McDonald‘s gefeiert. Wirklich heimelig mag das nicht sein, aber es erzeugt Ehrfurcht, Neid – und in letzter Zeit auch Häme. Kleiner Witz von mir gefällig? Was ist der Unterschied zwischen einer Musterung und dem Bewerbungsgespräch bei den Samwers? Es gibt keinen: Erst bücken, dann husten – und hinterher fährt man Essen auf Rädern.

Zweifelsohne mehren sich die schadenfrohen Stimmen, was den jüngsten Mangel an Ideen – und Erfolgen – der Berliner Kaderschmiede betrifft. Shopwings: sorry, we’re closed. Eatfirst: macht erstmal Verdauungsschläfchen. Helpling: hat Pflegestufe II angemeldet. Spaceways: verbrennt gerade die leeren Kartons – siehe auch “7 Rocket Internet-Startups, die derzeit nicht rocken“. Dazu kommen PR-Eskapaden, die so klingen, als hätte Investment Punk Gerald Hörhan gerade an einem Speed-Reading mit kochend heißer Buchstabensuppe teilgenommen: Entlassungen als natürliche Reaktion auf schnelles Wachstum? Puh. Positives EBITDA vor Marketingkosten? Eieiei. Was kommt als nächstes… geplanter Umsatz vor Einnahmen? Gewünschtes Betriebsergebnis nach Ernie und Bert? Bevor ich aber mit großem Juchzen noch weiter in diese Kerbe schlage (Rocket baut einen Marktplatz für Brummkreisel, Bonativo liefert das Wurfobst für die nächste Hauptversammlung), möchte ich an dieser Stelle eigentlich etwas ganz anderes loswerden: Ein Geständnis. Ein Scheitern. Und eine Liebeserklärung.

Ich bin nämlich eine Wurst. Aus mir wird nie so ein fescher VP Global Markets, da kann ich mir so viele babyblaue Hemden überziehen, wie ich will. Ich bin immer der erste, der sich beim CEO Dinner mit Spaghetti-Soße einsaut und kann von Glück reden, wenn mir beim Pitchen nur der Mund und nicht der Hosenlatz offen steht. Neulich hatte im Soho House einen leeren Teller vor mir stehen, da haben glatt ein paar Leute Münzen reingeworfen.

Kurzum: Ich bin, zumindest bis mein eigenes Startup abhebt, vorerst ein Nichts. Die von Rocket lassen mich wahrscheinlich nicht mal das Altglas wegbringen. Aber ich bewundere offen, ja glühend, wie schnell und konsequent die Jungs denken, reden, handeln – einfach machen! Denn während hierzulande noch die meisten Hanswurschte überlegen, ob sie wirklich gründen wollen oder nur ein schickes T-Shirt haben möchten, auf dem steht „ich bin Gründer“, haben Marc, Oliver und Alexander in den letzten Jahren mehr Einhörner ins Leben geholt als der verdammte Schmendrick und America im gleichnamigen Zeichentrickfilm zusammen. Diese Unternehmen sind es, die mittlerweile eine Menge Aufmerksamkeit, Geld und Talente nach Deutschland gezogen haben, und dafür sorgen, dass sich mittlerweile auch der Head of HR bei der Commerzbank heute Strähnchen färbt, nur um nicht eine neue Generation von Arbeitnehmern zu verpassen, die Pitches, Pivots und IP spannender findet als Bullshit-Bingo bei den Big Four und aufgestellte Polokragen.

Kurzum: Rocket hat unsere Arbeitswelt nachhaltig  verändert, die öffentliche Wahrnehmung von Gründern verbessert und dabei Companies ins Leben gerufen, die –  nun ja: zumindest wirklich groß sind. Zugegeben, Jamba war letztlich nur im Schlafwaggon der DB wirklich disruptiv, bei Zalando schreien vor allem die Retouren vor Glück, und die Industriepioniere Krupp, Bosch und Daimler, die Oliver Samwer heute als unternehmerische Benchmarks nennt, hätten von Rocket damals wahrscheinlich nie Geld bekommen. Aber sei’s drum. Von denen, die jetzt alles besser wissen, haben wohl nur wenige die Eier – und die Kontakte, etwas Gleichartiges zu versuchen.

Spitz formuliert: Jetzt auf Rocket herum zu trampeln, ist in Wirklichkeit nicht mehr als das Microsoft Bashing der Zweitausenderjahre. Klar ist so ein Koloss irgendwie unheimlich, klar fehlen echte Innovationen. Aber die echte „Pain in the ass“, nämlich Clippy die sprechende Büroklammer, um beim Bild zu bleiben: das sind wir, die Besserwisser, die gerade allerorten ungefragt auf dem Bildschirm erscheinen, ihren Senf abgeben und in Wirklichkeit doch nur davon träumen, einmal zwischen Gordon Gekko und den Samwers im Bällebad aufzuwachen. Ich jedenfalls möchte nicht, dass diese Rakete verglüht, wenn sie nachdem nächsten Börsencrash wieder in die Hemisphäre eintritt. Und vor allem möchte ich wissen, wie es mit dem Unternehmen weiter geht. Was kommt als nächstes? Der Komiker Harry G jedenfalls hatte mit „Zalando für Zierfische“ für Rocket unlängst ja einen ganz, ganz heißen Tipp. Und in der Tat: die Margen auf bolivianische Süßwasserrochen, so sagt man, sollen wahrhaft gigantisch sein.

Passend zum Thema: “‘Du denkst, wenn du live bist, wird alles einfacher’ – Moritz Grumbach von Gastrozentrale“.

Zur Person
Moritz Grumbach ist Gründer und CEO des Münchner Startups Gastrozentrale.de und derzeit Teilnehmer im Techstars METRO Accelerator Programm mit Sitz in Berlin.

Foto: Young boy having fun and hiding in hundreds of colorful plastic balls from Shutterstock