“Du denkst, wenn du live bist, wird alles einfacher”
In der Gastrozentrale dreht sich alles um Gastronomieeinrichtungen. Über 50.000 Artikel sind auf der recht jungen Plattform versammelt – von Kühlschränken über Pizzaöfen bis zur Getränketheke. Mitgründer Moritz Grumbach spricht im Interview mit deutsche-startups.de über den Thrill des Aufbruchs, selbsternannte Business Angels und Hochglanz-Laune.
Sie haben Anfang dieses Jahres Gastrozentrale gegründet. Wo steht ihr Baby heute?
Um beim Bild zu bleiben: Das Zahnen, ERP-Einbindung, haben wir gerade hinter uns, gerade steht laufen lernen auf dem Programm, was heißt: täglich in SEA und Conversions von Grobmotorik auf Feinmotorik umschalten, Kunden bespaßen, Reichweite vergrößern – die übliche Mischung aus gesundem Größenwahnsinn und knackiger Detailarbeit – in kürzester Zeit, und wie in allen Start-ups unter verschärften Bedingungen – wenig Ressourcen.
Blicken Sie bitte noch einmal zurück: Was war vor der Gründung die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung war, unter sehr wechselhaften Rahmenbedingungen wie: Ist das Team richtig?, Haben wir genug Ressourcen?, Mag der Markt unsere Idee?, Wie machen wir Investoren gierig?, den Fokus zu halten, und dabei das eigene Geldausgeben drastisch zurückzufahren. Mein Co-Founder Frank Itterheim und ich haben die Shop-Entwicklung und die ersten Monate komplett gebootstrapped und zahlen uns bis heute keine Gehälter – da sind wir schon extrem froh, in der Gastro zu sein, so bekommt man wenigstens ab und an ein paar Drinks umsonst und steht bei Disco-Edi auf der Gästeliste.
Wovon leben Sie denn, wenn Sie sich kein Gehalt zahlen?
Von eigenen Rücklagen, von preisgünstigen Variationen aus Haferflocken, Eiern und Speck und von den gelegentlichen Zugaben meiner Freundin. Und nein, da läuft nicht Joe Cocker’s “You can leave your head on” im Hintergrund, ich meine den Wocheneinkauf beim Discounter.
Wie hat ihr Umfeld, ihre Familie drauf reagiert, als Sie verkündet haben, dass Sie ein Unternehmen gründen wollen?
Abgesehen davon, dass meine Familie bis heute nicht wirklich Ahnung hat, was genau wir machen – bestes Zitat meiner Mutter: Wer ist denn dieser SEO, von dem jetzt alle reden? -, ist die Unterstützung sehr gut, vielleicht gerade weil sie nicht so involviert sind und klassische Werte vertreten – die wären auch happy, wenn ich Gänse züchte. Mein Vater rät mir, am Boden zu bleiben, meine Mutter, nicht soviel zu arbeiten, und meine Neffen finden es cool, dass wir jetzt mit einem Fernsehsender zusammenarbeiten. Und ja, meiner Freundin schanze ich natürlich die ganzen Muster zu, die wir immer bekommen. Geschirr und Messer haben wir jedenfalls jetzt genug, auch wenn nix zueinander passt. Ich freu mich schon auf die nächste Wichtel-Party.
Wie lange hat es der Weg von der Idee zur Umsetzung gedauert?
Gegründet haben wir im November 2014, und seit Mai 2015 sind wir live. Das war bis zum Markteintritt eine sehr anstrengende Zeit, aber wir hatten mit Code Alliance einen extrem guten Partner und hatten auch so viele kleine Highlights und Lernerfahrungen bis zum Start. Im Grunde ist es so: Du denkst, wenn Du live bist, wird alles einfacher – und das Gegenteil ist der Fall. Und genauso ist es mit der Kohle: Du denkst, wenn Du ausreichend gefundet bist, dann kommt endlich eine ruhigere Phase – dabei geht der Druck genau erst dann wirklich los. Aber man braucht eben die Euphorie und die entsprechende Naivität, um dann überhaupt Kraft und Durchhaltevermögen für den „echten“ Startup-Betrieb zu haben.
Haben Sie ihren Weg in die Gründung schon einmal bereut oder gar daran gedacht, alles hin zu schmeißen?
Man erlebt als Gründer ja so einiges: Von selbsternannten Business Angels, die für ihr Investment eine selbstschuldnerische Bürgschaft haben wollen – großartige Idee, da kann ich mir das Geld gleich in der Türsteherszene leihen – über Lieferanten, die digitale Produktbilder über das Faxgerät schicken bis hin zu Kunden, die nach der Lieferung untertauchen und am besten ihren offenen Haftbefehl auch noch auf Facebook posten. Die Gastro ist halt mindestens genauso crazy wie die Startup-Szene selbst. Aber bereut haben wir noch nichts, und mit unseren Investoren haben wir auch richtig gute Leute erwischt, die immer hinter uns gestanden haben. Sicher gibt es Tage, an denen man auch mal phasenweise schlechte Laune hat, aber ohne hartnäckiges Dranbleiben und schnelles Umschalten auf supergute Hochglanz-Laune würde kein Start-up überleben.
Von dieser Hochglanz-Laune lebt die ganze Szene, ist es alles nur Show?
Nein, das wäre ungerecht und ein falscher Eindruck. Die gute Laune ist einfach Teil der täglichen Professionalität bei vielen Leuten, und bei anderen wiederum einfach der Thrill des Aufbruchs, etwas eigenes zu machen. Ich bin seit unserem Start nicht mehr so in der Szene involviert, aber die Vitalität und vor allem die wahnsinnige Hilfsbereitschaft innerhalb der Branche ist etwas ganz tolles, das einen durch viele Phasen tragen kann und einen permanent neu belebt. In München ist die Szene zudem weniger elitär, wir haben hier kaum Stars, dafür viele kreative und engagierte Köpfe, die offen sind für neue Ideen, Kontakte – und natürlich frisches Geld.
Wie hat sich ihr Alltag, speziell aber ihr Arbeitsalltag mit der Gründung verändert?
Man sollte sehr schnell lernen, sich gut zu organisieren, sonst landet man bald im absoluten Chaos. Wer zudem nicht delegieren kann, sei es, dass er es nicht will – Stichwort Kontrollfreak – oder nicht kann, weil die richtigen Leute fehlen, ist ebenfalls ziemlich schnell verloren. Gottseidank haben wir ein 1-A-Team, das meinem Co-Founder und mir den Rücken freihält, wenn wir wieder mal beim Funding oder bei Business Development-Terminen rumturnen. Ich selbst musste lernen, extrem flink zwischen völlig unterschiedlichen Themen hin- und herzuschalten, was mir Anfangs ziemlich schwer viel. Ich werde beileibe nie ein Meister im Multi-Tasking, aber ich lege mir mittlerweile Aufgaben in 15-Min-Slots und schaue, das sie thematisch zusammenpassen, damit der Tag nicht völlig zerrissen wird.
Wie genau stimmen Sie sich mit ihrem Mitgründer Frank Itterheim ab, wer ist wofür zuständig?
Frank und ich kennen uns seit 20 Jahren – ohne seine Leidenschaft, seine Akribie und seinen, auch finanziellen, Großmut stünden wir heute nicht hier. Wir haben eine ziemlich ähnliche Denke, sind aber komplett verschieden, was unsere Stärken betrifft. Ich bin der Autoverkäufer im Team, der permanent neue Leute anquatscht und sich gleichzeitig um die Zahlen kümmert – was eine seltene, aber sehr fruchtbare Kombination ist, weil man Ideen und Potenziale und ihre Machbarkeit und Resultate sofort abgleichen kann. Frank kümmert sich um den Shop, das Product Listing, das Bestellmanagement etc. und hat darüber hinaus ein atombetriebenes Adlerauge, was die saubere Exekution aller operativen Tätigkeiten angeht. Nachdem wir bereits gemeinsam eine erfolgreiche Firma in einer ähnlich schillernden Branche – Musikbusiness – geführt haben, verstehen wir uns zu 99 % blind – und das fehlende eine Prozent wird mit Spesenexzessen im Bahnhofsviertel und ultimativen Whatsapp Emoticon-Schlägereien wieder wettgemacht.
Was raten Sie anderen Gründern, die eine Idee in die Tat umsetzen wollen?
Erstes: Ganz schnell lernen, dass das ganze Los-Angeles-Tel Aviv-Awesome-Revolution-Gequatsche in der Szene ein riesen Mist ist. Auf LinkedIn, Facebook und den einschlägigen Portalen findet man halt die anglo-amerikanischen Kalendersprüche und den ganzen Gründer-Pornomovie-Soundtrack. Mein gut gemeinter Tipp: lern die Tanzschritte dazu, wippe gerne zum Takt, aber stell zuhause bitte einen anderen Sender ein. Zweitens: Ohne Detailversessenheit funktioniert kein Größenwahnsinn – wenn Du nicht selbst radikal schnell die nötigen Strukturen entwickelst, wird es später niemand anderes für dich tun. Das gilt auch für die ungeliebte Buchhaltung – ja ich weiß, Du warst auf einer Privatuni, da ging es um globale Strategien, den Kleinscheiß können ja die von der FH machen, right? Drittens: Auch wenn die einschlägig Bekannten in der Branche etwas anderes verlauten: Wenn dein Business Modell schon im Kleinen nicht funktioniert, macht Skalierung nichts, aber auch gar nichts wett. Dein Logo machst Du ja auch nicht einfach eine Nummer größer, wenn die Schrift schon bei 12pt scheiße aussieht. Und ach ja, einen guten Rat hat mir Ben Zacher, CEO von pflege.de, gestern wieder mal gegeben: Take the money, when you get it, not when you need it. Eine Tankstelle suchen, wenn der Motor schon stottert, ist keine gute Idee. Danke Ben!
Passend zum Thema: “In München ‘entstehen unter Druck Diamanten’”