Finanzierung
Wann macht Bootstrapping Sinn, wann Venture Capital?
Kurz zur Erläuterung: Venture Capital ist Risikokapital, das i.d.R. durch einen institutionalisierten Investor vergeben wird, um ein Unternehmen zu skalieren. Bootstrapping hingegen umschreibt den Weg, aus eigenen Mitteln zu wachsen. Man gibt also nur das Geld aus, was man bereits verdient hat.
Das eine schließt das andere nicht aus, auch wenn es häufig so verstanden wird. Meist sind Bootstrapping-Startups erst viel später in einer Wachstumsphase, in der sie über eine Venture Capital-Finanzierung nachdenken. Der Druck ist dann im Vergleich zur Gründungsphase anders gelagert: Es geht weniger darum, das Unternehmen aufzubauen und zu den ersten 1000 Kunden zu bringen, sondern den Sprung von 1.000 auf 10.000 oder 100.000 Kunden zu schaffen. Statt „nur“ das Gründerteam zu finanzieren, müssen in einer späteren Phase Mittel für Internationalisierung, Strukturen und große Marketing Kampagnen aufgebracht werden. Der Bedarf ändert sich also im Lebenszyklus eines Unternehmens.
Deshalb: Es gibt nicht den „richtigen“ oder „besseren“ Weg, sondern einfach nur verschiedene Alternativen. Und genau auf diesen Unterschied möchte ich hier eingehen – um zu bewerten, wann Bootstrapping und wann Venture Capital in einer frühen Phasen Sinn machen.
Aufbau vs. Wachstum: Die Phase ist entscheidend
Ausschlaggebend für die Art der Finanzierung ist die Phase, in der das Startup gerade steckt. Fehler Nummer 1 beim VC-Pitch ist, dass noch überhaupt keine Substanz vorhanden ist: Kein Team, keine Kunden, kein Produkte… sondern höchstens eine gute Idee.
Natürlich könnte ein Investor trotz bescheidener Informationen und ungeachtet eines noch frühen Entwicklungsstadiums dennoch investieren. Diese Fälle sind in der Praxis aber sehr selten, da noch nicht eingeschätzt werden kann, ob das Produkt in dem gewünschten Markt überhaupt funktioniert und gut angenommen wird. In dieser Phase ist Bootstrapping meist die einzige Möglichkeit.
Aber auch das ist nicht immer einfach: Gerade am Anfang muss man viel Zeit investieren und oft reicht die Arbeit am eigenen Startup am Wochenende nicht aus. Um die Gründung voranzutreiben, ist die Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses dann ein notwendiger Schritt. Zur Finanzierung des Lebensunterhalts muss trotzdem irgendwie Geld her – von Luft und Liebe allein können auch Gründer nicht leben.
Unter diesen Bedingungen ist Venture Capital allerdings nicht der „way to go“. Warum auch viele Anteile in einer so frühen Phase abgeben? Es gibt gute Alternativen, um das Unternehmen zu Beginn aufzubauen und ein erstes Produkt zu entwickeln, mit dem man die ersten Kunden gewinnen kann: Neben Business Angels und Crowdfunding, Arbeitslosengeld und dem Gründungszuschuss (den ich damals auch bekommen habe) gibt es die Option der Querfinanzierung aus anderen Projekten. Auch ein Teilzeit-Freelance-Job an 2 Tagen pro Woche kann einen Kühlschrank manchmal bereits füllen und die Miete bezahlen. Alles eine Frage des Anspruchs.
Diese Gründungs- bzw. Startphase kann je nach Arbeitsintensität und Produktumfang ein paar Wochen, aber auch mal 2 Jahre dauern. Einen festen Zeitraum gibt es nicht. Aber dann…
Stell dir vor, jemand gibt dir morgen eine Million Euro für dein Business
Was würdest du tun?
Die Frage ist provokant, aber genau damit wird ein potenzieller Investor das Gründerteam konfrontieren. Viel Geld zu bekommen macht nur dann Sinn, wenn du viel Geld (sinnvoll) ausgeben kannst. Aussagen wie „damit machen wir Marketing“ oder „wir internationalisieren“ reichen einfach nicht aus. Denn ein feiner Unterschied zur ersten Phase ist, dass es jetzt nicht mehr um die Suche nach dem Product-Market-Fit geht, sondern um Skalierung.
Ein Beispiel: Du schaffst es, mit 100 € zwei Kunden zu gewinnen, kannst du aber auch mit 1.000€ 20 Kunden gewinnen? Ist die Antwort „ja“, dann deutet dies auf Skalierungspotenzial hin. Weil aber nicht alle Marketing-Kanäle beliebig skalierbar sind, hilft ein Blick in die Marketing KPI weiter.
Doch Obacht – eines habe ich in den letzten Jahren gelernt: Skalieren ist schwer!
Wenn deine Keywords bei Google einfach nicht häufiger gesucht werden, als sie es laut Prognose sollten… Wenn das Sales-Team und dessen Leistung sich nicht ohne weiteres verdoppeln und verdreifachen lässt… Wenn internationale Märkte ganz anders funktionieren und du jedes Mal in der Produktgestaltung wieder von vorne beginnst… Dann stehst du vor klassischen Skalierungsproblemen. Aber wenn du diese mit konkreten Maßnahmen lösen und dies einem interessierten Investor glaubhaft vermitteln kannst, dann ist Venture Capital ein guter Weg.
Venture Capital dient zur Vorfinanzierung von Wachstum. Beim Bootstrapping musst du den Umsatz erst erwirtschaftet haben.
Venture Capital vs. Bootstrapping – Beides macht Sinn
Dein Geldgeber will wissen, wofür du die Mittel ausgegeben wirst. Ziel ist und bleibt Wachstum. Um dies zu verdeutlichen, hier drei Beispiele zu klassischen Fragestellungen im Online-Business:
SEO: Nehmen wir an, du hast SEO-Traffic als einzig skalierbaren Kanal identifiziert. Was würdest du mit einer Million Euro tun? 5 Mitarbeiter einstellen, die SEO Content produzieren? Das lohnt sich nur unter der Voraussetzung, dass ein unglaublich hohes Suchvolumen für dein Geschäftsfeld existiert. Darüber hinaus muss es zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit zunächst ausreichen, dass die Aktivitäten erst mittel- bis langfristig Früchte tragen. SEO geht nun mal nicht von heute auf morgen.
Direktverkauf: Wenn ein Mitarbeiter pro Tag per Telefon einen Kunden gewinnen kann, können 2 Mitarbeiter 2 Kunden gewinnen? Wenn ja, dann ist der Kanal (zumindest im kleinen) skalierbar, wenn nein, dann nicht. Sales-Power im Team lohnt sich aus Erfahrung übrigens nur, wenn die Umsätze pro gewonnenem Kunden entsprechend hoch sind. Am Beispiel von FastBill, was bereits für 5€ pro Monat genutzt werden kann, wäre ein Salesaufwand von einem Tag pro Kleinkunde wirtschaftlich nicht rechtfertigbar. Auch diese Rechnung muss also stimmen.
Programmierung: Was meist unterschätzt wird, ist der Marketing-Wert einer guten Produktgestaltung. Die Frage ist also, ob zwei Entwickler das Produkt doppelt so schnell und mindestens in derselben Qualität bauen können wie ein Entwickler – um damit doppelt so viele Menschen oder mehr zu überzeugen. Der Grund, warum wir alle Tools wie Mailchimp und Co. nutzen, sind überzeugende Features und eine leichte Bedienbarkeit. Kein Marketing, sondern ein gutes Produkt.
Ich denke, das Muster wird klar. Wenn du genau weißt, wie du 1 Mio. € investieren musst um mehr Kunden und Umsatz zu machen, dann wird jeder Investor dein bester Freund. Aber leider sind solche Schwarz-Weiß-Cases selten, da die benötigten Zahlen in der Regel zu Beginn nicht lieferbar sind. Deshalb geht es darum, so viel „Substanz“ wie möglich aufzubauen, um das Risiko einer Investition zu minimieren. Das können Versuche im Kleinen sein (z.B. einfach mal den Sprung von 100 € auf 300 € Budget bei Facebook Werbung wagen). Das können aber auch nachvollziehbare Erfahrungen aus anderen (eigenen) Startups sein.
Ich selbst z.B. weiß heute viel besser, was ich mit Venture Capital machen kann. Außerdem glaube ich, dass ein Produkt wie das Empfehlungs-Tool Recommend.to – bei dem ich beteiligt bin – andere Voraussetzungen für einen erfolgreichen Markteintritt erfüllt, als es damals bei FastBill der Fall war. Es gibt beim Empfehlungsmarketing beispielsweise deutlich mehr Hebel, die man für Wachstum schneller umlegen kann. Dazu kommt, dass wir bei Recommend.to auf Mechanismen setzen, die ein exponentielles (virales) Wachstum ermöglichen. Alles Gründe, warum ich denke, dass Venture Capital hier Sinn macht – und wir aktuell auf der Suche nach einer Finanzierung sind – und bei FastBill damals nicht notwendig war.
Aber: Venture Capital hat nicht immer nur Vorteile. Man gibt einen Platz am Ruder ab und steuert gemeinsam auf das Ziel Wertmaximierung hin. Persönliche, nicht unbedingt monetär getriebene Ziele können dafür in den Hintergrund rücken. Es gibt zum Beispiel Unternehmen, denen sind eine entspannte Kultur, weniger Wachstumsdruck und langsames, organisches Wachstum wichtiger. Alles ok, aber man muss wissen, was man will.
Wann Bootstrapping sinnvoll ist
Bootstrapping ist sinnvoll, wenn…
- das Geschäftsmodell auch im Kleinen funktioniert. Am besten schon ab dem ersten Kunden und auch bei den ersten 100.
- es keinen drohenden Wettbewerb gibt, der kurzfristig massiv Marktanteile wegnehmen kann.
- Wachstum mit Geld nicht beschleunigt werden kann. Geld haben und Geld ausgeben sind unterschiedliche paar Schuhe.
- kein großes Risiko existiert. Wenn es nur um die Vorfinanzierung von künftigen Umsätzen geht, und dieser Fall auch absehbar eintritt, dann tut es vielleicht auch ein Darlehen, um kurzfristige Liquidität zu ermöglichen.
Welche Nachteile Bootstrapping birgt
- Jeder Euro, der ausgegeben werden soll, muss vorher erst verdient werden. Wer gleich den „großen Knall erzeugen“ will, hat es schwerer.
- Große Testbudgets sind meistens nicht vorhanden. Daher müssen neue Kanäle in kleinen Schritten entdeckt und analysiert werden. Ist die Performance gut, können sie langsam weiter erschlossen werden.
- Bootstrapping bedeutet meist ein langsames Wachstum. Das erfordert einen langen Atem, Geduld und Durchhaltevermögen.
- Es gibt kein Budget für Branding-Maßnahmen. Es gilt also, kreativ zu werden. Bei FastBill haben wir damals z.B. eine Startup-Tour gemacht und auf Selbstvermarktung gesetzt.
- Der Team-Aufbau ist sehr schwierig. Kein Geld = keine Gehälter. Keine Gehälter = kein Team. Wenn du also Experten im Team brauchst, benötigst du Geld um diese zu bezahlen. Die Alternative heißt: Selber machen und lernen.
Wann Venture Capital eine Option ist
Wär es nicht schön, von Tag 1 an ein Team aus erfahrenen Experten zu haben? Ja, finde ich auch!
Dies und gewisse Marketing- und Branding-Budgets sind der Grund, warum Venture Capital sinnvoll ist. Es muss nicht gleich die 200-Mann-Bude werden, aber auch schon marktübliche Gehälter für 10 Mitarbeiter über 18 Monate bis zum positiven Cash Flow kosten Geld. Geld, das durch Venture Capital gedeckt werden kann.
Hinzu kommen bei einigen Geschäftsmodellen enorm hohe Ausgaben, die sich ebenfalls nur mit großer Vorfinanzierung umsetzen lässt. Beispiele wie Stylight.de zeigen, dass eine TV-Kampagne auch zu Beginn Sinn macht. Das Geschäftsmodell „Affiliate“ funktioniert einfach erst ab einem gewissen Volumen.
Welche Ideen eignen sich nicht für Venture Capital?
Ein typisches Projekt, das niemals interessant für Investoren wäre, ist Happy Coffee. Innerhalb eines Jahres konnten wir allein den organischen Traffic auf über 400 Nutzer pro Tag steigern. Sicher, da geht noch mehr, aber für den Aufwand ein völlig zufriedenstellendes Ergebnis. Bei einer angenommenen Conversionrate von 1 – 2 % und einem Warenkorb von 20-50€ könnte dieses Projekt bereits jetzt einen ROI verzeichnen und sich für mich somit lohnen. Allerdings bewegen sich diese Zahlen fernab dessen, was ein Investor erwartet, wenn er Hunderttausende oder Millionen Euro investieren möchte.
Für mich ist diese aktuell geringe Wachstumsrate ok. Es ist ein „Nebenbei-Projekt“, für das von Beginn an limitierte Ressourcen zur Verfügung standen. Sowohl personell, als auch finanziell.
Am Ende entscheidet der Einzelfall
Das Thema des Beitrages sind Extreme. Auf der einen Seite sehr viel kurzfristiges Geld. Auf der anderen Seite organisches Wachstum aus eigener Kraft mit limitierten Mitteln. Natürlich gibt es noch weitere Formen der Wachstumsbeschleunigung und Finanzierung. Sei es nun mit Hilfe von Business Angels oder Inkubatoren. Am Ende entscheidet der Einzelfall. Und damit du.
Dieser Text wurde zuerst veröffentlicht auf LetsSeeWhatWorks .
Zur Person
Christian Häfner ist Unternehmer und Blogger aus Leidenschaft. Er ist Mitgründer und CMO von FastBill – einer online Buchhaltungssoftware für kleine Unternehmen – sowie FastBill Automatic – einer Lösung für die Abrechnung von SaaS- und Abo-Geschäftsmodellen. FastBill wurde seit 2011 ohne Venture Capital aufgebaut zählt heute mit über 25 Mitarbeitern zu den Bootstrapping-Erfolgsgeschichten in Deutschland.
Darüber hinaus ist er Initiator von LetsSeeWhatWorks.com, einer Unternehmer Community, in der er selbst und andere Gründer über ihre Erfahrungen in der Praxis schreiben. Er ist auch Gründer von Happy Coffee und beteiligt an recommend.to.