Oliver Nützel fährt 'beruflich Achterbahn'
Wie sich Regiondo vom B2C- zum B2B-Anbieter wandelte
Schon seit mehreren Jahren bündelt Regiondo regionale Freizeitangebote. Das junge Startg-up wandelt sich dabei vom Marktplatz für Endkunden zum “Betriebssystem für Freizeitanbieter”. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Oliver Nützel, seit 2013 Geschäftsführer von Regiondo über Change Management, Prinzessinnnen und die wunderbare Stadt München.
Wie viel vom ursprünglichen Regiondo-Konzept ist nach mehren Jahren im Markt noch übrig geblieben?
Unsere Grundidee, Freizeit online zu verkaufen, ist immer noch die gleiche. Allerdings hat sich unsere Antwort auf die Frage, wie wir dies verwirklichen, im Laufe der Zeit weiterentwickelt.
Und zwar?
Jedes Start-up muss einen Product bzw. Market Fit schaffen. Hier haben wir insgesamt zwei Iterationen hinter uns: Gestartet ist Regiondo mit einem Marktplatz für Endkunden sowie einem Peer-to-Peer-Ansatz. Mittlerweile verstehen wir uns als kompletten Lösungsanbieter einer Echtzeit-Online-Buchungstechnologie für alle Arten von Touren, Aktivitäten und Attraktionen. Wir sehen uns daher als SaaS-Anbieter und Betriebssystem für Freizeitanbieter. Wir helfen diesen, ihr Geschäft zu verwalten, Buchungen entgegenzunehmen und ihren Umsatz zu steigern. Gleichzeitig bleiben die Anbieter immer Herr der Lage und bestimmen eigenständig, was sie anbieten und verkaufen wollen.
Wie hat sich Regiondo also zusammengefasst entwickelt?
Das heißt zusammengefasst, dass wir uns von einem B2C-Player hin zu einem B2B-Anbieter entwickelt haben, der die Freizeitbranche sowohl lokal wie auch im touristischen Bereich digitalisiert und damit Telefon, Notizblock, Excel und manuellen Abgleich überflüssig macht. Aktuell arbeiten wir bereits mit über 6.000 Anbietern zusammen. Und wir sind hier erst am Anfang: Die Digitalisierung der Freizeit führt zu einer neuen Dynamik und deutlichem Wachstum. Das hat aber auch damit zu tun, dass Online- und Mobile-Ticketing im Bereich Freizeit noch viel weniger entwickelt ist als etwa bei Restaurantreservierungen. Mittelfristig werden das Internet und E-Commerce aber auch in diesem Bereich bestehende Strukturen aufbrechen und verändern.
Auch wenn Sie gerade in die Zukunft blicken. Blicken Sie bitte noch einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
So richtig schief ging Gott sei Dank noch nichts – sonst wären wir heute wohl nicht so erfolgreich am Markt aktiv. Im Grunde trifft man dennoch viele Fehlentscheidungen, lernt aber dadurch rasend schnell dazu. Start-ups bewegen und drehen sich einfach deutlich schneller als etablierte Unternehmen. Die berühmte Lernkurve ist also deutlich steiler.
Und wo haben Sie Ihrer Meinung nach alles richtig gemacht?
Den Fokus und die Einstellung immer auf unsere Kunden zu legen, ist unsere Maxime und diese Herangehensweise hat sich bisher immer als richtig erwiesen. Jedes Tool und jedes Feature entwickeln wir gemeinsam mit unseren Anbietern und hören immer sehr genau auf deren Wünsche und Bedürfnisse. Davon abgesehen hatten wir auch Glück mit dem Gründerteam. Ich würde immer wieder mit Yann Maurer gründen und auch das Regiondo-Management-Team jederzeit wieder genauso aufstellen, wie es jetzt ist.
Was war denn dann die größte Herausforderung für Sie in den vergangenen Jahren?
Unser Geschäftsmodell ist auf langfristigen Erfolg ausgerichtet. Herausfordernd war, eine Buchungstechnologie für einen sehr fragmentierten und heterogenen Markt zu schaffen, den Branchengrößen wie Eventim, Eventbrite etc. nicht in dem Umfang wie wir erfolgreich abbilden können. Diese Entwicklung benötigte Zeit und viel Liebe sowohl für das Produkt als auch den Markt. Hier haben wir es geschafft, neben unseren Investoren auch das Team mit auf die Reise zu nehmen, die nicht innerhalb eines Monats beendet ist.
Was lief alles in allem einfacher, als ursprünglich gedacht?
Die Anbieter zu überzeugen, mit Regiondo zusammenzuarbeiten, lief und läuft leichter als gedacht. Wir arbeiten heute mit über 6.000 Anbietern zusammen, die unsere Produkte einsetzen. Neben vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen und Dienstleistern setzen auch große Key Accounts wie die Autostadt in Wolfsburg, der Europa-Park in Rust oder der Zoo Rostock unsere Technologie ein. Viele Angebote gibt es sogar nur exklusiv bei uns. Zudem haben wir auch das große Glück, dass unsere Kunden oft selbst kleine und mittelständige Unternehmer sind. Egal ob es Eigentümer von Freizeitparks sind oder Segway-Anbieter, Kochschulinhaber oder Quadanbieter – alle stehen hinter ihrem Produkt und bringen diese Begeisterung auch rüber. Man kann sprichwörtlich sagen, dass ich beruflich Achterbahn fahre und in jeden Freizeitpark in Deutschland kostenlos reinkommen kann – aber dazu fehlt leider oft die Zeit.
Wie motivieren Sie sich, wenn es gerade mal nicht rund läuft?
Natürlich gibt es immer mal auch Änderungen im Team – Mitarbeiter gehen, gewisse Bereiche werden nicht mehr benötigt und neue aufgebaut. Das ist auch immer wieder eine Herausforderung für die Kultur und die Motivation im Unternehmen. Hier lernt man extrem viel dazu. Ich persönlich aber auch das ganze Regiondo-Team. Auch den nötigen Spaß zu haben, wenn es mal nicht so läuft, kann herausfordernd sein. Resilienz ist meiner Meinung nach eine der wichtigsten Eigenschaften für Start-up-Gründer. Denn irgendwas geht immer mal schief. Eine Mitarbeiterin hatte mal einen passenden Spruch auf ihrem Rechner: ‚Wenn die Prinzessin hinfällt: Aufstehen, Krone richten und weiterlaufen.‘ Einfach zu verstehen und den Nagel auf den Kopf getroffen.
Wenn es um Start-up in Deutschland geht, reden alle von Berlin. Was zeichnet denn München als Start-up-Standort aus?
München ist der perfekte Standort für ein Reise- und Freizeit-Start-up. Zum einen gibt es einen guten Mikrokosmos: Der Verband Internet Reisevertrieb sitzt hier. Viele Reiseunternehmen wie Jochen Schweizer und mydays befinden sich geradezu in Laufweite von uns. Die Stadt bietet also die passende Infrastruktur. Zum anderen gibt es viele begeisterte Mitarbeiter, die sehr gut qualifiziert sind und die Lebensqualität und Sicherheit von München sehr zu schätzen wissen. Und natürlich bietet München einfach einen hohen Freizeitwert. Im Sommer bin ich in nicht einmal einer Stunde am Starnberger oder Ammersee. Auch die Skigebiete in den Alpen erreicht man aus keiner anderen deutschen Metropole so schnell wie aus München.
Gibt es auch Nachteile?
Bei aller Lobhudelei möchte ich aber auch einige Nachteile beim Namen nennen: In meinen Augen unternimmt Berlin – immer noch – mehr für das Ökosystem-Start-up. Gerade die Stadt München aber auch der Freistaat Bayern müssten sich hier ein Beispiel nehmen und mehr investieren, um optimale Rahmenbedingungen für Gründer zu schaffen. Vielleicht sehen die Verantwortlichen in der Hauptstadt die Relevanz der Start-ups für den Arbeitsmarkt noch mehr als die in München.
Eignet sich München für alle Start-ups oder gibt es bestimmte Ideen für die München eher das richtige Pflaster ist?
Ich denke, es gibt kaum eine Firmenidee, für die München das falsche Pflaster ist. Ob für die Touristik, die Automobilindustrie oder im Bereich Finanzen. So gut wie alle Bereiche der ‘Old Economy’ sind in München vertreten. Und dieser Umstand schafft eine gute Basis für Start-ups in dem jeweiligen Umfeld.
Passend zum Thema: “‘Ich bin schon seit meiner Kindheit Opernfan’ – 15 Fragen an Oliver Nützel von Regiondo“.
Zur Person
Oliver Nützel schnupperte bereits als Kind erste Unternehmerluft in der Werbeagentur seiner Eltern. Er studierte Business Administration an der WHU Koblenz und arbeitete bei Booz & Company oder Télefonica O2 Germany. 2011 machte Freizeit zu seinem Beruf und gründete mit Yasuu einen Marktplatz für einzigartige Erlebnisse. Nach dem Zusammenschluss mit Regiondo verantwortet Nützel als Geschäftsführer insbesondere Strategie, Partnerbetreuung und Kooperationen.