Von Team
Mittwoch, 8. Juli 2015

Jeder junge Israeli kennt einen, der in Start-ups macht

Philippe Aderhold berichtet für deutsche-startups.de aus der Mitte der Start-up-Metropole Tel Aviv. In seiner Gast-Kolumne wird er diesen Sommer tief in die Start-up-Szene Tel Avivs eintauchen - von Events und Partys berichten, schillernde Persönlichkeiten besuchen und interviewen sowie durch Offices touren.

Ein großer Traum vieler Israelis ist der Exit. Er ist allgegenwärtig und erscheint zum Greifen nah, denn täglich tickern neue Investitions-Runden neuer Start-ups in Millionenhöhe durch Geektime.co.il (das israelische Äquivalent zu deutsche-startups.de). Aus diesem Staat mit einer Gesamtbevölkerung  von nur zwei Mal Berlin kommen erstaunlich viele Start-ups – internationale Großkonzerne legen immer neue Fonds auf und stehen Schlange um auch ein Stück vom Kuchen zu ergattern. Andrea Frahm hat sich bereits an dieser Stelle die großen Exits wie Waze, und Investitionsrunden im dreistelligen Millionenbereich wie die der israelischen Gründungen Outbrain und Gigya befasst – siehe unsere “Good Morning, Tel Aviv!-Reihe“.

Jeder junge Israeli hat in seinem erweiterten Umkreis einen Bekannten, der mit seinem Start-up gerade eine Millionen-Finanzierungsrunde abgeschlossen hat. Diese Nähe ist zugleich hilfreich und gefährlich. Einerseits sind potentielle Investoren, Mitgründer, Mitarbeiter oder Berater nur einen Anruf entfernt, andererseits erscheint das Gründen sehr einfach und die Belastung wird unterschätzt.

Gründer DNA

Israelis beschäftigen sich im frühesten Alter mit Technologie. Parallel zur Schule absolvieren junge Leute in der Open University ihren Informatik-Bachelor. Hackathons ziehen 60 Kinder im Alter ab 12 Jahren an. Hier entwickeln sie in zwei Tagen Apps und Online-Konzepte.


70 Jugendliche, 10 Teams programmieren Lern-Apps um die Wette; 5.000 Euro Preisgeld und ein Pitch bei Google winken dem Sieger Team

Spezialeinheiten im Militärdienst und Top-Universitäten führen die Informatik-Ausbildung weiter. Die Ingenieure des Technion in Haifa oder der IDC in Herzelia genießen Weltruf.

Die Nähe zu Gründern und der Buzz der Gemeinschaft ist insbesondere bei Abendveranstaltungen erlebbar. Auf der Plattform Meetup.com finden sich eine Vielzahl miteinander konkurrierender Großveranstaltungen mit faszinierenden Rednern, Freibier und Fingerfood. In Israel gibt es weder den Berliner Start-up-Hipster, noch den Münchner Spießer. Einheitlicher Dresscode bei diesen Veranstaltungen ist kurze Hose, T-Shirt und Flip Flops. Auch die Redner halten sich meistens an diese Regel.

Der jüngste Neuzugang in der Gruppe der Start-up Communities ist Create Tel Aviv. Bosch, Visa, edp und Terra Venture Partners arbeiten in diesem Accelerator-Programm zusammen und versprechen Gründerpersönlichkeiten bis zu einer Millionen US Dollar für erfolgreiche und strategisch relevante Ideen.

Create Tel Aviv hält seine erste Veranstaltung auf dem Dach des shared-office-spaces WeWork, in unmittelbarer Nähe der Start-up-Meile Rotschild-Bullevard. Shai Agassi – Gründer und CEO des israelischen Vorgängers von Tesla, Betterplace, und ehemaliger SAP Vorstand – lockt 300 junge Leute an. Viele Bekannte von anderen Veranstaltungen sind anwesend, man kennt sich.


300 Gäste bei der Create Tel Aviv Auftaktveranstaltung auf der Dachterrasse von WeWork

In seinem Vortrag spricht Shai über die nächsten großen Wellen der “Commodification” und seine Zuhörer hängen ihm für eineinhalb Stunden an den Lippen. Commodification ist beobachtbar und vollzieht sich nach Agassi in 4 Schritten: Im ersten Schritt wird die Notwendigkeit von Besitz abgeschafft. Im nächsten Schritt wird der physische Point of Sales überflüssig. Schritt drei findet durch die Abschaffung von physischen Produkten statt und Schritt vier liegt im Ersatz des menschlichen Operators durch Big Data. Nach der Commodification der Filmindustrie durch Netflix, lösen Uber und Google in naher Zukunft klassische Transportunternehmen ab und arbeiten mit autonomen Autos an der Ablösung des menschlichen Fahrers durch Daten.


Betterplace-Gründer, Investor und ehemaliger SAP Vorstand Shai Agassi bei Create Tel Aviv

Zuhörer überhäufen Shai im Anschluss mit Fragen, welche Industrien als nächstes umgewälzt werden. Die nächsten Industrien, denen Commodification bevorsteht, sind nach Agassi Gesundheit, Bildung und Verteidigung. Seinen neuen Jüngern gibt er den Ratschlag die Welle rechtzeitig zu erkennen und sich bewusst für eine Position aus dreien zu entscheiden:
1. Komponentenhersteller
2. Integrator
3. Applikationen-Hersteller

Philippe Aderhold berichtet nun regelmäßig für deutsche-startups.de aus der Start-up Welt Tel Avivs. Wir freuen uns sehr über Kommentare und Anregungen. Bis bald und herzliche Grüße aus der Sonne.

Foto: Happy man standing and looking at a cityscape of modern city from Shutterstock