Michel Lindenberg (StayFriends) im Portrait
“Ich fühlte mich wichtig, weil die Plattform erfolgreich war”
Als Michel Lindenberg aus seinem ersten Start-up WWL Internet herausgedrängt wird – oder, wie er selbst sagt, „ausgespuckt“ – sucht er sich ein Büro und fährt jeden Tag dorthin, ohne dass er etwas Konkretes zu tun hätte. Aber der Familienvater befürchtet, dass „eine neue Geschäftsidee nicht zu Hause beim Kinderwickeln kommt“. Tag für Tag sitzt er in seinem Büro und beschäftigt sich ein paar Stunden systematisch mit potentiellen Geschäftsideen und skizziert Businesspläne.
Am Ende ist es nicht dieses systematische Vorgehen, das zum Erfolg führt. Sondern eine Bemerkung von seiner Englischlehrerin, die ihn auf das englische Netzwerk FriendsUnited anspricht und findet, dass es so etwas auch in Deutschland geben müsse. Lindenberg ist begeistert und gründet kurz darauf StayFriends.
Wenn er davon spricht, dass er mit diesem Start-up „eine zweite Chance bekommen hat“, schwingt dabei durchaus etwas Religiöses mit. Der Glaube ist dem Erlanger Gründer während seiner Krise nach WWL Internet wichtig geworden. Über die Anfrage seiner Englischlehrerin sagt er: „Rückwirkend verstehe ich, dass Gott mir aus dem Nichts eine Person geschickt hat, um mir eine Idee zu liefern.“
Mit den schwindenden Nutzerzahlen kommt die Krise
Lindenberg macht etwas aus der Idee. Das Netzwerk StayFriends, mit dem man Schulkameraden wiederfinden und Klassentreffen organisieren kann, startet etwas zäh und muss sich gegen eine Reihe von Mitbewerbern durchsetzen. Doch schon nach einem Jahr flattert ein Kaufangebot des englischen Vorbilds ins Haus. Lindenberg lehnt ab: Er will nicht ein zweites Mal aus seinem Start-up gedrängt werden oder zusehen, wie sein Baby stillschweigend in etwas Größerem aufgeht.
Das nächste Kaufangebot kommt vom US-amerikanischen Mitbewerber ClassMates. Dieses Mal sieht die Sache anders aus: StayFriends soll trotzdem eigenständig und Lindenberg weiter Geschäftsführer bleiben. Er schlägt ein und verkauft. Ihm sei klar gewesen, dass sie alleine nie die Zeit hätten überbrücken können, bis das Schulverzeichnis voll genug gewesen wäre, um sich monetarisieren zu lassen.
Nach der Übernahme geht StayFriends steil nach oben. Doch Lindenberg erlebt, wie es ist, wenn ein Gründer sich zu sehr mit seinem Produkt identifiziert. Am Anfang verspürt er dieses berauschende Gefühl, „wichtig zu sein, weil es diese Plattform gibt und sie so erfolgreich ist“. Doch als die Kurve der wiederkehrenden Nutzer immer flacher wird, drückt das sehr auf sein Selbstwertgefühl. Zwei Jahre lang hat er damit zu tun, seinen Wert nicht von dem abhängig zu machen, was er tut und wie es gerade läuft.
Sein Fehler? „Unterlassene Taten“
Vielleicht, sagt er selbstkritisch, habe ihm die letzte Entschlossenheit und Risikobereitschaft gefehlt, um das Ruder herumzureißen, als die Netzwerke MySpace und Facebook plötzlich an ihnen vorbeizogen. „Wir haben nichts direkt falsch gemacht, aber vielleicht war genau das der Fehler: unterlassene Taten“, lacht er. Dabei teilt StayFriends längst nicht dasselbe Schicksal zahlreicher Netzwerke, die von der Bildfläche verschwunden sind. „StayFriends ist noch immer profitabel und wir haben nicht weniger Mitarbeiter als zu unseren besten Zeiten.“ Ein Grund sei, dass StayFriends auf ein Abo-Modell gesetzt habe und nicht auf ein werbebasiertes Modell.
Die Zukunft gehört den Messenger-Diensten – wie Vobe
Aber dem Mehrfachgründer ist klar, dass es fahrlässig wäre, alleine auf die Ertragskraft eines Abomodells und ein Überleben in der Nische zu setzen. An seinen Kinder kann er beobachten, dass Messenger eine immer stärkere Attraktion auf die nachwachsende Generation ausüben – auf Kosten sozialer Netzwerke.
Bei den Messenger-Diensten wie WhatsApp schließen sich junge Leute in Gruppen zusammen und diskutieren ihren Alltag, „so dass das Handy nachmittags nicht mehr aufhört zu vibrieren“. So entstand auch die Idee für Lindenbergs neuestes Projekt Vobe. Denn aktuelle Messenger-Dienste findet er für alltägliche Abstimmungen nicht gut geeignet, da alle Teilnehmer wild durcheinander reden. Terminumfrage-Tools wie doodle seien wiederum zu wenig spontan.
Mit der App Vobe will Lindenberg das, was seine Kinder in ihren Gruppen-Chats täglich abstimmen, einfacher machen. Mit dem visuellen Abstimmungs-Tool schickt man sich keine Textnachrichten mehr, sondern schiebt sein eigenes Profilbild in unterschiedliche Themen-Blasen. Eine Blase, die viel Zuspruch erhält, wird größer, Blasen mit wenig Zuspruch kleiner. Am Ende ist die Abstimmung optisch leicht erkennbar und kommt ohne viel Geschreibsel aus.
„Ich bewundere Steve Jobs“
Lindenberg hofft, dass ihm mit Vobe gelingt, was mit StayFriends vermutlich nicht klappen wird: Dass er etwas geschaffen hat, was auch noch seine Kinder nutzen. „Ich bewundere Steve Jobs dafür, dass er der Welt etwas hinterlassen hat, das Bestand hat und nicht mehr an seine Person gekoppelt ist.“ Diese Vorstellung treibt auch ihn selbst an. Hinzu kommt, dass er Dinge gerne groß denkt, das habe sich schon im Werken-Unterricht gezeigt: „Ich habe die Aufgaben immer größer verstanden und übermäßig erfüllt.“ Als sie in der Schule ein einfaches Holzauto bauen sollten, brannte er zu Hause Pappmache-Einzelteile im Ofen, baute Plexiglasscheiben ein und nähte ein Cabrio-Verdeck.
Zum ersten Mal in seiner 28jährigen Unternehmerzeit denkt Lindenberg nun darüber nach, in seine eigene Marke zu investieren. Dass viele seinen Namen noch nie gehört haben, kommt nicht von ungefähr: „Ich bin eben nicht der Popstar-Typ. Das gehört wohl zu meinem Naturell.“ Obwohl sie mit WWL Internet einer der ersten Dienstleister für den Bau von Webseiten waren, seien die späteren Mitbewerber viel bekannter geworden, schmunzelt er. Und bei StayFriends war es Mitgründer Oliver Thiel, der im Restaurant von Fremden angesprochen wurde, nicht Lindenberg.
Der in Brüssel aufgewachsene Gründer lacht viel, wenn er über seine verschiedenen Projekte und gelernten Lektionen spricht. Bedauern schwingt selten mit. Am ehesten dann, wenn er an sein Gründungs-Baby WWL Internet denkt. Zu einer Zeit, als viele das Internet nur vom Hörensagen kannten, baute die Agentur bereits Webseiten für E-Commerce-Unternehmen wie Quelle. Wie viele Unternehmen in der Dotcom-Phase ging das Start-up an die Börse und sammelte dort 27 Millionen Euro ein. Neue Investoren kamen an Bord, wurden Vorstandsmitglieder – und besetzten die Vorstandspositionen mit eigenen Leuten, „obwohl ich für das Unternehmen alles gegeben hatte“. Von dem Schmerz ist noch ein bisschen etwas zu spüren.
Aber Lindenbergs Blick ist eindeutig nach vorne gerichtet. Nicht nur der Glaube gibt ihm Halt, sondern auch seine Frau und die drei Kinder. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Launch-Party für sein neues Projekt Vobe an einem besonderen Ort stattgefunden hat: in einer Kirche.