Erfolg durch bedingungslose Nutzerorientierung
Welche User-Experience-Trends werden dieses Jahr bestimmen? Firmen, wie Amazon, Google, Facebook und Apple zeigen, wie erfolgreich man sein kann, indem man bedingungslos kundenorientiert ist. In Telefoninterviews mit Produktmanagern, Agentur-Geschäftsführern, Designern und Professoren in Deutschland und den USA habe ich versucht, die Trends der UX-Experten aufzuspüren. Werfen wir einen Blick in die Glaskugel.
1. Inhouse-UX-Teams
Usability und User Experience sind keine Exotenthemen mehr. Die Ausbildung an den Universitäten wird immer besser, es gibt eine Explosion an Design-, Feedback- und Testing-Tools, wodurch jedes Unternehmen einfach UX-Methoden einsetzen kann. UX wird von immer mehr Firmen als wichtiger Wettbewerbsfaktor erkannt. Für eine zunehmende Anzahl von Webseitenbetreibern rechnet es sich daher, In-House Kompetenz aufzubauen und UX-ler einzustellen oder gar eine ganz eigene UX-Abteilung aufzubauen, die als Schnittstelle zwischen Produktmanagement, Design und Development fungiert.
2. Conversion-Optimierung und UX
Die Vorgehensweisen von Conversion-Optimierern und UX-lern verschmelzen zunehmend. Während vor ein paar Jahren Conversion-Optimierer qualitative Usability-Tests mitunter als esoterische Weichspülerei brandmarkten, und UX-ler umgekehrt keinen Zugang zu Analytics- und Trackingdaten fanden, nutzen beide die jeweils anderen Methoden nun immer intensiver. Usability-Tests werden systematisch bei der Conversionrate-Optimierung eingesetzt, um gute Testhypothesen zu generieren und um die Bedürfnisse der Nutzer besser zu verstehen. UX-ler nutzen immer mehr quantitative Analytics-Daten, um ihre UX-Verbesserungen zu messen.
3. Lean UX
Organisation ist alles, wenn man eine gute Produkt-User-Experience erreichen will. In den Staaten wird unter dem Buzzword „Lean UX“ eine Organisationsform immer populärer, die das Beste aus User-Centered-Design, Lean Startup und agiler Produkt-Entwicklung zusammenfasst. Ohne hier in die Details zu gehen: Konzepte, wie das Minimum Viable Product, hypothesengetriebenes Entwickeln, Standups und Design-Sprints, „Minimize Waste“, Prototyping, viele schnelle User-Feedbackschleifen und das Messen der Resultate fließen hier zu einer Herangehensweise zusammen, wie man schlank, schnell und systematisch sein Team organisiert und eine tolle User Experience erschafft.
4. Crowd-Testing
Um schnell die User-Experience seiner Webseiten oder Apps zu testen, haben sich Crowd-Usability-Tests etabliert. In Form von Videos erkennen UXler und Produktmanager die Usability-Probleme bei der Nutzung ihrer Webseite oder App und können diese so schnell beheben. In den Videos (z.B. von RapidUsertests) kann man seinen Nutzern dabei während des Webseitenbesuchs über die Schulter schauen und hört die laut ausgesprochenen Kommentare bei der Nutzung. Schon heute werden mehr Crowd-Tests durchgeführt, als klassische Usability-Tests.
5. Design Pattern Libraries
Um immer schneller konsistente Interface-Designs zu entwickeln, werden vermehrt Design Pattern Libraries eingesetzt. Gerade wenn man in großen Design-Teams arbeitet, passiert es schnell, dass ein Interface organisch wächst und man plötzlich 10 verschiedene Button-Arten hat. Design Pattern Libraries definieren das Design und die Funktionsweise der verwendeten Interface-Elemente. Sie beschleunigen das Arbeiten, da für bereits gelöste Design-Probleme bestehende Lösungen wiederverwendet werden können. Außerdem werden so eine konsistente Designsprache und damit eine bessere User Experience gewährleistet. Unternehmen gehen dazu über, Libraries nicht als Photoshop-Dateien, sondern komplett als Codeschnipsel abzulegen (z.B. mit Patternlab). Das Frontend neuer Seiten kann so äußerst schnell mit Hilfe bestehender Code-Bausteine aufgebaut werden.
6. Multi-Disziplinäre Sprint-Teams
Wenn der Code direkt zum Designen verwendet werden kann, führt das in vielen Firmen dazu, dass Designer, Frontend-Coder und UX-ler plötzlich gemeinsam in einem Sprint-Team sitzen und die User Experience des Interfaces gemeinsam gestalten. Damit fallen die Barrieren zwischen Unternehmensabteilungen und gleichzeitig minimieren sich Reibungsverluste und Kommunikationsprobleme: Es gibt keine UX-Abteilung mehr, die Research-Ergebnisse an die Design-Abteilung weiterleitet, welche dann ein Design an die Entwickler schickt. Multidisziplinäre Sprint-Teams führen zu besserer interner Kommunikation, schnelleren Iterationen und damit einer höheren User Experience.
7. Cross-Channel-Experience
Smartwatches, Smartphones, Tablets, Desktop-Rechner – 2015 stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihren Kunden eine einheitliche und nahtlose Customer-Experience über alle Geräteklassen hinweg zu bieten. Der Medienbruch geht aber nicht nur über die Devices – auch Online- und Offline-Erfahrungen verschränken sich zunehmend. Ich kann meine online gekauften Brillen beim Optiker um die Ecke anpassen lassen, meine neue Kommode zuerst im Showroom begutachten oder mir mein im Netz gekauftes Paket im Baumarkt abholen. Die Kunden denken dabei nicht in Kanälen, so wie es das Marketing tut. Sie wollen einfach nur eine einheitliche und gute Erfahrung machen. Digitale Unternehmen stehen vor der zunehmenden Herausforderung, diese einheitliche „Cross-Channel-Experience“ zu designen, zu tracken, zu testen und zu optimieren. User-Experience- und Service-Designer werden weiteren Aufwind bekommen und Multi-Channel-Testing- und Analyse-Tools, werden intensiver genutzt werden.
8. Customer Journey Maps
Um die Medienbrüche zwischen den verschiedenen Device bzw. zwischen Online und Offline überhaupt auf dem Schirm zu haben, haben sich in den letzten Jahren Customer Journey Maps als UX-Methode durchgesetzt (hier eine nette Einführung). Diese zeigen die verschiedenen Pfade der Customer-Journey eines Nutzers und können Entwicklungsteams helfen, systematisch alle Medienbrüche zu durchdenken und alle potentiellen Herausforderungen einer guten Cross-Channel-Experience überhaupt erst in den Fokus der Aufmerksamkeit zu bekommen.
9. Customer Experience
Um eine gute User-Experience zu schaffen, konzentrieren sich viele Firmen nicht mehr nur allein auf die Optimierung ihrer Webseite, sondern auch auf die Customer-Touchpoints eines Nutzers vor und nach dem Webseitenbesuch. Startups, wie z.B. Modomoto haben es sich zum Ziel gesetzt, eine optimale User Experience beim Auspacken der Paketsendung zu haben – Kunden bekommen einen persönlich geschriebenen Brief ihrer Stylingberaterin. Firmen führen Usability-Tests ihrer Retourenscheine bzw. des Auspackens der Ware durch, sie testen die Qualität ihres Kundenservices oder optimieren ihre analoge Kommunikation. Der Begriff der User Experience geht Schritt für Schritt über in eine erweiterte Customer Experience, die nicht nur die Nutzung des Produkts selbst, sondern eine gute Erfahrung im Zusammenhang mit der ganzen Marke schafft.
Fazit
Amazon, Facebook, Google und Apple zeigten, wie man durch bedingungslose Nutzerorientierung zu den erfolgreichsten Unternehmen der Welt werden kann. Jeff Bezos sagt „Kunden sind Götter“. Alle dieser vier Unternehmen haben ihre Kundenorientierung als zentralen Unternehmenswert fest verankert. Interessanterweise sind dies alles Firmen, die noch in Hand ihrer Gründer sind (Apple bis zum Tod von Steve Jobs). Die größten UX-ler im Unternehmen waren die Gründer selbst. Ein kleines Plädoyer an jeden Start-up-CEO, sich täglich auf die User-Experience seines Startups zu konzentrieren.
Zur Person
Benjamin Uebel ist UX-Experte, Psychologe und hat zwei Web-Startups gegründet. Mit seiner Usability-Agentur Userlutions berät er über hundert Großunternehmen, Startups und Mittelständler zu UX-Themen. Dabei reicht das Leistungsspektrum von Usability-Testing über Interface-Design bis hin zur gezielten Conversionrate-Optimierung für den eCommerce.