Gastbeitrag von Jan Diercksen
Die Eintrittskartenbranche – wo Träume schnell platzen
“Wir revolutionieren den Ticket-Markt” – so oder ähnlich euphorisch gehen viele Start-ups der Ticketbranche mit hochgekrempelten Ärmeln und schlimmstenfalls Taschen voller Venture Capital in die Öffentlichkeit. Viele kamen – und gingen auch wieder. Siehe dazu auch: “Die mobile Ticket-App-Revolution blieb bisher aus“.
Zunächst einmal ähnelten und ähneln sich die Geschäftsmodelle nicht nur, die Ideen sind nicht einmal neu. Gehen wir einmal auf die Aussage “Wir revolutionieren den Ticket Markt” ein. Welche Revolution wird angestrebt und wem nutzt sie? Dem Veranstalter? Dem Endkunden? Weder noch. Die meisten “Ticketbroker” sind leider nicht mehr, als jene Straßenhändler die in Dörfern wie Wacken in der Anreisewoche des weltgrössten Metalfestivals an der Straße stehen und Tickets zu einem Vielfachen des Ausgabepreises an den Mann zu bringen versuchen.
Und seien wir ehrlich: “Last Minute Ticketing” und “Ticketbrokerage” funktioniert nur bei potenziell ausverkauften Veranstaltungen. Der Wiederverkauf von Eintrittskarten stößt aber beim Veranstalter nicht unbedingt auf Akzeptanz, hat nicht zuletzt auch das Wacken Open Air nahezu alles versucht und viel Geld in Prozesse investiert um den grauen und schwarzen Markt zu eliminieren. Warum? Um seine Gäste vor überteuerten Ticketpreisen zu schützen.
Aus gutem Grund, denn tatsächlich sieht der Verkauf von Eintrittskarten in der Realität so aus: Direkter-/Eigenvertrieb von Eintrittskarten der Veranstalter durch eine Ticket Shoplösung (idealerweise mit Print@Home und Saalplan) und ergänzend dazu der indirekte Vertrieb durch Portale und deren angeschlossenes Vertriebsnetz unzähliger VVK-Stellen.
Warum nun sollte ein Veranstalter daran interessiert sein, dass jemand anderes als er selbst selber oder sein Vertriebspartner an seiner “Ware” mitverdient? Ticketbrokerage ist darüber hinaus beim Endkunden ein sehr heikles Thema, zahlt er am Ende doch in der Regel mehr als den ursprünglichen Ausgabepreis. Und dessen ist er sich sehr bewusst.
Beispielsweise bekam man Ende des vergangenen Jahres bei einem Ticketbroker eine Helene Fischer Karte ein Konzert in Frankfurt zum Schnäppchenpreis von 579 Euro – während der Ausgabepreis beim führenden Portal bei 81,50 Euro – zzgl. Gebühren – lag. Und nein, es handelte sich hier nicht um All-Inklusive-Logenplätze oder Sonderoptionen.
Sehen wir der Wahrheit ins Gesicht: Der Endkunde ist sehr einfach gestrickt. Er möchte zu einer Veranstaltung, schlimmstenfalls zu einer hochfrequentierten Sold-Out zu erwartenden Veranstaltung. Er möchte sich und seiner Begleitung ein wunderschönes Erlebnis bereiten, schafft es aber nicht seine Order selber zu platzieren und muss nun den höheren “Wiederverkaufs”-Preis zahlen. Somit beginnt die wunderschöne Erfahrung bereits mit dem Gefühl “gehörig abgezockt” worden zu sein. Das Endkunden auch zu Verschwörungstheorien neigen, erkennt man beispielsweise an einem Ticketmonopolisten in den USA, dem im Internet vorgeworfen wird Events als Sold-Out zu deklarieren und einem Tochterunternehmen aus der Ticketbroker Branche hohe Kontingente zu vermitteln um einen noch höheren Gewinn zu machen, als mit den ohnehin teilweise schon unverschämten Vorverkaufs- und Systemgebühren. Ob dies der Realität entspricht oder nicht, werden wir nicht klären können – aber es zeigt sehr deutlich wie der Endkunde sich fühlt.
Leidtragender ist die Veranstaltung. Somit der Veranstalter. Wer sich im Vorfeld schon übervorteilt fühlt, wird am Veranstaltungstag mit Sicherheit nicht mehr ungezwungen in die Gastronomie oder ins Merchandise investieren. Sich aber garantiert – er ist ja schon frustriert – im Nachgang über zu hohe Getränkepreise, unfreundliche Security, schmutzige Toiletten oder sonst irgendetwas beschweren. Und all das wissen auch die Veranstalter. Daher wird ein Gros der Veranstalter diese Geschäftsmodelle nicht nur NICHT unterstützen, sondern sogar versuchen zu unterbinden.
Regelmäßig veröffentlichen Veranstalter Meldungen in denen sie darauf hinweisen Eintrittskarten nur bei OFFIZIELLEN Vorverkaufsstellen zu erwerben um nicht Kartenfälschern auf den Leim zu gehen. Sie wissen sehr wohl das die Kartenfälschungen aufgrund der eingebauten besseren Sicherheitsmerkmale zurückgehen, rücken unter diesem Vorwand aber dem Graumarkt zuleibe.
Der Endkunde wird einem Wiederverkäufer also niemals voll vertrauen. Dafür wird er sich aber sicher sein, dass er zu viel bezahlt hat. Der Veranstalter wiederum hat Angst, dass der Ruf seiner Veranstaltung unter dem Wiederverkauf leidet und die Künstler die darauf bedacht sind ihre Fans vor überteuerten Tickets zu schützen, werden deutlichere Worte finden.
Beleuchten wir darüber hinaus die technische Seite: “Unsere revolutionäre App…” Wenn ich gerade Langeweile habe und mit meiner Frau ausgehen möchte, dann werde ich nicht spontan auf “kaufen” klicken nur weil im genau richtigen Moment eine Pushnachricht eintrifft und exakt meinen oder den Geschmack meiner Frau trifft. Ein Lottogewinn wäre wahrscheinlicher.
Noch unrealistischer wird es bei Gruppen, die nicht wissen was sie heute Abend machen sollen: Noch nie waren meine Freunde und ich uns auf Anhieb einig, wo es heute hingehen soll – bei meiner Frau und Ihren Freundinnen möchte ich mir gar nicht vorstellen wie viele Interessen und Garderoben da aufeinandertreffen.
Sicher wird es Experimentierfreudige geben, die das einfach mal ausprobieren wollen – aber der Mainstream – wird sich anderweitig mit der Abendplanung befassen.
Fazit: Uralte Geschäftsmodelle in neuen Gewändern, heute aber noch genauso ungeliebt wie früher. Es gibt angenehmere Möglichkeiten VC zu verbrennen, aber wenige bei denen es schneller geht.
Zur Person
Jan Diercksen ist Festival- und Konzertdienstleister mit jahrelanger Erfahrung im Eventmanagement und einer der Chefentwickler von deinetickets.de, einer Ticket-Eigenvertriebs-/Shopsoftware für Veranstalter/Künstler/Venues. deinetickets.de wurde als beste Branchensoftware 2014 der Initiative Mittelstand ausgezeichnet.