TheFamily – ein Modell auch für Deutschland ?
Nur die Slowaken sind noch weniger unternehmungslustig. Wie der Global Entrepreneurship Report des US-Unternehmens Amway offenbart, begegnen die Deutschen dem Thema Selbstständigkeit im internationalen Vergleich mit außerordentlich großer Skepsis. Lediglich etwa die Hälfte der Befragten steht dieser Thematik überhaupt positiv gegenüber, nur ein Viertel kann sich eine eigene Unternehmensgründung vorstellen. Deutschland stellt im internationalen Ländervergleich beinahe das Schlusslicht dar.
Worin liegen die Ursachen des offensichtlich fehlenden Unternehmergeistes und wie ließe sich dieser möglicherweise in Schwung bringen?
Unternehmer werden nicht geboren, sondern „gemacht“. Darin sind sich die Deutschen zumindest einig. Wer ist jedoch für eine derartige Ausbildung verantwortlich? Staatliche Strukturen scheinen dazu jedenfalls nicht in der Lage. Laut dem Bundesverband Deutsche Startups bewertet fast jeder zweite deutsche Gründer das deutsche Schulsystem in Hinblick auf die Förderung und Vermittlung von unternehmerischen Denken und Handeln mit der Note 6. Wirtschaftsminister Gabriel sprach sich unlängst für eine Startup-freundlichere Bildungspolitik aus, in der beispielsweise auch das Programmieren von Internetseiten und Apps Beachtung findet. Die konkrete Umsetzung solcher Ideen bräuchte Zeit. Politiker wie Gabriel hingegen brauchen kurzfristige Erfolge.
Angesichts der digitalen Revolution und der von Merkel des Öfteren betonten Industrie 4.0 ist Deutschland auf eine dynamische, unternehmerfreundliche und innovative Wirtschaft angewiesen.
Stellen die staatlichen Akteure diese Strukturen nicht bereit, muss sich die Unternehmerlandschaft wohl selbstständig machen. Mit genau diesem Vorsatz wurde in Paris vor knapp zwei Jahren TheFamily gegründet, wie Mitbegründer Oussama Ammar bekräftigt: „We are doing what the government should do, just private.“ Das Unternehmen beabsichtigt das für Startups toxische und unreife französische Ökosystem von Grund auf zu verändern und Umbrüche in allen Wirtschaftssektoren voranzutreiben. Ziel des vom großen US-Accelerator YCombinator inspirierten Unterfangens ist es, den nächsten Big Player der digitalen Welt hervorzubringen und damit Frankreich einen Anteil an der Wirtschaftsmacht der Zukunft zu verschaffen, die ansonsten fast vollständig in die Hände der USA und China zu fallen droht.
TheFamily entspricht weder dem Accelerator-, noch dem Inkubatormodell. Acceleratoren verhelfen Startups in einem bestimmten Zeitraum durch Bereitstellung von Arbeitsplätzen, strategischer und technischer Unterstützung, Coaching sowie ihrem Netzwerk und ihren Ressourcen zu einer schnellen Entwicklung. Inkubatoren verfolgen das gleiche Ziel, gleichwohl sind ihre Beteiligungsanteile deutlich höher, da sie Ideen oftmals selbst entwickeln und somit nur Umsetzungsteams für einen längeren Zeitraum in ihre Struktur integrieren.
Startups, die einmal in die „Familie“ aufgenommen werden (schon über 180 Unternehmen) bleiben hingegen ihr Bestehen lang Teil des Systems. Dort werden ihnen zwar keine Arbeitsplätze geboten, doch erhalten sie umfangreiche Betreuung durch eine grundlegende unternehmerische Ausbildung und Coaching (Theoriekurse, Workshops etc.), eine große Anzahl an sogenannten „Unfair Advantages“, d.h. zahlreiche Ermäßigungen für Produkte und Dienstleistungen strategischer Partner wie Amazon, Google oder Facebook, und einen erleichterten Zugang zu Kapital durch das breite Investorennetzwerk des Startup-Förderers.
TheFamily betreibt neben der Startup-Begleitung zudem allerhand Bewusstseinsbildung und Unternehmerformung. Events wie „Les barbares attaquent“ (Die Barbaren greifen an) sollen der Öffentlichkeit aufzeigen, wie der digitale Wirtschaftszeig unser heutiges System in Bereichen wie Bildung, Transport, geistiges Eigentum etc. auf die Probe stellen und umwandeln wird. Thematisch konkrete Meetups inspirieren Designer, Programmierer oder Marketingspezialisten dazu, den Wandel anzunehmen und ihren Platz in der sich bildenden neuen Wirtschaftsordnung zu finden. Zusätzlich zu den regelmäßigen Veranstaltungen werden zudem mehrtägige Konferenzen zu speziellen Wirtschaftbranchen (z.B. Gesundheit, Luxusgüter etc.) organisiert, die Innovationen in diesem Feld zur Schau stellen, zusammenbringen und antreiben.
Nicht zuletzt der Name des Bildungsprogramms „Koudetat“ (Staatsstreich) offenbart, dass mit den alten Strukturen gebrochen werden soll. Das Programm lehrt die zentralen Aspekte einer Unternehmensgründung (Ideenfindung, Produktkonzeption, Vermarktung, Finanzierung etc.) und ist als Alternative zu einem Masterstudium gedacht. Seit neuem gibt es diesen Kurs auch online für jeden zugänglich. Die Reichweite TheFamily’s im französischsprachigen Raum wird dadurch gewaltig vergrößert. Hauseigenes Wissen soll nicht nur intern mit den Startups geteilt werden. Das Ziel ist ambitioniert: Das Bewusstsein aller Gesellschaftsstrukturen erreichen und die französische Wirtschaft modernisieren, neu gestalten und nachhaltig prägen.
Prinzipiell ist das Unternehmen dabei, sein Einflussgebiet zu vervielfachen. Ein zweiter Standort in London folgt wie auch ein spezielles Programm für den Senegal. Der Plan ist unmissverständlich: „To become the global Y Combinator for the rest of the world.“ Der langfristige, gesellschaftliche und internationale Ansatz unterscheidet es fundamental von anderen Startup-Förderern.
Die deutsche Startup-Szene ist geprägt von temporären Programmen wie „Seedcamp“ oder „Startupbootcamp“ und Acceleratoren großer Konzerne wie REWE, Allianz oder der Telekom, die vor allem auf ihren eigenen Profit bei der Förderung von Projekten aus sind. Welche Institution jedoch revolutioniert die aktuelle Struktur tiefgreifend, vermittelt der Gesellschaft eine unternehmerische Denkweise und treibt die Entwicklung der digitalen Wirtschaft voran?
Deutschland droht den Anschluss zu verlieren. Der Status der reichen, entwickelten Industrienation ist nicht unumstößlich. Man könnte hoffen, dass TheFamily seinem ehrgeizigen Anspruch gerecht wird und in Zukunft auch das deutsche Startup-Ökosystem ankurbelt. Aufgrund der komplexen Skalierung Startup-Förderer Modelle im Allgemeinen ist davon jedoch nicht auszugehen und es stellt sich eher die Frage: Wer schlüpft in Deutschland in diese unverzichtbare Rolle und erweckt den für unsere Zukunft richtungsweisenden Unternehmergeist wieder zum Leben?
Zur Person
Patrick Hansen ist Student des deutsch-französischen Studiengangs Angewandte Politikwissenschaften und Praktikant bei TheFamily. Neben wirtschaftspolitischen Interessen begeistert er sich für Unternehmertum und die digitale Welt der Startups. Dank seines deutsch-italienischen Ursprungs und des langjährigen Aufenthalts in Frankreich hat er einen breiten Überblick über die Gründer-Szenen in verschiedenen europäischen Ländern und setzt sich maßgeblich für eine staatenübergreifende Förderung und Vereinheitlichung dieser ein. Er erachtet das als existenziell für Europa