Meinung

Wie lange Gründer ihr Start-up führen, ist nicht entscheidend

Kürzlich beklagte ds-Chefredakteur Alexander Hüsing in einem Meinungsbeitrag, dass zu viele Gründer viel zu früh aus ihren Unternehmen austeigen und viel zu wenige deswegen zu "waschechten Unternehmern" werden. Der Unternehmer Christian Wolf, Gründer von Wirkaufens.de, antwortet.
Wie lange Gründer ihr Start-up führen, ist nicht entscheidend
Montag, 5. Mai 2014VonTeam

In seinem Beitrag “Viel zu wenige Gründer werden waschechte Unternehmer” beklagt ds-Chefredakteur Alexander Hüsing den seiner Ansicht nach verfrühten Ausstieg von Gründern aus ihren Unternehmen. Es sei gut für die Gründerszene mehr Unternehmer zu haben, die langfristig ihre Unternehmen vorantreiben, weiterhin aber wie Gründer dächten. Auch für Investoren sei es besser, vielleicht würden auch größere Exits in Deutschland möglich. Da er mich dabei als Beispiel anführt und ich die These anregend finde, möchte ich hier gerne einige Gedanken dazu erwidern. Vor allem aber möchte ich gleich am Anfang klar stellen: Gründer sind Unternehmer. Immer.

Verfrüht. Was ist zu früh?

Ich selbst bin kürzlich nach über fünf Jahren und einer Entwicklung von 0 auf über 100 Mitarbeiter und von 0 auf einen deutlich 8-stelligen Umsatz von der Geschäftsführerposition in die Gesellschafterrolle gewechselt. Ich bin stolz auf diese Entwicklung. Das war eine Zeit in der ich selbst gewachsen bin und in der ich mein Team wachsen sehen durfte. Für beides bin ich sehr dankbar. Aus Perspektive der Gesellschafter, inklusive meiner selbst, war es aber nun richtig, einen erfahreneren CEO mit anderen Talenten zu finden. Andere CEOs, wie z.B. Lars Hinrichs gehen nach einem Börsengang oder typischerweise nach dem Exit. Also zu dem Zeitpunkt wo sie auch nicht mehr Gesellschafter des Unternehmens sind. Woran macht man einen guten Zeitpunkt fest? Ich habe darauf keine allgemeingültige Antwort.

Von Siemens zu Zuckerberg

Eins weiß ich aber sicher: Das reale Bild des “Unternehmerberufs”  hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert, die allgemeine Auffassung wie ein Unternehmer sein sollte dagegen nicht. Viele haben immer noch den Typus Siemens vor Augen, der mit seinem Unternehmen ein Lebenswerk erschafft. In der damaligen Zeit umfassten Unternehmen noch die Spanne mehrerer Menschenleben ohne sich nennenswert zu verändern: Siemens begann mit Telegraphen und Telefonnetzwerke sind noch heute ein wichtiger Geschäftszweig.

Aber die Zeiten haben sich geändert, in der Spanne eines Menschenlebens können viele Unternehmen entstehen und vergehen. Die Entwicklung von Konsumgewohnheiten, Märkten und Technologien ist dermaßen beschleunigt, dass die Unternehmer von heute mit einer Herausforderung und einer Chance konfrontiert sind. Die Herausforderung ist, selbst schneller als das Unternehmen wachsen zu müssen. Alexander Hüsing schreibt sinngemäß über diese Herausforderung: “Stärken erkennen und ausbauen, delegieren… Dinge die jeder lernen kann.” Natürlich kann man das alles lernen, es schnell genug zu lernen ist aber die Crux hier. Es ist gar nicht so einfach zu lernen, heute 100 Leute zu führen, wo gestern noch 2 arbeiteten. Und das zusätzlich zu Entwicklung, Planung, wichtige Kunden glücklich machen, Erwartungen von Investoren erfüllen, und so weiter. Die Chance ist aber, all diese Führungskompetenz und Erfahrung zu erwerben und sie in der nächsten Unternehmung wieder einzusetzen. So wächst ein Unternehmer heute mit seinen Aufgaben: unternehmensübergreifend.

Zwei der erfolgreichsten US-Start-ups haben gezeigt, dass es manchmal besser ist den Gründern erfahrene Manager als Geschäftsführer an die Seite zu stellen. Ich glaube Larry Page und Sergey Brin waren damals (nach 10 Jahren an der Uni) noch nicht in der Lage mehrere hundert oder tausend Mitarbeiter zu führen, heute sind sie es. Mark “I am CEO, bitch” Zuckerberg hat es auch nicht geschadet, Sheryl Sandberg das operative Geschäft zu überlassen. Ich glaube also nicht, dass Gründer an der Spitze per se bessere Exits bringen. Dass wir in Deutschland hier weniger und kleinere Exits haben hat ganz andere Gründe.

Geschäftsführer und Unternehmer

Alexander Hüsing schreibt weiter, dass ein angestellter Geschäftsführer nicht “den Stallgeruch” hat, um effektiv Forderungen an Politik und Investoren stellen zu können. Ich gebe zu, ein Gründer hat vielleicht mehr Herzblut und Leidenschaft für “sein Baby”. Manchmal kann das sehr hilfreich sein, um die Energie aufzubringen, wenig sinnvolle Ideen aus dem Investorenkreis abzulehnen. Im großen und ganzen aber sind Gründer-Geschäftsführer wie Angestellter gegenüber Investoren in der gleichen Position: sie sind abhängig. Beide brauchen Anschlussfinanzierung. Der eine will auch bei späteren Gründungen noch mal Geld bekommen und muss daher auf ein gutes Verhältnis zu seinen Investoren achten. Der andere will seinen Job behalten, oder in Zukunft wieder mal einen Job bekommen.

“Fehlender Stallgeruch” ist nun also kein Grund, als Geschäftsführer nicht erfolgreich an der Entwicklung des Unternehmens zu arbeiten. Nur dafür ist ein Geschäftsführer da, nicht um Forderungen an Politik und Investoren zu stellen. Da müssen wir trennen, zwischen “etwas für das Gründer-Ökosystem tun” (ego-altruistische Aufgabe für Unternehmer) und der Firmenentwicklung (Geschäftsführer-Aufgabe). Ich finde aber, ein Gründer, der sein Unternehmen anderen anvertraut hat, kann genauso etwas für das Ökosystem tun. Lars Hinrichs ist nicht mehr Vorstand bei Xing. Na und? Schadet nicht, er bringt trotzdem die Kanzlerin dazu, über Gründer nachzudenken und in die Kulturbrauerei zu kommen. Genauso wäre Google ohne Eric Schmidt mit Sicherheit nicht zu der Gelddruckmaschine geworden, die es heute ist. Er hat das Unternehmen voran gebracht, und dass er im Umgang mit Medien und Politik zurückhaltend ist kann man auch nicht behaupten.

Was würde der Gründerszene gut tun?

Wir hören es oft und es kann nicht oft genug wiederholt werden: Wir brauchen mehr Anerkennung für die Menschen in unserem Land, die Unternehmen gründen, innovative Produkte erdenken und anderen Arbeit geben. Jeder der das tut ist Gründer und als solcher automatisch Unternehmer. Eine künstliche Unterscheidung zwischen beiden Bezeichnungen brauchen wir nicht. Übrigens würde ich hierbei auch nicht an der Größe der Unternehmen irgendwas fest machen. Ob 3 Mitarbeiter oder 300 ist nicht entscheidend.

Mein Wunsch geht vielleicht in eine ähnliche Richtung, wie Alexander Hüsings. Ich wünsche mir auch, dass mehr Gründer bei der Stange bleiben und langfristig unternehmerisch tätig sind. Die Traumkarriere vieler Gründer scheint tatsächlich zu sein, nach dem Aufbau eines Unternehmens bei einem VC zu arbeiten oder selbst nur noch Investments zu tätigen. Von meiner naiven Perspektive aus, klingt das sehr attraktiv, nach einem leichten Leben. Ich habe daher große Achtung vor Beispielen wie Frederik Fleck, Michael Brehm oder Dennis Bemmann, die jeder für sich nach dem Exit wieder relevante Unternehmen gestartet haben (Disclaimer: Michael Brehm und Frederik Fleck sind an Wirkaufens.de beteiligt). Sich ewig an seinen Geschäftsführerposten klammern à la “I am CEO, bitch” sollte aber keiner.

Außerdem wünsche ich mir Unternehmer, die auch etwas Innovatives machen, etwas das ihnen wichtig ist. Ich glaube nämlich fest, dass ein Unternehmen erfolgreicher sein kann, wenn es einen Sinn hat, der über Geld verdienen hinausgeht. Entschuldigt die Plattitüde, aber es ist was dran am Bild des Inkubatorgründers, der seinen McKinsey-Job gekündigt hat um als Entrepreneur mit großem Exit richtig abzusahnen. Das ganze am besten noch risikominimiert bei Rocket und einem in den USA schon erfolgreichen Konzept.

Ein bisschen von diesem Anti-Vorbild steckt in jedem von uns, auch in mir. Wir sollten uns davon aber nicht leiten lassen: Wer nur das Ergebnis (absahnen) im Blick hat, nicht aber den Sinn (z.B. den größtmöglichen gesellschaftlichen Nutzen aus alten Handys erzeugen), der kann keine guten Produkte bauen, der rückt nie den Kunden und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt aller Entscheidungen. Ich glaube fest, dass der auch nicht den bestmöglichen Exit erzielen kann.

Fazit: Wir brauchen mehr Unternehmer in Deutschland, aber die Dauer an der Spitze des Unternehmens ist nicht entscheidend. Viel wichtiger ist die Gründung von wirklich innovativen Unternehmen, die mit einem sinnvollen Ziel jenseits von Geld verdienen geführt werden.

Zur Person
Christian Wolf ist der Gründer von Wirkaufens.de, dem Elektronikankauf im Internet. Außerdem engagiert er sich für junge Unternehmensgründer, er lehrt regelmäßig am Centre for Entrepreneurship (CfE) der Europa Universität Viadrina und ist im Rahmen der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt (KOWA) Mentor für gründungswillige Studierende. Christian twittert unter @nu_technologies.

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