Gastbeitrag von Wolfgang Bergthaler
Über ungeahnte Potentiale im Wachstumsmarkt Indien
Dass hunderttausende Programmierer in indischen Outsourcing-Zentren für amerikanische Banken und Versicherungen Software entwickeln, weiß heute jeder. Dass aber auch jedes siebte Start-up im Silicon Valley von indisch-stämmigen Entrepreneuren gegründet wurde, wissen nur die wenigsten. Indien verfügt also nicht nur über jede Menge Tech-Talent, sondern auch über leidenschaftliche Unternehmer, smarte Manager (wie der aus Hyderabad stammende Satya Nadello) und umtriebige Investoren á la Vinod Khosla (ehemaliger Co-Founder von Sun Microsystems).
Der Subkontinent bringt also alle Zutaten für eine dynamische Internet-Gründer-Szene hervor. Davon profitieren mittlerweile aber nicht mehr ausschließlich die USA. Jenseits unserer Wahrnehmung hat sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 in Indien eines der interessantesten Internet-Ökosysteme der Welt entwickelt, welches die dortige Software-Industrie in eine neue Ära katapultierte. Weil damals viele der talentiertesten indischen Software-Entwickler nicht mehr auf ihre gewohnten 25-prozentigen Gehaltssteigerungen verzichten wollten, kündigten sie ihre Verträge. Zur gleichen Zeit verloren tausende Inder im Silicon Valley ihre Jobs und kehrten wieder in ihre Heimat zurück. Viele von ihnen begannen damals an ihren eigenen Ideen zu arbeiten, vor allen an Produkten und Services für den indischen Markt, der damals noch ziemlich vernachlässigt brach lag.
Indiens IKT Markt 100 Milliarden schwer; mehr Internet-Benutzer als die USA
Seitdem kletterte Indien die Wertschöpfungskette mindestens eine Stufe höher: vom Dienstleistungsgeschäft (Outsourcing) hin zu eigenen skalierbaren Produkten in den Bereichen Consumer Web, digitaler Content, mobile Applikationen, e-Commerce oder Cloud-basierte Enterprise Software. Die indische IKT Branche ist mittlerweile fast 100 Milliarden Euro schwer und damit annähernd so groß wie jene Deutschlands. Aktuell beträgt der Exportanteil noch bemerkenswerte 60 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass noch immer mehr als die Hälfte aller globalen Outsourcing-Projekte nach Indien gehen. Im Jahr 2020 soll der indische Heimmarkt für Software & Services jedoch so groß sein, wie der Gesamtmarkt heute. Der Hauptgrund dafür ist die exponentiell steigende Anzahl der Internet-Benutzer. Das WWW ist nun (auch) in Indien angekommen.
Während sich nach der Jahrtausendwende das Internet nur relativ langsam verbreitete und quasi nur der Englischsprachigen (oberen) Mittelklasse in den urbanen Ballungszentren zugänglich war, sorgten ab 2010 flächendeckendes mobiles Internet, sinkende Daten-Tarife und günstige Android-basierte Endgeräte (ab 70 Euro) für einen gewaltigen Wachstumsschub, der einem immer größeren Kundenkreis den Zugang zum World-Wide-Web ermöglichte. Nach der Explosion der Handy-Nutzer auf mehr als 800 Millionen während der letzten 10 bis 15 Jahre wird Indien die USA heuer als zweit-größte Internet-Nation ablösen. Den aktuellen Markt-Daten zu Folge betrug die Anzahl der Internet-User Ende 2013 bereits 200 Millionen, davon surfen 177 Millionen bereits mobil. Die Anzahl der Datenverbindungen wuchs 2012 um 111 und 2013 um 63 Prozent. Bemerkenswert ist, dass heute quasi alle neuen Internet-User sogenannte “mobile-first” beziehungsweise „mobile only“ User sind, also das Web ausschließlich über das Handy nutzen.
Amerikanischer Mainstream und Hochwertiges Made in India
Anders als in China (Japan oder Russland) sind es in Indien Amerikanische Konzerne, die weite Teile des Marktes fest im Griff haben. Google ist unantastbarer Marktführer bei den meisten Werbe-finanzierten Produkten, inklusive Suche, Video- oder dem e-mail-Service. Die indische Facebook-Gemeinde ist mittlerweile stolze 92 Millionen Personen groß und jene von Twitter 20 Millionen. E-Bay betreibt seit Jahren erfolgreich seinen Marktplatz und Amazon stieg (auf Grund von regulatorischen Hindernissen verspätet) erst letztes Jahr erfolgreich in den Ring.
Neben den globalen Internet-Konzernen sind auch die großen VCs aus dem Valley in Indien mit eigenen Funds aktiv – darunter alte Bekannte wie Sequoia Capital, Accel Partners oder IDG Ventures. In den letzten Jahren haben sich auch zahlreiche lokale Angel-Netzwerke formiert, die Ideen bereits in der Frühphase unterstützen. An Geld scheitert es in diesem „Entwicklungsland“ jedenfalls nicht. Im abgelaufenen Jahr wurden in Summe 1,6 Milliarden Dollar in knapp 300 Internet-Start-ups investiert – doppelt so viel wie im Jahr davor. Heute verfügt Indien über einige Internet-Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar, darunter:
- Indiens größter Online-Händler Flipkart: 2007 gegründet, mittlerweile Kapital von über USD 550 Millionen eingesammelt, bei einer Bewertung von 1,6 Milliarden.
- Das international erfolgreiche Mobile-Ad-Network InMobi
- BigData & Analytics-Pioneer MuSigma
- Indiens größter Hersteller von mobilen Endgeräten Micromax, der Smartphones und Tablets nicht nur in Südasien verkauft, sondern mittlerweile auch in Russland.
- Indiens Gelbe Seiten JustDial ist bereits seit 17 Jahren am Markt und hat 2013 einen erfolgreichen Börsegang mit einer Marktkapitalisierung von USD 1,2 Milliarden hingelegt.
Die große und exponentiell steigende Anzahl der Internet-User macht den indischen Markt heute wirtschaftlich äußerst attraktiv. Im abgelaufenen Jahr lag der Gesamt-Umsatz, der im „Indernet“ erwirtschaftet wurde bei umgerechnet 10 Milliarden Dollar, was aber einer jährlichen Steigerung von 33 Prozent entsprach. Unternehmen wie Flipkart, Micromax und JustDial konzentrieren sich (fast ausschließlich) auf den heimischen Markt und verdienen dort sehr gutes Geld.
Der erste Sektor, der in Indien wirklich Erfolg hatte, war Online-Travel. Der Markt-Pionier MakeMyTrip wurde bereits 2000 gegründet und machte 2010 sein Debüt an der amerikanischen Technologiebörse NASDAQ. Das Unternehmen ist weiter auf (globalem) Expansionskurs. Erst letzte Woche wurde bekannt, dass es für 5 Millionen Dollar das niederländische Hotel-Reservierungs-Portal EasyToBook übernommen hat, um indischen Reisenden Unterkünfte in Europa zu vermitteln.
Während die meisten Gründer Probleme des indischen Marktes lösen, versuchen immer mehr indische Unternehmen sich auch international durchzusetzen. InMobi oder MuSigma sind heute internationale Größen in ihrem Bereich. Aber auch einige der jüngeren indischen SAAS Start-ups machen den amerikanischen Vorbildern Konkurrenz – und das nicht nur preislich: speziell zu erwähnen wären die Helpdesk Software Freshdesk (Konkurrent von ZenDesk), das wirklich innovative Retail CRM- und Marketing-Tool Capillary, das „indische Yelp“ Zomato oder den Visual Website Optimizer Wingify. Produkte wie das Projektmanagement- & CRM Tool Zoho oder Slideshare (von LinkedIn akquiriert) sind heute quasi de-facto Standards im Web – Made in India.
Deutsche Ambitionen
Während indische Internet-Firmen ihre Mitbewerber in den USA angreifen, versuchen immer mehr internationale Unternehmen einen Teil des indischen Kuchens zu ergattern. Dass es in Indien viel Geld zu verdienen gibt, wissen nicht nur die großen Konzerne. Auch kleine Nischenplayer finden in Indien immer öfter ihre (heilige) Cashcow. So feiert aktuell die schwedische TrueCaller App beachtliche Erfolge. Mit (innerhalb von zehn Monaten gewonnen) 25 Millionen Nutzern stellt Indien deutlich mehr als die Hälfte der globalen User-Base. Das sah u.a. Sequoia India(!) zum Anlass im Januar über 18 Millionen Dollar in das europäische Unternehmen zu stecken.
Aber auch deutsche Investoren versuchen sich am Subkontinent. An vorderster Front Rocket Internet mit dem Schnäppchen-Aggregator CuponNation, diversen eCommerce Angeboten oder dem Online-Bestell-Service FoodPanda. Damit konkurrieren sich zwei deutsche Unternehmen mit ähnliches Service auch am indischen Markt. Denn Delivery Hero investierte letztes Jahr fünf Millionen Dollar in TastyKhana. Alex Springer stieg schon 2010 in das (Gebraucht)Wagen-Portal CareWale und Bertelsmann in eines der führenden Immobilien-Portale IndiaProperty und e-learning Startup Wiziq ein. Daneben gibt es noch eine Hand voll kleinerer Investments beziehungsweise Beteiligungen von Privatpersonen aus Deutschland und Österreich.
Darüber hinaus gründeten in den letzten Jahren ein paar deutsche Entrepreneure in Indien auf der grünen Wiese, unter anderem den Luxury Shopping-Club BrandMile, einen B2B-Bürozubehör oder ein Affiliate-basiertes Fundraising Portal für NGOs, das sogar für drei Monate Teil des bekanntesten Inkubators (am IIT Ahmedabad) war.
Nicht alle Ventures und Investments sind gelungen. Trotzdem zeigen sie dass das Interesse am indischen Markt deutlich zunimmt. Wer sich etwas intensiver mit dem unbekannten Wachstumsmarkt beschäftigt, wird erkennen, dass es sich unter Umständen lohnt auf Indien zu setzen anstatt auf heiß-umkämpfte und gesättigte Märkte dies- und jenseits des Atlantiks. Indien ist in seiner Größe und Dynamik ein Mega-Markt und in Zukunft auf jeden Fall öfter mal ein Investment wert.
Zur Person
Wolfgang Bergthaler ist Blogger, Berater und Unternehmer. Er arbeitet seit 2004 in der indischen IT-Branche und seit 2010 im „Start-up Ecosystem“. Auf www.indische-wirtschaft.de schreibt er regelmäßig über den (digitalen) Wachstumsmarkt in Südasien mit seinen Möglichkeiten und Eigenheiten.