Früher Umsatz in High-Tech-Start-ups: kein Widerspruch!
In der Themenreihe “Was Gründer bewegt” informieren erfahrene Investmentmanager des High-Tech Gründerfonds (HTGF). Diesmal beschäftigt sich HTGF- Senior Investmentmanager Bernd Goergen mit frühen Umsätzen in High-Tech-Start-ups.
Eines vorab: Es gibt High-Tech Start-up-Geschäftsmodelle, bei denen die Frage nach dem Erreichen früher Umsätze vollkommen sinnlos erscheint. Entweder ist das Generieren erster Kunden Grundvoraussetzung oder zumindest Zielsetzung einer Erstfinanzierung wie z.B. bei den meisten E-Commerce-Unternehmen, oder aber der Businessplan sieht bis zum voraussichtlichen Exit keinerlei eigene Umsätze vor, wie es in der Regel bei medikamentenentwickelnden Biotechs der Fall ist, die nach erbrachtem “klinischen Proof-of-Concept” ihren Wirkstoff an einen Partner auslizenzieren oder gleich die ganze Firma verkaufen. Zwischen diesen beiden Extremen existieren jedoch jede Menge Geschäftskonzepte, bei denen sich die Unternehmer fragen müssen, wann der richtige Zeitpunkt für einen Markteintritt der eigenen Technologie bzw. der Produkte gekommen ist. Im Folgenden möchte ich daher erörtern, warum den Mutigen – auch hier – die Welt gehört und welche positiven Effekte frühe Umsätze für die weitere Entwicklung eines High-Tech Start-ups haben können.
Das perfekte Produkt gibt es nicht.
Kennen Sie jemanden, der mit der ersten Version seines Computerbetriebssystems vollkommen zufrieden war? Was kostet Ihr zuletzt erstandener Fernseher jetzt? In der heutigen Zeit sind die Produktzyklen immer kürzer und Updates regelmäßig. Warum also warten bis das eigene Produkt die eigenen (Wunsch-)Vorstellungen erfüllt? Der Kunde entscheidet, nicht der Verkäufer. Natürlich müssen Technologien bzw. Produkte die gesetzlichen Voraussetzungen für das Inverkehrbringen erfüllen und natürlich gibt es Branchen, in denen Produktlaunches so teuer sind, dass ein Start-up “nur einen Schuss” dafür hat – aber das ist nicht die Regel. Attraktive Marktnischen existieren nicht ewig und wenn Ihr Produkt ein wichtiges Marktbedürfnis besser als der Wettbewerb befriedigt, wird es Zeit, diesen Markt zu testen bevor es andere tun. Dies gilt übrigens insbesondere dann, wenn Ihre Technologie hohe Wechselhürden schafft.
Dein Freund, der Kunde.
Gerade im High-Tech-Bereich sind Pilot-Kunden extrem Technologie-affin und nehmen gewisse “Kinderkrankheiten” in Kauf, um als einer der Ersten Zugang zu echten Innovationen zu erlangen. Diese müssen übrigens nicht zwangsläufig gratis zur Verfügung gestellt werden, denn häufig gilt: Was nichts kostet, ist nichts wert. Seien Sie kreativ in der Gestaltung der Gegenleistung. Nutzen Sie das Feedback, egal ob positiv oder negativ, um Ihr Produkt zukünftig noch besser zu machen. Dann ist der Kunde zu Ihrer erweiterten Entwicklungsabteilung geworden.
Heute Kunde, morgen Investor?
Je nach Geschäftsmodell vermarkten High-Tech Unternehmer keine Endkonsumentenprodukte sondern Technologien, die zum integralen Bestandteil der Wertschöpfungsstufe ihrer meist größeren und etablierten Industrie-Kunden werden. Je enger diese Verzahnung ist, z.B. durch gemeinschaftliche Entwicklungsprojekte, umso wahrscheinlicher wird deren Interesse sich diese Technologie langfristig und vielleicht auch exklusiv zu sichern. Dies kann die Basis für einen späteren Unternehmenskauf, aber auch für ein Investment in Ihr Unternehmen sein. Externe Innovation ist für die meisten Konzerne zur Selbstverständlichkeit geworden und Corporate Venturing, ob nun mit oder ohne formale Fondsstrukturen, ein probates Mittel, die Business Development-Aktivitäten zu ergänzen. Der angenehme Nebeneffekt: Ein Corporate Investment gilt für viele klassische Venture Kapitalisten als hervorragende Technologie-Validierung und schreckt Finanzinvestoren nur dann ab, wenn sich das Start-up damit auf einen Exit-Partner festgelegt hat.
Frühe Umsätze als Signal an den Kapitalmarkt.
Tiefgehendes Technologie-Know-how der Gründer wird von Investoren geliebt. Technologie-Verliebtheit der Gründer wird von Investoren hingegen gefürchtet. Ist sie doch meist ein sicheres Zeichen dafür, dass die Entwicklung teurer und die Vermarktung vernachlässigt wird. Diese Befürchtung kann ein Gründerteam dadurch entkräften, dass ernsthaft versucht wird, bereits zu einem frühen Zeitpunkt eigene Einkünfte zu erzielen, sei es durch Technologie-basierte Dienstleistungen oder durch Produktverkäufe. Damit sollten weniger Zweifel an der klar kommerziellen Ausrichtung des Start-ups aufkommen. Abgesehen davon erweitert man durch Umsätze auch deutlich das Universum in Frage kommender Investoren, insbesondere was die zunehmende Zahl an unternehmerischen Privatinvestoren mit zum Teil hoher Branchenexpertise und nützlichem Netzwerk angeht. In diesem Zusammenhang sei auch auf die bei einer Finanzierungsrunde deutlich verbesserte Verhandlungsposition hingewiesen, die durch liquiditätsverlängernde Umsätze entsteht. Alleine die Möglichkeit, sich bei der Kapitalsuche “noch etwas Zeit zu lassen”, kann die Kompromissbereitschaft interessierter Investoren enorm verbessern.
In der Gesamtbetrachtung lässt sich also feststellen, dass auch bei High-Tech Start-ups das Generieren früher Umsätze nicht nur in schlechten Kapitalmarktzeiten viele Vorteile birgt und vor allem eines schafft: mehr unternehmerische Freiheit!
Was Gründer bewegt (Bisherige Teile dieser Reihe):
- 10 Stolpersteine beim Fundraising
- So wird der Exit erfolgreich
- 7 Tipps, wie man eine Anschlussfinanzierung erfolgreich auf die Beine stellt
- Krise im Start-up? Es gibt nur Ergebnisse!
- Was können Gründer tun um Ihr Unternehmen auf Wachstum vorzubereiten?
- Mit dem richtigen Team zum Erfolg
- Value Add – Was macht einen guten Investor wirklich aus?
- Start-ups und Corporates: Chancen und Risiken
- Wie treffen Investoren ihre Entscheidungen für oder gegen ein Investment?
Zur Person
Dr. Bernd Goergen arbeitet seit Anfang 2008 als Senior Investmentmanager im Life Science Team des High-Tech Gründerfonds. Der promovierte Biologe und zertifizierte Biotech-Analyst (DVFA) bringt für diese Aufgaben 5 Jahre virologisch-immunologische Forschungserfahrung, 7 Jahre Expertise im internationalen Diagnostika-Marketing im In- und Ausland mit und sammelte zudem zwischen 2000 und 2007 umfangreiche M&A und Kapitalmarktkenntnisse im Investment Banking einer deutschen Großbank.