Von Christina Cassala
Freitag, 31. Januar 2014

“Ich würde eine Schriftstellerkarriere anstreben”

Jeden Freitag beantwortet ein Gründer oder eine Gründerin unseren standardisierten Fragebogen. Der Fragenkatalog lebt von der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Fragen, die alle Gründer beantworten müssen - diesmal antwortet Andrea Anderheggen von Shopgate.

Was bedeutet es Ihnen, Ihr eigener Chef zu sein?
Es bedeutet für mich Freiheit und Verantwortung zugleich: Die Freiheit, einen Markt selbst bestimmen zu können, mit Hilfe einzigartiger Produkte, die für Kunden einen unverzichtbaren Wert haben. Es bedeutet jedoch zugleich ein hohes Maß an Verantwortung gegenüber der eigenen Familie, meinen inzwischen 118 Mitarbeitern und ihren Familien, den Kunden, Partnern und Investoren. Denn deren eigener Wohlstand hängt zu einem erheblichen Anteil von meinen eigenen strategischen und operativen Entscheidungen ab.

Bei welcher Gelegenheit kam Ihnen die Idee zu Ihrem Start-up?
Als ich das erste Mal ein iPhone in den Händen hielt. In diesem Moment wurde mir klar, dass das gesamte Internet – darunter auch der eCommerce – mobil wird. Damals, 2007, ahnte ich allerdings noch nicht, in welchem Ausmaß Smartphones und Tablets die Internetnutzung über klassische PCs verringern werden.

Woher stammte das Kapital für Ihr Unternehmen?
In den Anfangszeiten habe ich selbst einen hohen sechsstelligen Betrag investiert, den ich mit anderen von mir gegründeten Unternehmen verdient hatte. Zudem hatten wir bereits sehr früh das Glück, mit Creathor Venture eine Finanzierungsrunde abzuschließen und einen außergewöhnlichen Partner zu gewinnen. So konnten wir die absolute Marktführerschaft für M-Commerce-Lösungen in Deutschland erringen. 2013 haben wir mit Northcap Partners und wiederum mit Creathor Venture eine weitere Finanzierung abgeschlossen, um unsere deutsche Erfolgsgeschichte in den USA, Großbritannien und Frankreich fortzusetzen.

Was waren bei der Gründung Ihres Start-ups die größten Stolpersteine?
2009 war es schwierig, Online-Händler davon zu überzeugen, für die wenigen mobilen Besucher Geld in eine eigene mobile Webseite oder native App zu investieren. Inzwischen hat sich das Bild komplett gewandelt: Die meisten verzeichnen heute bereits 15 bis 20 % mobilen Traffic. Ohne Mobile-Shop machen Investitionen in Online-Marketing immer weniger Sinn. Natürlich gab es auch immer wieder Skeptiker. Meine Meinung ist jedoch: Wenn der Markt enormes Potenzial hat und das Team super ist, darf man niemals auf Skeptiker hören. Man muss die Sache durchziehen!

Was würden Sie rückblickend in der Gründungsphase andersmachen?
Rückblickend hätten wir vieles schneller machen können. Grundsätzlich gilt: Schneller geht immer – und man lernt jeden Tag dazu.

Jedes Start-up muss bekannt werden. Welche Marketingspielart ist für Sie besonders wichtig?
Woran ich glaube, ist „Massive Action“. Also nicht eine oder zwei Marketingspielarten, sondern so viele wie möglich – so intensiv wie möglich. Emails, Anrufe, Messen, PR, Social Media: Alles extrem intensiv und dauerhaft bringt den Erfolg. Nur wer massiv viel Energie und Begeisterung investiert, kann aus meiner Sicht erfolgreich sein.

Welche Person hat Sie bei der Gründung besonders unterstützt?
Meine Frau. Sie tritt zwar im Unternehmen nie in Erscheinung und berät mich kaum. Sie bringt mir aber die Geduld, das Vertrauen und letztlich die Liebe entgegen, unsere Familie trotz ständigen Reisens, verrückter Arbeitszeiten und beruflicher Turbulenzen glücklich zu halten.

Welchen Tipp geben Sie anderen Gründern mit auf den Weg?
Wenn der Markt enorm und das eigene Produkt im Vergleich zu den bestehenden Alternativen besser ist: Halte durch, bis Du erfolgreich bist! Sei wählerisch, wenn es um Mitarbeiter geht: Nur die besten bringen Dich vorwärts. Akzeptiere Investoren nicht einfach nur wegen des Geldes: Man muss viele Jahre intensiv zusammenarbeiten. Echter Erfolg stellt sich nur ein, wenn die Zusammenarbeit dauerhaft funktioniert. Last but not least: Kompromisslosigkeit bei der Produktqualität und Highspeed in Sales & Marketing.

Sie treffen den Bundeswirtschaftsminister – was würden Sie sich für den Gründungsstandort Deutschland von ihm wünschen?
Erst einmal: Selbstvertrauen. In Deutschland tendiert man von Zeit zu Zeit dazu, sich gegenüber anderen Märkten, wie beispielsweise den Vereinigten Staaten, im Nachteil zu sehen – zumindest im IT-Bereich. Dabei gibt es viele Vorteile, die Deutschland attraktiv machen: Infrastruktur, Rechtssicherheit, Bildung und noch vieles mehr. Es geht nicht darum, andere kopieren zu wollen, sondern eine eigene Identität zu schaffen mit dem reichlich vorhandenen Talent hierzulande. Und die Ambitionen sollten häufiger das volle Potential anvisieren: Wenn eine Idee weltweit attraktiv ist, soll man sie auch weltweit umsetzen!

Was würden Sie beruflich machen, wenn Sie kein Start-up gegründet hätten?
Eine schwierige Frage. Ich habe im Hauptfach Philosophie studiert. Als Angestellter dürfte ich eher schwierig sein – und für „interne Politik“ oder mühsame Hierarchien in Großkonzernen ohne Spirit fehlt mir der Sinn. Ich interessiere mich für deutsche Literatur und würde wohl eine Schriftstellerkarriere anstreben. Das ist allerdings weniger ein Beruf und vielmehr eine Lebensform, für die ich unter Umständen nur bedingt geeignet bin.

Bei welchem deutschen Start-up würden Sie gerne mal Mäuschen spielen?
Das klingt vielleicht etwas überheblich, aber derzeit gehört Shopgate selbst zu den für mich interessantesten Start-ups. Allerdings bewundere ich auch MyTaxi und Runtastic. Großartig, was hier geleistet wird!

Sie dürften eine Zeitreise unternehmen: In welche Epoche reisen Sie?
Es gibt zwar viele historische Epochen, die faszinierend sind. Letztlich würde ich dann aber doch in die Zukunft reisen: In das Jahr 3013. Bis dann hat sich die Menschheit entweder selbst umgebracht oder ist soweit, medizinisch den Tod überwunden zu haben, den Weltraum zu erschließen und physikalische Gesetze oder Technologien zu nutzen, die heute so unvorstellbar sind wie das iPhone im Mittelalter.

Sie haben eine Million Euro zur persönlichen Verfügung: Was machen Sie mit dem ganzen Geld?
20 Prozent für Wohltätigkeit, 20 Prozent für ein talentiertes Gründerteam mit der nächsten großen Idee, 30 Prozent für langweilige Anlagen und den Rest als Cash-Reserve für die ersten drei Optionen.

Wie verbringen Sie einen schönen Sonntag?
Am liebsten mit meiner Frau und meinen drei wunderbaren Töchtern am Meer oder in den Schweizer Bergen.

Mit wem würden Sie sich gerne einmal auf einen Kaffee oder ein Bier verabreden?
Mit Elon Musk oder Muhammad Yunus. Wenn ich unter historischen Personen wählen könnte, mit Goethe.

Im Fokus: Weitere Fragebögen in unserem großen Themenschwerpunkt 15 Fragen an

Zur Person:
Andrea Anderheggen gründete 2009 die Shopgate und ist seitdem zusammen mit seinem Mitgründer Ortwin Kartmann als Geschäftsführer des Unternehmens tätig. Zudem ist er Gründer und Managing Director der APMC GmbH. Anderheggen arbeitete zuvor bereits in den Bereichen Mergers & Acquisitions, Venture Capital und E-Commerce. Er war Mitglied der Geschäftsleitung und Vorstand der Payment Network AG und betreute als Berater M&A-Projekte bei der Alliance Boots GmbH und der ScaleTools AG. Anderheggen erlangte einen Lizenziat in Philosophie (Hauptstudium), Corporate Finance und Musikwissenschaften (Nebenstudien) von der Universität in Zürich.

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