Gastbeitrag von Alexander Braun
Kollaps des Facebook-Newsfeeds und Sichtbarkeit von Brand-Pages
Facebook hat ein Problem: der 2006 unter (rückblickend kaum noch vorstellbaren) User-Protesten eingeführte Newsfeed – heute zentrales Element aller Nutzerinteraktion – droht unter seinem eigenen Erfolg zusammenzubrechen. In Anlehnung an Moores Law hatte Mark Zuckerberg 2008 prognostiziert, dass Facebook-User jedes Jahr doppelt so viel teilen würden wie im Jahr zuvor. Dass er mit dieser Einschätzung nicht ganz falsch lag, konnte er 2011 in einer ersten Zwischenbilanz präsentieren: pro Tag wurden da bereits 4 Milliarden Dinge geteilt.
Ertrinken im Meer aus Rauschen: 1.500 Stories bei jedem Newsfeed-Besuch
Diese Entwicklung hat sich fortgesetzt: die aus wirtschaftlicher Perspektive wichtige Integration von Brand-Pages und das weiter rasante User-Wachstum führte zu einem starken Wachstum der Anzahl an Newsfeed-Nachrichten. Um zu verhindern, dass andere Apps mit ihrer dynamischen Entwicklung und ihren eigenen Newsfeeds Facebook das Wasser abgraben, versuchte sich Facebook teilweise erfolgreich (Instagram), teilweise weniger erfolgreich (Snapchat) mit der Akquisition und der tiefen Integration in den eigenen Newsfeed. Um für alle User der Master-Newsfeed zu sein, kann der Facebook-Newsfeed jedoch auch von einer ständig wachsenden Zahl weiterer Apps über dafür von Facebook zur Verfügung gestellte Schnittstellen direkt bespielt werden: man muss sich folglich in die anderen Apps nicht mehr einloggen und bleibt via Facebooks Newsfeed trotzdem stets auf dem Laufenden.
Soweit die Theorie. In der Praxis ergibt sich daraus folgende Konsequenz: jedes Mal, wenn ein User seinen Newsfeed besucht, existieren bedingt durch dieses Wachstum mittlerweile durchschnittlich 1.500 Stories, die ihm angezeigt werden könnten. Ein Überblick in diesem Meer aus Stories ist nicht mehr möglich, potenziell für den User Relevantes droht unterzugehen.
Facebooks Antwort darauf ist der Einsatz seines Edge-Rank-Algorithmus, an dem ständig weiter gefeilt wird: in Abhängigkeit von den individuellen Präferenzen der User und ihrer Klicks auf Newsfeed-Beiträge werden nach und nach nur noch die Stories angezeigt, von denen Facebook annimmt, dass sie die größte Relevanz für den jeweiligen Nutzer haben. So die offizielle Lesart.
Facebook-Fans sind nicht Eigentum der Brand-Pages
Während einerseits Eli Pariser 2011 vor der Gefahr einer Filter-Bubble warnte ( = Nutzer werden nur noch mit Bekanntem konfrontiert) und mittlerweile mit seinem Startup Upworthy den Facebook-Newsfeed sehr erfolgreich viral flutend gegensteuert, liegt auch die Annahme nicht fern, dass es Facebook selbstverständlich nicht in erster Linie nur um die Qualität des Newsfeeds geht, sondern schlicht ums Geldverdienen: so fiel die Bekanntgabe, dass die Posts von Brand-Pages nur etwa 16% aller Fans auch tatsächlich erreichen, sicherlich nicht zufällig mit der Lancierung des Reach-Generators zusammen, mit dem Unternehmen die garantierte Reichweite von 75% ihrer Fans erkaufen können.
Dies hat viele Unternehmen zumindest vorübergehend zur Revision ihrer Facebook-Strategie veranlasst, waren sie doch bislang davon ausgegangen, dass ihnen ihre Fans gehören, die sie häufig mit kostspieligen Kampagnen gewonnen hatten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar: Facebook-Fans sind nicht das Eigentum einer Brand, sondern bilden nur die Grundgesamtheit, die diese Brand potenziell direkt erreichen kann – möchte man sie jedoch erreichen, muss man Facebook für jeden Post erneut bezahlen.
Reichweite des Newsfeeds erneut halbiert
Anfang Dezember 2013 hat Facebook nun erneut eine Veränderung des Newsfeeds angekündigt – selbstverständlich wiederum, um die Qualität zu steigern. Während ein bereits angekündigtes grundlegendes grafisches Redesign des Newsfeeds die User nicht überzeugen konnte und deswegen von Facebook vorerst auf Eis gelegt wurde, äußert sich Facebook zu den Konsequenzen der Anpassung des Algorithmus mittlerweile nicht mehr so scheu, wie noch 2012: “We expect organic distribution of an individual page’s posts to gradually decline over time as we continually work to make sure people have a meaningful experience on the site.” Das Resultat konnten nahezu alle Brand-Pages direkt spüren: die organische Verbreitung von Posts hat sich erneut halbiert, es werden kaum noch Fans ohne bezahlte Verbreitung der Posts direkt erreicht.
Facebook: auf Eis gelegtes Newsfeed-Redesign
Rückgang der organischen Reichweite von Brand-Page-Posts nach 1.12.2013 [Ignite Social Media]
Planbarkeit der Facebook-Aktivitäten für Unternehmen beschränkt
Der Newsfeed von Facebook hat folglich ein grundlegendes Problem: während die Anzahl der zu jedem Zeitpunkt für einen User potenziell relevanten Posts weiter exponentiell ansteigen wird, ist die Zeit und Aufmerksamkeit eines Users begrenzt. Gehen die tatsächlich relevanten Einträge also im Rauschen unter, werden die User Facebook die Gefolgschaft kündigen. Weitere Anpassungen werden also folgen.
Für Unternehmen, die Geschäft und Kommunikation auf Facebook aufbauen, stellt das grundlegende Ändern der Spielregeln mitten im Spiel ein ernstzunehmendes Problem dar. Geht man in einer nächsten Iteration der Anpassungen davon aus, dass keine organische Reichweite mehr erzielbar sein wird und kalkuliert man daher zu 100% mit bezahlter Reichweite, liegt auch hier die nächste Grenze bereits auf der Hand: wie kann bezahlte Reichweite garantiert werden, wenn Fans vielen verschiedenen Brands folgen und auch noch eine über Brands hinausgehende Relevanz ihres Newsfeeds haben möchten (sprich: auch noch Updates von ihren Freunden lesen wollen)?
Google sah sich in den Anfängen seiner Geschäftsmodellentwicklung mit ähnlichen Problemen konfrontiert: das von Goto.com erfundene Modell der Monetarisierung von Suchmaschinen durch bezahlte Platzierungen ließ die (damals ohnehin noch nicht gegebene) Relevanz von Suchergebnissen sinken, da keine Trennung von organischen und bezahlten Resultaten existierte. Die Innovation von Google und die Grundlage für seinen beispiellosen Erfolg war nebst der Entwicklung eines Algorithmus (Page-Rank), der die Relevanz der Suchergebnisse sämtlicher Konkurrenten in den Schatten stellte, eine nur kleine aber entscheidende Modifikation von Goto.coms Modell: die klare, für jeden Nutzer auf einen Blick erkennbare Trennung organischer und bezahlter Suchresultate. Diese ist bei Facebook durch die bezahlte Reichweite und die Vermischung im zentralen Newsfeed nicht gegeben. Soll Facebook auch künftig erfolgreich sein, muss es folglich eine Balance finden, die den wirtschaftlichen Erfolg unter Beibehaltung der Relevanz des Newsfeeds gewährleistet.
Dieser Beitrag ist im Original im Blog der Digitalagentur CREATIVE CONSTRUCTION HEROES erschienen.
Zur Person
Alexander Braun ist Gründer und Geschäftsführer der Berliner Digitalagentur CREATIVE CONSTRUCTION HEROES, die ein breites Kunden-Spektrum von Start-ups über Corporates bis hin zu Bundesländern und NGOs bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Digitalstrategie betreut. Er ist seit 1999 in der Entwicklung von Internet-Projekten und Startups aktiv und war von 2003 bis 2007 in Führungsfunktionen bei Bertelsmann für die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle verantwortlich. Alexander Braun ist Autor und Koautor von Fachbüchern über künstliche Intelligenz im Business- Kontext, Web 2.0 und die Auswirkungen des Internets auf die Buchbranche. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen und belegte Executive Education am INSEAD und am Massachusetts Institute of Technology (MIT).