“Ich bin einfach zu ehrgeizig, um aufzugeben”
Sprechen wir über das Scheitern. MyParfum hat harte Zeiten hinter sich. Nach einem Höhenflug der tiefe Fall und die Insolvenz. Nun der Neustart. Hast Du das Gefühl, in der Szene als Phönix wahrgenommen zu werden. Immerhin wirst Du z.B. für Konferenzen gebucht, um über das Scheitern zu sprechen?
Das würde ja bedeuten, dass wir jetzt noch strahlender und glänzender dastehen als zuvor. Und so ist es definitiv nicht. Wir sind eher bodenständiger und solide geworden, wie man unter anderem an den Mitarbeiterzahlen sieht. Personaltechnisch stehen wir mit 10 Mitarbeitern jetzt da, wo wir waren, ehe das große Abenteuer durch die Finanzierung und das Venture Capital begann. Aber ich merke durch Anfragen schon, dass das Scheitern eine Erfahrung ist, die nicht viele Leute gemacht haben. Aber sie wollen an dieser partizipieren. Üblicher ist ja die Maßgabe „fail fast“, also schnelles Wachstum mit Finanzierungen und Exits. Aber so, wie ich es mache, ist es das genaue Gegenteil. Das Ende wollte ich nie akzeptieren, denn ich glaube an die Idee von MyParfum.
Die Insolvenz ist jetzt etwa ein halbes Jahr her. Was war passiert und wo steht ihr heute?
Grundsätzlich kann man das Unternehmen in drei Phasen einteilen. Zunächst waren wir ganz langsam gewachsen, aber mit zwei neuen Geschäftspartnern stieg parallel ein Business Angel ein. Wir sind daraufhin 2011 im TV-Bereich gestartet und haben Wachstumszahlen mit bis zu 400 Prozent hingelegt. In Folge dessen haben wir im Sommer 2012 erfolgreich eine Finanzierungsrunde abgeschlossen – die Sterne waren plötzlich zum Greifen nah und wir planten die weltweite Expansion! Niemand zweifelte an einem Erfolg.
Aber wir hatten uns verkalkuliert. Das erhoffte Wachstum blieb aus, aber die Kosten stiegen, so dass wir ein extrem negatives Jahresergebnis erzielt hatten und in Liquiditätsnöte gerieten. Es endete in der Insolvenz. Das war der totale Abstieg. Mit dem Rückkauf der Firma stehe ich jetzt wieder da wie kurz nach Gründung. Für mich hat sich der Fokus jedoch verschoben. Statt schnellem Exit denke ich jetzt langfristig.
Der damalige Plan hieß also Exit?
Klar! Investoren investieren, weil sie schnelle Rendite sehen wollen und als Gründer sagt man cool, da mache ich mit und verkaufe.
Das ist ein spannender Punkt! Du hast drei Jahre das Unternehmen langsam und organisch noch während Deines Jura-Studiums aufgebaut. Was passiert also als junger Gründer, der bescheiden anfängt und erst einmal sehen will, ob die Idee funktioniert und plötzlich stellt sich der Größenwahn ein?
Zu Beginn der Unternehmensgründung war mein Ziel, einen eigenen Schreibtisch zu haben. Nach drei Monaten hatten wir jedoch nicht nur einen eigenen Schreibtisch mit Stuhl und Computer, sondern sogar ein großes Büro und Produktionsfläche. Je schneller sich Erfolg einstellt, desto schneller gewöhnt man sich auch daran! Wenn man sich keine vordefinierten Ziele setzt, mit denen man zufrieden ist, dann wird man nie mehr zufrieden – eine richtige Spirale ist das. Es ist wie eine Sucht, immer höher zu kommen. Ich wollte als noch junger Mensch einfach meine Grenzen austesten.
War denn da jemand, der euch in diesem Moment ausbremsen wollte und warnte, die Hintertür offen zu lassen?
Es war vor allem das private Umfeld, dass die Alarmglocken läuten ließen. Nur unser Business Angel ermahnte uns, auf die Kosten zu achten und war von einigen Entscheidungen gar nicht begeistert. Aber für uns war es immer klar, dass es klappen wird. Daher haben wir nicht richtig zugehört. Dabei waren wir gleichzeitig ziemlich angstgesteuert.
Du wirst ja auch von anderen Start-ups eingeladen. Was erzählst Du ihnen dann?
Ich bin ja meist dort, wenn das Kind quasi schon in den Brunnen gefallen ist. In dieser Phase hat man als Gründer im Grunde mit jedem Stress: den Gläubigern, den Vermietern, den Investoren. Die Grundmessage, die ich dann habe ist: es geht immer weiter, wenn man möchte! Ich versuche, aus meinen Erfahrungen Klarheit in die Situation zu bringen, und Optionen aufzuzeigen, um auf gar keinen Fall in eine Insolvenzverschleppung zu geraten.
Am besten ist, jeder sucht sich frühzeitig einen guten Anwalt! Und wenn schon nichts mehr zu retten ist, dann ist die psychologische Komponente ungeheuer wichtig. Rationales Handeln ist dann entscheidend, um vielleicht die Idee zu retten oder Arbeitsplätze zu erhalten.
Was passiert mit einem, wenn man sich mit Mitte/Ende 20 vor Mitarbeiter stellen und zugeben muss, sich total verzockt zu haben?
Es ist vor allem eine Erfahrung, die einen geistig älter macht. Wir waren am Schluss an die 80 Mitarbeiter und hatten monatliche Personalkosten im sechs-stelligen Bereich. Nach dem Absturz bricht das alles zusammen. Ich hatte dann beispielsweise große Probleme damit, die Mitarbeiter überhaupt zu motivieren, weil ich mir die Frage nach der Motivation ja immer selber gestellt hatte. Ich glaube, das hat bei vielen Kernmitarbeitern tiefe Spuren hinterlassen und ist für alle – ein Jahr nach dem tiefen Fall – noch immer wie ein Trauma.
Wie offensiv und transparent bist Du gegenüber den Mitarbeitern mit der Situation umgegangen?
Ich habe kein großes Geheimnis daraus gemacht habe. Da unser Business stark vom Weihnachtsgeschäft abhängig ist, konnten die Mitarbeiter eh sehen, dass wir deutlich unter unseren Monatszielen lagen. Die Differenz war offensichtlich! Kosten hoch, Umsätze niedrig. Die Wochen vor der großen Entlassungswelle wusste jeder, dass es dazu kommen würde. Mir wurde geraten, ein großes Meeting zu machen und alle zu informieren. Das war höchst emotional. Nichts, womit man sich im Studium mal auseinandersetzt.
Hättest Du Dir in der Zeit etwas gewünscht, um besser vorbereitet zu sein. Gibt es da etwas, was es da bräuchte, dass Du vermisst hast?
Nach vielen schlaflosen Nächten bin ich heute der Überzeugung, dass wir richtig gehandelt haben, alles auf eine Karte zu setzen. Wir kannten das Risiko und sind es sehenden Auges eingegangen. Es hätte genauso gut funktionieren können. Und dann hätten wir alle gefeiert.
Ich habe mich mit meiner Unternehmer-Gruppe sowie meinem Coach ausgetauscht, sowohl wirtschaftlich als auch privat. Das hat mir sehr geholfen. Es brauchte eine nüchterne Betrachtung. Letztendlich waren alle Partner, mit denen wir zusammengearbeitet haben oder in deren Schulden wir standen, in der letzten Phase sehr nett und entgegenkommend. Erst, als die Anschlussfinanzierung nicht geklappt hatte, war daher erst wirklich klar: wir müssen Insolvenz anmelden.
Würdest Du sagen, es ist euch mehr Wohlwollen oder mehr Häme entgegengebracht worden?
Es gab schon hämische Kommentare, aber das war mir in diesem Moment total egal, weil wir so viele andere Probleme hatten. Intern konnten wir der Situation nur noch mit Galgenhumor begegnen. Die Versuchung, dann den Kopf in den Sand zu stecken, ist hoch. Aber wir hatten uns für die Offensive entschieden und haben mit den Leuten gesprochen. Wir waren offen genug um zu sagen, dass wir nicht mehr zahlen können. Das war sehr unangenehm. Aber gar nichts zu machen, fällt einem hinterher erst recht auf die Füße.
Auch durch die Szene sind wir gezwungen worden, offensiv zu agieren. Aber dadurch wurde uns auch so manche Entscheidung abgenommen. Rückwirkend war es gut. So konnten wir zeigen, dass es weitergehen soll. Ehrlicherweise muss ich aber sagen, dass ich in der Zeit wenig unterwegs war, denn ich war froh für ruhige Minuten.
Gibt es rückblickend so klassische Fehler, die ihr gemacht habt? Fehler, die sich auch bei anderen Start-ups einschleichen, die du jetzt aus der Distanz heraus identifizieren kannst? Stichwort: Gigantomanie, Größenwahn.
Wenn man einen Traum hat, muss es groß sein, auch dann, wenn es verrückt klingt. Aber das eine ist die Vision in der Theorie, das andere ist die Praxis. Da hätte ich besser aufpassen müssen und mehr auf unseren Business Angel hören sollen.
Wir sind zu schnell mit den Kosten hochgegangen und haben ein Produkt vermarktet, das noch gar nicht marktreif war. In diese Falle sind wir reingetappt. Diesen Fehler würde ich beim nächsten Mal nicht noch einmal machen. Aber natürlich ist es schwer, diesen Ratschlag von anderen anzunehmen, wenn man ihn selber noch nicht erlebt hat.
Dein Plädoyer wäre also: Vertraut auf den Ratschlag von außen?
Ja, das! Und auch, sich selbstkritisch zu hinterfragen! Das ist natürlich sehr schwer, wenn man von Investoren das Gefühl bekommt, alles richtig gemacht zu haben und Geld für den Business Plan erhält.
Woher kommt nach der Insolvent die Kraft, weiterzumachen?
Als der Schritt in die Insolvenz getan war, habe ich das als sehr befreiend erlebt. Als wir mit unserem Anwalt das erste Mal über Insolvenz gesprochen hatten, war das alles noch so weit weg und irreal und nur eine Möglichkeit und weiteren. Aber dann war der Tag gekommen und ich hatte zwei Möglichkeiten: entweder ergebe ich mich oder gehe in die Offensive. Das wird in der Öffentlichkeit auch honoriert. In USA noch einmal viel mehr als hier. Da ist das Scheitern als Jobvoraussetzung sogar gewollt. Es ist eben auch einer Erfahrung, die sehr Horizont erweiternd ist.
Hat sich deiner Meinung nach in Deutschland etwas grundlegend geändert?
Das kann ich nicht beurteilen. Im Privaten was es schon so, dass das Scheitern als eine absolute Katastrophe empfunden wurde. Ich hatte schon den ein oder anderen Mitleidsanruf. Das war fast so, als ob jemand gestorben sei. Im beruflichen Umfeld wurde es eher honoriert, denn die Leute merkten, dass ich nicht aufgeben möchte. Ansonsten wäre es sicherlich auch anders gewesen.
Wie groß war der Impuls, aufzugeben?
Der war schon groß, ja! Aber letztendlich bin ich einfach zu ehrgeizig, um aufzugeben. Die Insolvenz hat mich gelehrt, dass es eben nicht nur ums Geld geht, sondern auch um Werte und um das, was man als Unternehmer aufbaut. Ich denke jetzt: Leicht verdientes Geld ist kein gutes Geld. Das ist zwar sehr protestantisch, aber bei hart verdientem Geld habe ich ein besseres Gefühl. Ich bin einfach ein Dickkopf und mache auch wahrscheinlich deshalb so schnell weiter, ich habe mich wieder aufgerappelt.
Derzeit erfinden wir MyParfum neu und wagen den Strategiewechsel. Im Kerngeschäft werden wir nicht mehr so stark wachsen, probieren dennoch viel aus und in der Peripherie haben wir tolle Ideen, die entweder total durch die Decke gehen. Oder eben nicht!
Hausbesuch bei MyParfum
Nachdem das Parfum-Start-up MyParfum noch im Frühjahr in die Versenkung abzurutschen drohte, wagte Gründer Matti Niebelschütz bereits wenige Monate später einen Neustart – und das in bester Innenstadtlage. Vis-a-vis zum Friedrichstadtpalast hofft der Gründer nun neben seinem Online-Vertrieb auf ausreichend Laufkundschaft. Einige Eindrücke gibt es in unserer Fotogalerie.