1SDK-Gründer Anil Kutty zieht Berlin dem Silicon Valley vor
Viele Sympathisanten der Tech-Szene können das Gerede über Berlin als die neue Startup-Metropole nicht mehr hören und halten die Stadt für völlig überschätzt. Wenn man Anil Kutty hört, sieht das anders aus. Für den in Neu-Delhi geborenen Inder mit holländischer Staatsbürgerschaft ist klar, dass Berlin der beste Ort für Gründer wie ihn ist. Hier zieht er sein Start-up 1SDK hoch, hier will er Investoren begeistern.
„Gründer wie er“, das sind solche, die keine Ex-Mitarbeiter von Facebook, Google oder Apple sind und deshalb schon ihre Eintrittskarte ins Silicon Valley-Ökosystems haben. „Gründer wie er“ sind Gründer, die von ganz unten anfangen, bootstrappen und in kleinen Schritten vorwärts gehen.
„Dynamic Pricing“ konnten sich bisher nur die Großen leisten
Nach seinem IT- und BWL-Studium in Belgien und Indien zieht es Kutty zunächst beruflich nach Omen, Bangalore, Philadelphia und Amsterdam. Dann holte ihn Vodafone nach Boston. Dort baut er für den Mobilfunkbetreiber den Vodafone App Store auf und bekommt tiefe Einblicke: „Ich sah, wie schwierig es kleine App-Entwickler haben und dass die unterschiedlichen Standards der App Stores ein echtes Problem darstellen“, erklärt der Neu-Berliner. Als ihm klar wird, dass die großen Player das Problem nicht selbst lösen würden, wird er aktiv und bastelt an seiner eigenen Idee.
Die von Kutty entwickelte Software-as-a-Service 1SDK hilft Entwicklern von Apps und Mobile Games, die besten Preise für In-App-Produkte zu finden – meist sind sie es nämlich die digitalen Güter, über die sich Apps finanzieren. Mit der Software lassen sich die eigenen App-Nutzer analysieren und ihnen so maßgeschneiderte Angebote für digitale Güter anbieten. „Mit den richtigen Preisen können unabhängige Spieleentwickler die Einnahmen deutlich verbessern – das konnten bisher nur große Studios, indem sie Experten für diesen Bereich anheuerten“, berichtet PR-Manager Florian Vey.
Außerdem können App-Entwickler über eine Schnittstelle die Güter direkt im Dashboard abrechnen und müssen sich nicht mit den unterschiedlichen Standards der App Stores herumplagen. Mit der Kombination aus Abrechnungsverfahren, User Analytics und dynamischer Preisfindung in einem einzigen Software Development Kit (SDK) will sich 1SDK von den Mitbewerbern abheben.
„Berlin ist der beste Ort, um ein Start-up von ganz unten hochzuziehen“
Mit seiner Idee wollte Kutty eigentlich ins Silicon Valley. Verschiedene Mentoren hatten ihm dazu geraten und sorgten für die passenden „Introductions“ bei Investoren, ohne die im Silicon Valley nichts läuft. Kutty macht an der US-Westküste, was alle machen: netzwerken, unzählige Veranstaltungen besuchen, mit anderen Gründern zusammen in „hacker houses“ leben und arbeiten. Er verbringt auch einige Zeit auf dem blackbox-Campus von Fadi Bishara, der speziell nicht-US-amerikanische Start-ups fördert.
Trotz guter Voraussetzungen ist der Tech-Experte bald ernüchtert: „Wenn man kein Ex-Mitarbeiter von einem der ansässigen Tech-Unternehmen sondern jemand Unbekanntes aus Europa ist, hat man es schwer, in Kontakt mit Investoren zu kommen. Außerdem muss man schon ein vorzeigbares Produkt vorweisen, das ordentlich genutzt wird.“
Als ihn ein Ex-Kollege auf das Startupbootcamp in Berlin hinweist, bewirbt er sich prompt – und wird genommen. Nach einem halben Jahr an der US-Westküste packt er seine Sachen und siedelt in die deutsche Hauptstadt über. Heute, wieder ein halbes Jahr später, ist er über diesen Schritt froh: „Berlin ist der beste Ort, um ein Start-up von ganz unten aufzuziehen. Die Lebenskosten sind gering, man kommt günstig an Tech-Talente, es gibt eine aktive Startup-Szene aber keine große Industrie, mit der man um die Talente konkurrieren müsste.“ Für 1SDK entscheidend ist auch, dass Berlin in puncto Zeitzone genau zwischen USA und Asien liegt, auf deren Märkte sich das Start-up ausrichtet.
Ganz problemlos geht es aber auch hier nicht vonstatten, so überlegt das fünfköpfige Team gerade, die bisherige Gesellschaftsform Delaware Inc. in eine GmbH umzuwandeln. Keine leichte Entscheidung: „Einige lokale Investoren investieren ausschließlich in GmbHs, aber wir sind auch mit Investoren im Gespräch, die Delaware Inc. als Gesellschaftsform bevorzugen“, erklärt Kutty. Letztlich will er die Entscheidung von den Investoren abhängig machen, die tatsächlich investieren. Eine erste Finanzierungsrunde gab es bereits im September, bald soll die nächste folgen.
Was in Berlin noch fehlt: das Zirkulieren von Geld und Erfahrung
Gefragt danach, wo er mit 1SDK in fünf Jahren steht, schimmert dann doch etwas vom Silicon-Valley-Spirit durch: „Vielleicht wurden wir dann bereits übernommen oder haben einen Börsengang hingelegt.“ Nicht nur das „Think Big“ verrät Kutty als jemanden, der Kontakt ins Silicon Valley hält, sondern auch manches von dem, was er vermisst: zum Beispiel die Masse von Gründern aus aller Welt, die an ihre zum Teil irrationalen Ideen glauben. Oder dass Startup-Gründer und Techies oftmals in speziellen Häusern zusammen leben, arbeiten und sich unterstützen. „Ich glaube aber, dass Berlin das Potential hat, dass solche Sachen entstehen werden und bin da sehr optimistisch.“
Was in Berlin noch fehle ist ein Ökosystem, in dem Geld und Erfahrungen zirkulieren – dafür gab es bisher noch zu wenig erfolgreiche Exits und Übernahmen. Was aber auch den Vorteil habe, dass es als Gründer längst nicht so schwierig sei wie im Silicon Valley, in das Ökosystem hinein zu kommen, betont Kutty – man merkt ihm an, dass er wirklich an Berlin glaubt und daran, dass hier die Möglichkeit besteht, auch als unbekannter Gründer groß rauszukommen.