Netzpolitik ist der Mindestlohn für eine digitale Gesellschaft
Netzpolitik ist der Mindestlohn für eine digitale Gesellschaft – Gastbeitrag von Prof. Dr. Tobias Kollmann. Im Zuge der Koalitionsgespräche zwischen der CDU und SPD stehen Themen wie Arbeitspolitik mit der Mindestlohn-Debatte und die Steuerpolitik ganz oben auf der Agenda. Ein zentrales Zukunftsthema vermisst man als Beobachter im Sinne einer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Medienwelt doch merklich: Die Netzpolitik!
Ist diese nicht wichtig genug, nicht umfassend genug, nicht etabliert genug, um zu einem wichtigen Bestandteil der zukünftigen Regierungspolitik zu werden?
Fakt ist, das wir längst im digitalen Zeitalter leben, arbeiten und kommunizieren und sich dies in absehbarer Zukunft nicht ändern wird. Und dennoch scheint dieses Thema immer noch nicht zentral in der Politik angekommen zu sein. Leider immer noch “Neuland” eben, auch wenn längst 78 % der deutschen Erwachsenen im Internet „zu Hause“ sind, die digitale Wirtschaft laut BMWi über rund 850.000 Beschäftigten ein Umsatz von 222 Milliarden Euro macht und wir in jüngerer Vergangenheit von rund 9.000 IKT-Unternehmensgründungen mit einem Vielfachen von Arbeitsplätzen ausgehen. Warum scheint die Netzpolitik trotzdem nur zu einem Unterthema zu werden?
Vor der Wahl gab es immerhin schon zahlreiche Ansätze der Politik, um sich diesem Thema zu nähern. Eine Enquete-Kommission “Internet und digitale Gesellschaft”, ein “Internet-Gipfel” im Kanzleramt, den Beirat “Junge Digitale Wirtschaft” im BMWi sowie zahlreiche Besuche von verschiedenen Parteivertretern in der zugehörigen Startup-Szene. Das reicht kurz-, mittel- und langfristig nicht! Der BITKOM forderte schon länger entsprechend einen Internet-Minister, Springer-Chef Mathias Döpfner unlängst ein Ministerium für die Digitalwirtschaft nach britischem Vorbild und der Bundesverband Deutsche Startups möchte das Thema zumindest weiterhin als “Chefsache” im BMWi wenn nicht sogar im Kanzleramt sehen.
Die NSA-Affäre, die Diskussion um die Netzneutralität, die ständige Feststellung eines Fachkräfte-Mangels für die IKT-Branche und die Überlegung, dass die 5 größten US-Internet- bzw. IT-Firmen (Apple, Facebook, Google, Amazon, eBay) einen nahezu gleichen Börsenwert haben, wie die meisten deutschen DAX30-Unternehmen zusammen – das alles sind Hinweise, dass die Netzpolitik eben kein Randthema ist, sondern auch im Rahmen der Koalitionsgespräche zwingend auf den Tisch muss!
Aktuell zu lesen ist aber, “dass der CDU auf der parlamentarischen Ebene ein Unterausschuss für Digitalpolitik als Anhängsel des Innen- oder Wirtschaftsausschusses ausreichen würde. Bei der SPD gelten diese Überlegungen als “völlig unterambitioniert”. Die Netzpolitik solle damit offenbar auf der “Resterampe” aussortiert werden, heißt es in Parteikreisen.” Es bleibt zu hoffen, dass die Netzpolitik aus dem Schatten der aktuellen Themen herauskommt und die Bedeutung erfährt, die notwendig ist. Die Begründung dafür liegt auf der Hand:
1. Netzpolitik ist Wirtschaftspolitik u.a. mit den Themen IKT-Unternehmen, IKT-Startups, Venture Capital, Business Angels, Inkubatoren, Industrie 4.0 usw.
2. Netzpolitik ist Arbeitspolitik u.a. mit den Themen IKT-Fachkräfte, IKT-Gründer, IKT-Personalentwicklung und -beschaffung, Zuwanderung ausländischer IT-Fachkräfte usw.
3. Netzpolitik ist Bildungspolitik u.a. mit den Themen Aus- und Weiterbildung von IKT-Fachkräften und E-Entrepreneuren in Schulen und Hochschulen, Aus- und Weiterbildung in den MINT-Fächern, einheitliche und qualifizierende Abschlüsse für und innerhalb der IKT-Branche usw.
4. Netzpolitik ist Innenpolitik u.a. mit den Themen Datenschutz, Cybersecurity, Zugang zu Glasfasernetze, Netzneutralität, Netzdrosselung, NSA, Leistungsschutzrecht usw.
Netzpolitik ist aus diesem Grund eben nicht nur ein verlängertes Medienthema! Aufgrund der enormen Querschnittsfunktion muss das Thema so zentral und so umfassend aufgehängt werden wie möglich. Die Forderung nach einem eigenen Ministerium seitens des BITKOM ist dabei nicht aus der Luft gegriffen, mindestens aber brauchen wir einen zentralen Staatssekretär für Netzpolitik mit einem zugehörigen parlamentarischen Ausschuss. Somit ist Netzpolitik quasi der “Mindestlohn” für eine moderne digitale Gesellschaft, damit Deutschland auch in diesem zentralen Thema für die Zukunft gut aufgestellt ist. Diesen gilt es nun auch im Rahmen der anstehenden Koalitionsgespräche umzusetzen.
Zur Person
Prof. Dr. Tobias Kollmann ist Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen und seit Ende April Vorsitzender des Beirats Junge Digitale Wirtschaft (BJDW). Die Mitglieder des Beirats (PDF) sind Gründer und junge IT-Unternehmer aus der Start-up-Szene, Vertreter von etablierten IKT-Unternehmen sowie Investoren. Die Mitgliedschaft im Beirat ist ein persönliches Ehrenamt, das keine Vertretung zulässt.
Artikel zum Thema
* “Ziel ist es, Start-ups noch bessere Rahmenbedingungen zu ermöglichen” – Tobias Kollmann vom BJDW