“Manchmal ist es extrem wichtig, dass man improvisiert” – Markus Witte von babbel
Der Berliner Sprachlernanbieter Babbel (www.babbel.com), der kürzlich 10 Millionen Dollar eingesammelt hat, wandelte sich in den vergangenen Jahren vom kleinen Start-up zum stattlichen E-Learninganbieter, der weltweit unterwegs ist. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht babbel-Mitgründer Markus Witte über viel Geld auf dem Konto, Potenzial jenseits des Atlantiks und Finanzierung als kritischen Faktor.
Reden wir über Start-ups: Wie schwer wiegt die Last, wenn plötzlich mehrere Investoren 10 Millionen US-Dollar in das eigene Unternehmen investieren?
Natürlich wächst die Verantwortung. Aber viel Geld auf dem Konto ist eins der Probleme, die man ganz gut ertragen kann. Tatsächlich haben wir unsere Investoren ebenso sorgfältig ausgesucht wie sie sich die Firma angesehen haben. Dadurch bieten sie eher Hilfe als Belastung. Vor allem unser neu geschaffenes Board of Directors hilft mir als CEO enorm. Es besteht aus Tony Askew, Marco Zeller, Simon Guild und zwei Gründern. Insgesamt steht die Firma heute auf sehr sicheren Füßen und kann jetzt international massiv wachsen.
Wo sehen Sie international das meiste Potenzial?
Unser Kernmarkt ist derzeit Westeuropa und hier gibt es auch viel Wachstum. Das größte Potenzial gibt es aber jenseits des Atlantiks: sowohl in Nord- wie auch in Südamerika ist der Bedarf an privaten Sprachenlernen riesig. Die Märkte sind aber höchst unterschiedlich. So hat das, über mehr als ein Jahrzehnt, groß angelegte Marketing durch Rosetta Stone in den USA das Bewusstsein weit verbreitet, dass man mit Hilfe von Computern eine Sprache lernen kann. Das hilft uns enorm, insbesondere, da wir eine modernere Technologie nutzen, mehr Inhalte und deutlich attraktivere Preismodelle anbieten können. In Brasilien dagegen wächst der Bedarf so massiv, dass sämtliche Angebote zum Fremdsprachenlernen stark genutzt werden.
Wie schwer ist es, aus einem kleinen Start-up ein Unternehmen mit rund 190 festen und freien Mitarbeiter aufzubauen?
In unserem Fall war es offensichtlich machbar. Das hängt aber von vielen Faktoren ab, die man nur zum Teil beeinflussen kann. Wenn man sich die Statistik anschaut, gelingt ein solcher Erfolg recht selten. Und nicht erst von Daniel Kahneman weiß man, dass Erfolg immer mit Glück, großer Erfolg mit viel Glück zu tun hat: Man muss zum richtigen Zeitpunkt das richtige Produkt anbieten, auf die passende primäre Wachstumsstrategie setzen und vor allem die richtigen Leute an Bord haben. Abgesehen von diesen Faktoren, geht es beim Unternehmensaufbau sehr viel um Management. Dabei hat uns unsere langjährige Berufserfahrung vor der Gründung sehr geholfen. Das Management von starken Wachstumsphasen macht sehr viel Spaß, ist aber in der Regel sehr riskant: man muss in kürzester Zeit zu viele Entscheidungen treffen und einige davon sind immer falsch. Das führt zu Wachstumsschmerzen wie unklaren Prozessen und Strukturen und Stimmungsschwankungen im Team. Man muss immer aufpassen, dass man in der Freude des Erfolgs nicht entscheidende “Luxusprobleme” übersieht. Kurzum: es ist ziemlich schwierig, manchmal zu schwierig. Aber wir sind ja eine Lernfirma.
Was konnten Sie beim Aufbau von Babbel alles lernen?
Eine umfassende Antwort auf diese Frage würde ein Buch füllen. Eine der wichtigsten Lektionen war, dass sich die Anforderungen an einen selbst und an das Team ständig ändern. Früh genug zu erkennen, wo die kritischen Punkte in der aktuellen Phase liegen, ist entscheidend. Manchmal ist es zum Beispiel extrem wichtig, dass man improvisiert und schnell voran kommt. Eh man sich versieht, ist man aber in einer Entwicklungsphase, in der man solide Fundamente legen und die Weichen für langfristige Entwicklungen stellen muss. Jedes Mal wenn man denkt, jetzt wird es einfacher, kommt eine unerwartete Wendung. Man muss sich deshalb vor allem vor Arroganz und Selbstzufriedenheit hüten.
Wie hat sich ihre Rolle als Gründer, Geschäftsführer und Unternehmer in den vergangenen Jahren gewandelt?
Die Rollen der drei aktiven Gründer haben sich grundlegend verändert. Am Anfang hat noch jeder alles gemacht und jede Entscheidung wurde gemeinsam diskutiert – bis zum Konsens. Inzwischen sind wir viel mehr spezialisiert und wissen, dass wir uns in den jeweiligen Bereichen aufeinander verlassen können. Lorenz kümmert sich um die echten Innovationen. Nicht die kleinen Verbesserungen und Anpassungen, sondern große Richtungsänderungen in Produkt, Positionierung, und Marketing. Er hat dazu inzwischen ein richtiges Labor und probiert die seltsamsten Projekte aus. Thomas verantwortet die gesamte Technik und leitet das größte Team. Es sorgt nicht nur dafür, dass Babbel immer und auch unter höchster Last verfügbar ist, sondern stellt auch die technischen Weichen für Entwicklungen in der Zukunft. Ich kümmere mich um die Koordination und die Kommunikation nach innen und nach außen. Da wir uns alle drei schon mehr als zehn Jahre kennen, ist die Zusammenarbeit extrem routiniert und wir haben sehr tiefes Vertrauen zueinander. Das ist ein riesiger Vorteil.
Gab es irgendeinen Punkt, an dem Sie gedacht haben, dass alles schief geht?
Heute noch nicht. Solche Punkte gibt es jedoch oft, man hat immer wieder Angst, wenn sich alles so schnell entwickelt. Aber um noch ein Zitat anzubringen, diesmal von Asterix: Mut heißt nicht, keine Angst zu haben, sondern sie zu besiegen. Wir mussten uns in unserer Geschichte immer wieder neu erfinden und rechtzeitig die Richtung wechseln. Das war Ende 2009 so, als wir das Business Model geändert haben, es war so 2010, als wir eine eigene Redaktion für die Lerninhalte aufgebaut haben und es ist auch jetzt so, wo wir uns nach und nach von unserem Web-Schwerpunkt verabschieden und zu einem Cross-Plattform-Ansatz wechseln. Es ist aber schön zu sehen, dass wir in diesem Prozess beständig an Sicherheit gewonnen haben und heute schon ziemlich solide dastehen.
Was muss man sich unter einem Cross-Plattform-Ansatz vorstellen?
Am Anfang war Babbel ein Web-Produkt. Dann haben wir Mobile-Apps für verschiedene Plattformen hinzugefügt. Beides war von Anfang an technisch integriert, denn wir haben schon bei der Konzeption mit unterschiedlichen Frontends gerechnet. Jetzt verschiebt sich aber der Schwerpunkt der Nutzung zu Tablets und Smartphones und die Ansprüche der Nutzer wachsen schnell. Man möchte einen möglichst nahtlosen Übergang zwischen den Plattformen und ein optimales Zusammenspiel: ich will in der Mittagspause am PC im Büro da weiter machen, wo ich morgens auf meinem iPad aufgehört habe. Und wenn ich zwischendurch mein Smartphone aus der Tasche hole, soll auch das sinnvoll in meinen aktuellen Kurs eingebunden werden. für ein sehr interaktives Lernprodukt, das stark auf die jeweiligen Geräte und Nutzungskontexte angepasst werden muss, ist das ein hoher Anspruch, den bisher noch kein Anbieter erfüllt. Für uns wird die Denkweise, das Lernen von der jeweils genutzten technischen Plattform abzulösen, immer selbstverständlicher. Aber auch das ist ein Veränderungsprozess.
Sie sagten kürzlich, dass Investoren-Pitches von vielen Gründern viel zu wichtig genommen werden. Für viele geht es dabei aber auch um alles. Wie soll man da gelassen bleiben?
Oft braucht man für den Aufbau einer Firma Kapital, das ist natürlich richtig. Und in einigen Fällen wird die Finanzierung zum kritischen Faktor. Meistens sind es aber andere Faktoren, die für den Erfolg kritisch sind: Produkt, Team, Geschäftsmodell, Zeitpunkt usw. Ich habe den Eindruck, dass diese Faktoren von vielen Gründerteams unterbewertet werden. Ihre Herausforderung ist es doch, ein passendes Produkt für die Zielgruppe zu schaffen und es erfolgreich zu vermarkten. Investoren spielen dabei oft eine Rolle, aber die wird gern überbewertet. Klein anzufangen und möglichst früh die entscheidenden Anpassungen zu machen, ist in der Regel viel wichtiger als ein großes Team und bezahltes Marketing. Wir sollten alle nicht vergessen, dass die Firma für die Kunden da ist und nicht für die Investoren. Dementsprechend wollen gute VCs auch gar nicht so wichtig genommen werden. Auch sie wollen doch, dass sich das Team auf den Markt ausrichtet. Es ist ganz erstaunlich, wie stark man die Kapitalbeschaffung vereinfachen kann, wenn man das im Auge behält. Finanziert wird nämlich zumeist nicht der beste Pitch, sondern das beste Team mit dem besten Produkt und der steilsten Lernkurve.
Was können Start-ups von Investoren lernen – und was Investoren von Start-ups?
Was Investoren von Start-ups lernen können, weiß ich nicht. Sehr oft haben sie selbst Gründer-Erfahrung oder haben zumindest jahrelang Start-ups begleitet. Dabei sollten sie schon gelernt haben, dass sich junge Firmen rasend schnell verändern, dass Pläne nur Striche im Sand sind und dass schlanke Managementprozesse überlebenswichtig sind. Gründer lernen von Investoren oft die andere Seite: dass Planung und geordnete Prozesse wichtig sind und dass man manchmal sehr gründlich sein muss. Vor allem aber haben gute Investoren schon viel gesehen und können Ruhe und Zuversicht vermitteln, wenn es mal eng wird. Sie können dem Management den Rücken stärken und ihnen manchmal auch den richtigen Anstoß geben. Das ist der gute Fall.
Und was können Start-ups von großen Unternehmen lernen bzw. umgekehrt?
Wir lernen ja ständig von den Großen. Nicht dass wir als Wachstumsunternehmen alles nachmachen, was Microsoft, Apple, Ikea, oder Siemens machen. Manchmal machen wir es auch genau umgekehrt. Aber insbesondere wenn man aus den rauen Anfangsjahren heraus ist und weiter nach vorn schauen muss, können moderne Planungs- und Management-Tools schon viel helfen. Immerhin ist ja schon das Konzept des “Lean Startup” aus den Prozessen eines Großkonzerns entwickelt – nämlich denen von Toyota. Für uns bleibt dabei wichtig, dass wir ein großes Kleinunternehmen werden wollen und nicht ein kleines Großunternehmen. Umgekehrt lernen auch die Konzerne ständig von kleinen Firmen: wie man alles auf eine Karte setzt, wie man halbfertige Produkte in den Markt bringt und möglichst schnell lernt, was man alles weglassen kann. Weglassen ist vielleicht das Wichtigste für alle Unternehmen.
Als Babbel 2007 gegründet wurde, war Berlin noch längst nicht die Start-up-Metropole, die es heute ist. Wie haben Sie diesen Wandel erlebt?
Wir freuen uns über diese Entwicklung, profitieren davon und bemühen uns, unseren Teil beizutragen. Die gute Stimmung und die Aufmerksamkeit auf das Start-up-Thema helfen uns in verschiedener Hinsicht. Nicht zuletzt um neue Mitarbeiter im Ausland anzuwerben, ist der Ruf Berlins sehr hilfreich. Und die nach und nach entstehende Tech-Szene selbst hat auch große Vorteile: wir können uns viel mehr austauschen und von anderen lernen. Ich hoffe sehr, dass sich die aktuellen Hoffnungen bestätigen und Berlin wirklich zu einem der weltweit führenden IT-Standorten wird. Bis dahin müssen wir aber noch einiges schaffen und gut zusammen halten.
Hausbesuch bei babbel
ds-Haus- und Hoffotograf Andreas Lukoschek durfte sich bei babbel im Frühjahr dieses Jahres einmal ganz genau umsehen. Er fand sehr, sehr viele Kissen. Einige Eindrücke gibt es in unserer Fotogalerie.
Zur Person
Markus Witte ist Mitgründer und Geschäftsführer der Lesson Nine GmbH, der Firma hinter dem Sprachlernsystem babbel (www.babbel.com), welches er zusammen mit Thomas Holl (CTO) und Lorenz Heine (ClnO) betreibt. Vor babbel war Witte in verschiedenen Unternehmen als Manager tätig, wie zuletzt bei Native Instruments. Witte studierte Kommunikations- und Kulturwissenschaft in Essen, Bremen und Berlin. Danach kam ein kurzes akademisches Zwischenspiel an der New York University, gefolgt von einer fast zweijährigen Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt-Universität. Im Oktober spricht Witte auf der David and Goliath-Konferenz, die am 30. Oktober erstmals stattfindet.
Über David and Goliath