Warum Gründer nicht FDP wählen sollten / Warum Gründer FDP wählen sollten

Unsere Umfrage zur Bundestagswahl brachte es eindeutig an den Tag: Gründer wählen FDP. Marcel Weiß, der auf neunetz.com seit 2007 die Internetwirtschaft analysiert, will und kann dies nicht so stehen lassen, sein Gast- und Meinungsbeitrag lautet deswegen: Warum Gründer nicht FDP wählen sollten. Weiter unten dann die passende Replik: Warum Gründer FDP wählen sollten. Ein Wahltipp der ds-Redaktion soll aber beides nicht sein.

Warum Gründer nicht FDP wählen sollten

deutsche-startups.de hat eine Umfrage unter Gründern mit einem erstaunlichen Ergebnis durchgeführt. Die Kurzzusammenfassung:

Über 600 Gründer, Startupper und Mitarbeiter aus jungen Digitalfirmen haben sich in den vergangenen Wochen an unserer Umfrage zur Bundestagswahl, die wir gemeinsam mit SurveyMonkey gestemmt haben, beteiligt. Das nicht-repräsentative Ergebnis ist eindeutig: Die FDP kommt auf 21,4 %, die Union aus CDU/CDU auf 20,9 %. Die SPD landet bei 13,7 %.

Das ist eine echte Überraschung für jeden auch nur ansatzweise netzpolitisch interessierten Menschen. Die schwarz-gelbe Koalition hat eine katastrophale Bilanz in Netzthemen vorgelegt. Das scheint aber die deutschen Gründer und Mitarbeiter junger Webunternehmen nicht davon abzuhalten, diese Parteien, die sie ignorieren oder ihnen Steine in den Weg legen, weiter zu wählen. Warum ist das so?

Die FDP und ihr Klientelpolitikmarkt

Im Falle der FDP erscheint die Erklärung recht einfach. Die FDP hat es anscheinend geschafft, als wirtschaftsfreundliche Partei bei mäßig an Politik interessierten Menschen und bei Menschen, die schlicht keine Zeit für Politik haben, wahrgenommen zu werden. Diese Wahrnehmung ist allerdings falsch. Die FDP verfolgt zwar eine schlichte Rhetorik vom Markt als ein Wesen, das für das gesellschaftliche Wohl möglichst allein gelassen werden sollte, aber das ist nicht mehr als Rhetorik.1 Die FDP ist das Gegenteil ihrer Außendarstellung vom Wächter der Marktwirtschaft. Sie ist stattdessen in der Realität ein Verfechter ungleicher Chancen für alle. Was meine ich damit? Die FDP ist berüchtigt dafür, Klientelpolitik zu betreiben.

Ein konkretes Beispiel der Klientelpolitik der FDP, das nicht nur besonders frech ist sondern auch konkret indirekt Webstartups schadet, ist ein Teil des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, der eine Umsatzsteuererleichterung für Hoteliers brachte. Ein Geschenk an die Hotelbranche. Dieses Geschenk brachte niedrigere Steuereinnahmen und, natürlich, vorhersehbar, keine Wirtschaftswachstumsbeschleunigung. (siehe auch Wikipedia für eine ausführliche Kritik)
Diese Steuererleichterung wiederum schadet außerdem Webstartups, die mit Hotels konkurrieren. Wir sprechen hier von Plattformen, die Privatpersonen das temporäre Untervermieten freier Räume ermöglichen, also von Wimdu, 9flats, Airbnb. Diese Startups müssen für ihre Dienstleistungen einen höheren Umsatzsteuersatz verlangen als die mit ihnen konkurrierenden Hotels.

So funktioniert Klientelpolitik. Manch ein Gründer mag vielleicht hoffen, dass eine erfolgreiche FDP dem eigenen Startup ähnliche Vergünstigungen besorgen kann, aber das ist von der Realität losgelöstes Wunschdenken. Junge, verhältnismäßig kleine Unternehmen, die noch dazu zu einer zwar wachsenden aber noch nicht großen Branche zählen, haben weder das wirtschaftliche Standing noch die, im Falle der FDP notwendigen, Gelder um sich diesen politischen Einfluß zu kaufen. Denn es wird immer größere, einflussreichere, mit Lobbyismus besser vertraute Unternehmen geben, die dem entgegen wirken werden. FDPsche Klientelpolitik ist etwas für etablierte Unternehmen mit gefüllten Kassen, die ihre Profite nicht mit besseren Produkten steigern wollen (oder können) sondern auf Rent Seeking setzen.

Die Union und ihre Tendenz zu Schutzrechten für Legacyindustrien

Das sieht bei der CDU/CSU nicht anders aus. Die großen deutschen Presseverlage, angeführt von Axel Springer, haben die letzten 5 Jahre die Regierung erfolgreich bearbeitet, um ein von ihnen gewünschtes neues Gesetz einzuführen. Das sogenannte Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse gibt den Presseverlagen, etablierten Unternehmen, ein Recht auf Kosten aller anderen Webunternehmen, die Pressebereiche berühren. (Siehe ausführlich hier für die bereits Ende 2012 vorhersehbar gewesenen Kollateralschäden) Hier wurde bewusst nicht nur Google sondern auch künftigen und bestehenden Startups wie etwa Linguee und anderen das Leben schwer gemacht, um Presseverlage zu befriedigen. Das ist keine startupfreundliche oder gar internetfreundliche Politik. Das ist eine Politik, bei der die Basis der Webstartups hierzulande weniger als Verhandlungsmasse ist; denn zum Leistungsschutzrecht gab es nicht einmal eine ernsthafte Verhandlung.

So funktioniert Klientelpolitik bei CDU/CSU und FDP. Für Altlastindustrien und gegen die Internetwirtschaft.

Was daran besonders schlimm und beunruhigend für deutsche Webgründer sein sollte: Der Druck auf viele etablierte Wirtschaftsbranchen wird durch die Umbrüche in den nächsten Jahren sehr viel stärker zunehmen. Dieser Druck wird sie motivieren, über die Gesetzgebung die Rahmenbedingungen zu ihrem Gunsten zu verändern. Die Geschichte des Presseleistungsschutzrechts sollte ein warnendes Beispiel sein. Die schwarz-gelbe Koalition hat hiermit ein für das Internet als Basis einer vernetzten Öffentlichkeit schädliches Recht verabschiedet. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne die Bedenken nahezu aller juristischer und ökonomischer Experten zu berücksichtigen. Wenn die Vergangenheit ein Indiz ist, dann ist eine Weiterführung der heutigen Koalition ein Super-GAU für die aufstrebenden Internetbranchen. Die Frage ist bei einer solchen Ausgangslage nicht, ob Gesetzesvorhaben kommen werden, die Startups zugunsten etablierterer Unternehmen behindern, sondern wie viele.

Netzneutralität: Internetprovider statt Startups

Das Themenfeld der Netzneutralität ist ein weiteres Beispiel dafür, wie schädlich Union und FDP für die Internetwirtschaft sind. Es zeigt auch, wie simpel und deshalb oft irreführend das öffentlich vertretene Laienverständnis von Wirtschaft bei der FDP ist. Warum die Regulierung der Netzneutralität wichtig ist, habe ich hier ausführlich beschrieben: “Die Regulierung der Netzneutralität ist so wichtig wie die der Finanzmärkte
Die Kurzform: Profitmaximierung über Preisdifferenzierung auf der Zugangsebene benachteiligt die Newcomer (also Webstartups) systematisch, weil es um weitreichendere Abschöpfung der Renditen geht weg vom Web und hin zum Zugangsanbieter. Startups stehen ohne Netzneutralität strukturell schlechter da, weil sie sich gegenüber Internetprovidern in einer schwächeren Verhandlungsposition befinden.

Jimmy Schulz, einer der wenigen ernstzunehmenden Netzpolitiker der FDP, bezeichnete das Prinzip der Netzneutralität 2011 noch als ein ‘Sozialismus-Internet’. Das zeigt recht schön, wie simplifizistisch jede Form von Regulierung in ein Schwarz-Weiß-Muster gepresst und jeder Kontext ausgeblendet wird.

Und heute? netzpolitik.org hat sich die Aussagen der Parteien zum Thema Netzneutralität angeschaut. Während die Telekom ihre Drosselkom-Pläne vorantreibt und auf EU-Ebene ein Zweiklassennetz abgesegnet zu werden scheint, sehen CDU/CSU und FDP keinen Handlungsbedarf. Markus Beckedahl:

Zusammengefasst kann man sagen, dass Grüne, Piraten und Linke sich am deutlichsten für eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität einsetzen und das auch begründen können, die SPD wahrscheinlich auch, die CDU vielleicht irgendwie und die FDP hat das Problem aus ihrer Sicht schon gelöst. Man kann auch sagen: Im Gegensatz zur CDU ist die FDP wenigstens ehrlich.

Auch hier hat die schwarz-gelbe Koalition die Internetwirtschaft im Stich gelassen.

FDP und CDU/CSU sind nicht nur internetfeindlich sondern auch im Zweifel immer auf der Seite der etablierten Industrien. Sie sind damit indirekt immer Aufsteller von Hürden für Startups. Die Rhetorik der Parteien von einer Gründungsfreundlichkeit, von der Bereitschaft, junge Unternehmen zu unterstützen, sollte besonders für Webstartups deutlich als eben solche inhaltsleere Worthülsen erkannt werden.
Es mag sein, dass FDP-Politiker eher offene Ohren für die Belange von Jungunternehmen haben. Aber diese offenen Ohren führen nicht zu Taten. Jede politisch erreichte marginale Bürokratieerleichterung wird belanglos, wenn von Union und FDP das nächste Schutzgesetz einer bedrohten Branche verabschiedet wird, das effektiv Startups in diesem Bereich Handschellen anlegt – oder diese mindestens von Steuervergünstigungen und ähnlichem ausschließt und somit strukturell benachteiligt.

Und so weiter

Man könnte dieses Spiel noch ewig weiter führen. Unter Schwarz-Gelb ist Deutschland etwa auf die hintersten Ränke beim Ausbau der Internet-Infrastruktur gefallen. Schwarz-Gelb interessiert sich schlicht nicht für das Internet und dessen Wirtschaft. Das zeigt dieses Zitat aus Sascha Lobos SPON-Artikel noch einmal recht deutlich:

Die Auflistung der 22 europäischen Volkswirtschaften mit den meisten Glasfaseranschlüssen beinhaltet Deutschland gar nicht erst. Weil die Darstellungsgrenze bei einem Prozent liegt. Das klitzekleine Russland kommt auf 14 Prozent Haushalte mit Glasfaser, das superreiche Bulgarien auf 17 Prozent, und in Litauen verfügen mehr als doppelt so viele Haushalte über Glasfaser wie in Deutschland. Und zwar in absoluten Zahlen.

Die schwarz-gelbe Koalition hat in vier Jahren nicht ein einziges Vorhaben zur Besserung des Internets in Deutschland oder gar direkt für  Webstartups angeschoben. Stattdessen hat sie die Rahmenbedingungen hierzulande extrem verschlechtert. Trotzdem soll sie mehrheitlich von den Mitarbeitern der Digitalbranchen gewählt werden. Bemerkenswert.

Wen stattdessen wählen?

Es mag unintuitiv erscheinen, aber deutsche Webgründer sollten Grüne oder Piraten wählen. Beide sind kleine Parteien, die entweder im Bundestag sind oder gute Chancen haben in den Bundestag zu kommen. Beide Parteien sind im Deutschen Parteienspektrum verhältnismäßig internetfreundlich. Das ist wie immer eine Frage der Perspektive, und vor allem die Grünen haben einen logischerweise konservativen, relativ starken Kulturflügel. Aber beide Parteien sind internetfreundlicher als die anderen Parteien. Aufgrund ihrer Größe können beide als leichter beeinflussbare Korrektive in potentiellen Koalitionen wirken. Und beide Parteien sind unverdächtig, Klientelpolitik zu betreiben. Wie bereits ausgeführt ist das wichtig für Startups, weil jede Partei, die dafür anfällig ist, tendenziell immer die jüngeren, ressourcenärmeren, Unternehmen zu gunsten der Etablierteren mit ihren tiefen Kriegskassen schlechter stellen wird.
Besonders wichtig für Webunternehmen: Sowohl die Grünen als auch die Piraten haben sich ohne Wenn und Aber für die Festschreibung der Netzneutralität ausgesprochen.
Selbst die SPD ist trotz (oder gerade wegen) ihres Wendehalscharakters eine bessere Alternative als FDP oder Union, weil sie nicht vollkommen frei von äußeren Einflüssen destruktive Klientelpolitik betreibt.

FDP und Union sind die denkbar schlechtesten Parteien, die man als Webgründer wählen kann. Sie arbeiten seit Jahren direkt oder indirekt gegen die Interessen der hiesigen Internetwirtschaft – wenn die Parteien die Branche gerade nicht ignorieren.

Fazit

Es ist erschreckend wie schlecht politisch informiert deutsche Gründer und ihre Mitarbeiter zu sein scheinen. Die Folge scheint ein Wahlverhalten zu sein, das komplett gegen ihre Eigeninteressen läuft.


  1. Und für nicht wenige FDP-Mitglieder und Anhänger ist das auch eine Laienvorstellung davon, wie Wirtschaft funktioniert. Der gemeine FDP-Anhänger hat, zumindest nach außen hin, eine simplifizierte neoklassische (man möchte sogar oft sagen klassische) Sichtweise auf die Ökonomie. Deren Schlussfolgerungen sind sehr einfach herunterbrechbar auf “der Markt” und “unsichtbare Hand” und “weg mit Regulierung”. Was die Steigerung des Gemeinwohls angeht, ist dieser simplizistische Ansatz nicht erst seit der Finanzkrise aber spätestens nach ihr für jeden sichtbar widerlegt. Wer an einem Stand der aktuellen Debatte und dem epidemologischen Ausmaß des Rent Seekings in unseren Wirtschaftsräumen interessiert ist, sollte Joseph Stiglitz’ “The Price of Inequality” lesen. Praktisch immer wird Rent Seeking als Marktliberalismus verkleidet. Wer mit der unsichtbaren Hand wedelt, sollte erst einmal Adam Smith lesen. Smith hat bereits in “The Wealth of Nations” darauf hingewiesen, dass gesellschaftliches Gemeinwohl und das Eigeninteresse von Unternehmern nicht zwingend Hand in unsichtbarer Hand gehen müssen. ?

Warum Gründer FDP wählen sollten

Die Kampagne “Deutschland unter­neh­men. Es ist Grün­derzeit!“, die unter anderem von Franziska Gräfin Hardenberg, Florian Langenscheidt und Christian Vollmann initiiert wurde, unterstützt die aktuelle Regierung aus Union und Liberalen. Zitat: “Angela Merkel und Philipp Rösler haben nicht nur gezeigt, dass ihnen die immense Bedeutung der Digitalen Wirtschaft für den Standort Deutsch­land bewusst ist. Philipp Rösler hat bei vielen Veran­stal­tungen, Gesprächen und auf Delegations­reisen nach Israel und in das Silicon Valley seine Startup-Kompetenz unter Beweis gestellt”.

Die Initiatoren stellen dabei heraus, dass eine rot-grüne Bundesratsinitiative zur Besteuerung von Dividenden und Veräußer­ungsgewinnen aus Streu­besitz­beteili­gungen im Winter 2012 die Finanzierung durch Business Angel ge­fährdet hätte. Die Kampagne fordert deswegen: “Daher brauchen wir auch nach dem 22. September eine wirtschafts- und investitionsfreundliche Bundes­re­gie­rung, die die Herausfor­derung­en der digitalen Veränderungen verstanden hat, so wie es die aktuelle Regierung aus Union und Liberalen mit Angela Merkel und Philipp Rösler bereits vielversprechend gezeigt hat”.

Anmerkung der ds-Redaktion: Danke für diesen Gast- und Meinungsbeitrag! Nur noch einmal zur Klarstellung: Dieser Meinungsbeitrag spiegelt nicht die Meinung der ds-Redaktion wider – es ist die persönliche Meinung des Autors (Marcel Weiß) bzw. die Meinung der Initiative “Deutschland unter­neh­men”. Wir bleiben weiter neutral! Wir freuen uns aber auf eine lebhafte Diskussion – und darum geht es doch beim Thema Politik!

Politik und Start-ups

* “Wir brauchen keinen Neuen Markt” – Offener Brief an Wirtschaftsminister Rösler
* Blase 2.0? Rösler will Neuen Markt wiederbeleben
* Hunderte private Kapitalgeber beantragen Staatskohle – Nach 14 Tagen schon 35 Zusagen
* “Wir wollen etwas mitnehmen vom Spirit” – Bundesminister Philipp Rösler über die Start-up-Reise ins Silicon Valley
* Silicon Valley Tour: Unterwegs mit Philipp Rösler – Artikel, Tweets, Fotos und mehr
* Bundesregierung schenkt privaten Investoren 20 % ihrer Investitionssumme

Fotogalerie: Silicon Valley Tour

Im Frühjahr war Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler mit mehr als 100 Gründern und Unternehmern in den USA unterwegs. Einige Eindrücke der Silicon Valley Tour mit Philipp Rösler und Co. gibt es in unserer Fotogalerie. Vielen Dank an VentureTV, Alexander Piutti und German Valley Week für die vielen Fotos aus dem sonnigen Kalifornien.

Foto: Vote concept. Ballot box on green chalkboard from Shutterstock