“Es ist gesund, Fehler zu machen” – 15 Fragen an Markus Witte von Babbel
Jeden Freitag beantwortet ein Gründer oder eine Gründerin unseren standardisierten Fragebogen, den es inzwischen auch in gedruckter Form und als eBook gibt – siehe “Hinter den Kulissen deutscher Start-ups“. Der kurze Fragenkatalog lebt von der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Fragen, die alle Gründerinnen und Gründer beantworten müssen – diesmal antwortet Markus Witte von Babbel.
Was bedeutet es Ihnen, Ihr eigener Chef zu sein?
Tatsächlich bin ich nicht mein eigener Chef sondern berichte an die Gesellschafter der Firma, zu denen ich glücklicherweise auch gehöre. Ich bin aber Chef von mehr als 80 Mitarbeitern und das bedeutet eine große Portion Verantwortung und eine beständig steile Lernkurve. Positive Führung ist eine riesige Aufgabe, die nicht studiert werden kann sondern in welcher man nur mit Zeit reinwächst.
Bei welcher Gelegenheit kam Ihnen die Idee zu Ihrem Start-up?
Wir haben Babbel mit vier Leuten gegründet. Einer von uns, Lorenz Heine (heute Chief Innovation Officer), wollte tatsächlich selbst eine Sprache lernen und hatte sich dazu selbstverständlich nach Lernprodukten im Internet umgesehen. Was er dort fand hat ihn zuerst erschreckt. Gleichzeitig ging ihm aber auf, dass es hier einen riesigen Bedarf und einen großen Markt gibt. Unser gemeinsamer Hintergrund liegt ja in der Audio-Software, deshalb war die Entscheidung, sich in den Sprachlern-Markt zu stürzen, keine ganz einfache.
Woher stammte das Kapital für Ihr Unternehmen?
Die ersten 18 Monate haben wir selbst finanziert. Am Anfang braucht man ja noch nicht so viele Mittel. Im Sommer 2008 haben wir dann mit Kizoo und der IBB Beteiligungsgesellschaft eine Series-A-Finanzierung abgeschlossen. Ein Jahr später haben wir am ProFIT-Programm der IBB teilgenommen und ein Projekt mit einem Volumen von 1,2 Mio. Euro begonnen, das zu 80% durch Kredite der IBB finanziert wurde. Diese Kredite werden wir Ende kommenden Jahres zurückzahlen. Mit diesen beiden Maßnahmen haben wir es bis zur Profitabilität geschafft. Um aber schneller zu wachsen und stabiler aufgestellt zu sein, haben wir im März noch eine Series-B über 10 Mio. US-Dollar mit Reed Elsevier Ventures, Nokia Growth Partners und den bestehenden Investoren gemacht.
Was waren bei der Gründung Ihres Start-ups die größten Stolpersteine?
Die Gründung selbst war unproblematisch, aber wir wussten damals noch viel zu wenig über den Markt. Wir haben zunächst ein Produkt konzipiert, das sich wesentlich auf eine Community stützte und sogar User-Generated Content einbezog. Zu allem Überfluss hatten wir noch die Idee, das Ganze als „Freemium“-Produkt zu vermarkten und die kostenlose Version über Werbung zu finanzieren. Es hat zwei Jahre Erfahrung gebraucht, bis wir diese Fehler erkannt und die Richtung gändert haben. Ende 2009 habe ich dazu auch einen ausführlichen Blog-Post geschrieben: http://blog.babbel.com/limits-of-the-free-internet/
Was würden Sie rückblickend in der Gründungsphase anders machen?
Erstaunlich wenig. Ich finde die Lernkurve sehr wichtig und glaube, dass es gesund ist, Fehler zu machen und sich eventuell umzuentscheiden. Würde man am Anfang zu viel richtig machen, hätte man den Umgang mit Problemen nicht früh genug gelernt. Ich sage das natürlich aus der relative bequemen Situation eines großen Erfolges heraus. Hätten wir weniger Glück gehabt, würde ich nicht so positiv auf die Um- und Abwege der Anfangsjahre zurückschauen.
Jedes Start-up muss bekannt werden. Welche Marketingspielart ist für Sie besonders wichtig?
Wir bespielen inzwischen die meisten großen Marketing-Kanäle außer Print- und Plakatwerbung. TV nimmt inzwischen einen großen Stellenwert ein. Interessant ist derzeit, die Kanäle international auszurollen und die Unterschiede zwischen den regionalen Märkten zu erkunden.
Welche Person hat Sie bei der Gründung besonders unterstützt?
Die wichtigste Unterstützung in der sehr frühen Phase haben wir von der IBB erhalten. Wir haben an verschiedenen Programmen teilgenommen und auch in kleinem Rahmen Förderungen erhalten.
Welchen Tipp geben Sie anderen Gründern mit auf den Weg?
Ich finde es wichtig, immer im Kopf zu behalten, wie wenig man eigentlich weiß und wie viel man noch ausprobieren muss. Je genauer man zu wissen glaubt, was richtig ist und was falsch, desto weniger flexibel ist man. Startups in frühen Entwicklungsstadien sind sehr unsichere Gebilde, die schnell lernen müssen und immer bereit sein sollten, die Richtung zu ändern und Fehler einzugestehen. Außerdem hilft es, möglichst wenig Geld auszugeben und sich mehr auf Produkt und Markt als auf das Einwerben von Kapital zu konzentrieren. Investoren-Pitches werden bei vielen jungen Gründern viel zu wichtig genommen. Tatsächlich sollte man so spät wie möglich Kapital einwerben und die Finanzierung niemals als Selbstzweck begreifen.
Sie treffen den Bundeswirtschaftsminister – was würden Sie sich für den Gründungsstandort Deutschland von ihm wünschen?
Bessere Fremdsprachkenntnisse bei den Behörden (bis nach ganz oben!) wären wünschenswert. Es gibt ja heutzutage großartige Methoden, auch online und mobil Fremdsprachen zu lernen ;)
Ansonsten wünsche ich mir, was die meisten anderen auch wollen: einfachere Steuer- und Arbeitsgesetze und bessere Zuwanderungsregelungen. Mir ist aber auch klar, dass der Minister bei diesen Themen fast so hilflos ist wie unsereins.
Was würden Sie beruflich machen, wenn Sie kein Start-up gegründet hätten?
Vermutlich würde ich mich um Management-Aufgaben in einer anderen Firma mit Online-Schwerpunkt kümmern. Vor Babbel habe ich den Online-Bereich bei Native Instruments geleitet und habe viel Spaß dabei gehabt. Da ich technisch recht versiert bin, mich mit Online-Marketing auskenne und viel Erfahrung in der Teamführung habe, würde ich sicherlich auch woanders einen spannenden Job finden. Aber so gern wie bei Babbel würde ich wohl nirgendwo anders arbeiten.
Bei welchem deutschen Start-up würden Sie gerne mal Mäuschen spielen?
Ich interessiere mich vor allem für die Gegensätze. Deshalb finde ich Firmen mit einer völlig anderen Kultur, wie Wimdu oder Zalando sehr spannend. Ob ich dort arbeiten wollen würde, kann ich allerdings nicht sagen.
Sie dürften eine Zeitreise unternehmen: In welche Epoche reisen Sie?
Als erstes würde ich das republikanische Rom so um 50 vor unserer Zeitrechnung besuchen. Dann das Florenz der Hochrenaissance und schließlich weit zurück in die frühen Großstädte Mesopotamiens. Danach wäre ich sicherlich heilfroh ins heutige Berlin zurückzukommen.
Sie haben eine Million Euro zur persönlichen Verfügung: Was machen Sie mit dem ganzen Geld?
Nicht viel, fürchte ich, denn leider fehlt mir die Zeit, es sinnvoll einzusetzen. Ich würde gern Leute unterstützen, zum Beispiel einer lokalen Initiative zur Unterstützung von kongolesischen Flüchtlingen in Uganda. Aber auch das ist leichter gesagt als getan.
Wie verbringen Sie einen schönen Sonntag?
Draußen. Beim Paddeln, Wandern oder Radfahren oder mit Freunden auf der Terrasse.
Mit wem würden Sie sich gerne einmal auf einen Kaffee oder ein Bier verabreden?
Mit Thomas Pynchon. Er ist einer meiner großen literarischen Helden und ich habe immer noch diesen jugendlichen Drang die Person hinter den großartigen Romanen kennen zu lernen. Sollte Pynchon nicht auffindbar sein, wäre ich auch auf einen der großen Bösewichte (Ahmadinedschad, Putin, Bush) gespannt.
Im Fokus: Weitere Fragebögen in unserem großen Themenschwerpunkt 15 Fragen an
Zur Person:
Markus Witte ist Mitgründer und Geschäftsführer der Lesson Nine GmbH, der Firma hinter dem Sprachlernsystem babbel.com (www.babbel.com), welches er zusammen mit Thomas Holl (CTO) und Lorenz Heine (ClnO) betreibt. Vor babbel.com war Witte in verschiedenen Unternehmen als Manager tätig, wie zuletzt bei Native Instruments. Witte studierte Kommunikations- und Kulturwissenschaft in Essen, Bremen und Berlin. Danach kam ein kurzes akademisches Zwischenspiel an der New York University, gefolgt von einer fast zweijährigen Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt-Universität.