Offline! „Investoren in der Frühphase? Nie wieder!“
Timo Kaiser* war gerade im Auto unterwegs, als ihn der Anruf seiner Investoren ereilte, dass es mit seinem Start-up vorbei ist. Er druckte das Insolvenz-Formular aus, ging zum Amtsgericht – und ist heute froh darüber, dass seine Investoren damals eine Directors-and-Officers-Versicherung für ihn abgeschlossen haben, denn jetzt steckt er mittendrin im Verfahren wegen Insolvenzverschleppung. Bei seinem neuen Projekt will er manches anders machen.
Viele Gründer sprechen nicht über das Scheitern ihres Start-ups. Timo Kaiser* hingegen spricht darüber, und es ist ihm sichtlich peinlich, dass er im Anschluss an das Gespräch doch auf Anonymität bestehen muss – vor allem sein Mitgründer hat ihm dazu geraten. Die Gründe sind zum einen das laufende Verfahren wegen Insolvenzverschleppung, zum anderen ein offener Kredit bei seinem früheren Investor. Weil auch in einer anonymen Geschichte wertvolle Erkenntnisse stecken, soll sie trotzdem erzählt werden.
Gebunden an Vorgaben, die nicht die eigenen sind
Timo Kaiser ist ein fröhlicher Mensch. Auch dann, wenn er sich mitten im Insolvenzverfahren befindet. „Ich kann leider nicht über alles sprechen“, leitet er das Gespräch ein. Dann fängt er trotzdem an zu erzählen: davon, wie vielversprechend es mit seinem Start-up anfing. Seinen Mitgründer und Investor lernte Kaiser über Xing kennen, als er auf dessen Geschäftsführer-Ausschreibung für ein Start-up antwortete. Mit der Stelle wurde es nichts, aber die beiden hielten Kontakt und tauschten in Folge öfters ihre Ideen aus – bis eines Tages die zu dem Online-Start-up stand, eine Plattform im stark beackerten Fotomarkt.
Sein Investor setzte Kaiser noch einen Mitgründer zur Seite, die beiden verstehen sich bis heute prächtig. Schön war für ihn auch, dass von Anfang an Geld da war, so waren die Gehälter gesichert und die beiden Gründer musste sich über vieles keine Gedanken machen.
Trotz des guten Starts sagt Kaiser heute, dass es besser sei, in der Frühphase keine Investoren an Bord zu holen. Es hängt mit seinen eigenen Erfahrungen zusammen: Mit der Zeit gingen seine Vorstellungen und die der Investoren immer weiter auseinander, es gab Unstimmigkeiten in Bezug auf die strategische Ausrichtung, die Vermarktung, das gesamte Konzept. Kaiser fühlte sich zunehmend gebunden an Entscheidungen und Vorgaben, die nicht seine eigenen waren. „Laut Investor sollte die gesamte Vermarktung über PR laufen und kein Geld in andere Marketingmaßnahmen gesteckt werden“ – nur eine von vielen Vorgaben, die Kaiser bis heute nicht nachvollziehen kann. Als er einen „unfähigen CTO“ feuern wollte, intervenierten seine Geldgeber, bis sie die Notwendigkeit einige Monate später dann doch einsahen; aber da sei schon viel Zeit und Geld verbrannt worden.
Trotzdem machte Kaiser weiter, er glaubte an das Produkt und wenn das Geld knapp wurde, legten die Investoren – in der Zwischenzeit war noch ein zweiter dazugekommen – Finanzierungsbeträge nach. Irgendwann investierte er dann auch selbst einen Betrag in das Unternehmen: Die Hälfte bezahlte er direkt, für die andere Hälfte nahm er einen Kredit bei seinem Investor auf. Heute schüttelt er darüber den Kopf und auch für Außenstehende klingt diese Praxis nicht unbedingt vertrauenswürdig. Die Tatsache, dass Kaiser nun bei seinem ehemaligen Geldgeber noch einen Kredit offen hat, ist ein weiterer Grund dafür, warum er nicht offen über die Sache sprechen kann.
40.000 Euro Strafe wegen Insolvenz-Verschleppung
Kurz nachdem er selbst investiert hatte, offenbarten ihm seine Investoren, dass sie kein weiteres Geld mehr in das Unternehmen stecken würden. Eine Sache, die Kaiser noch immer wütend macht: „Hätte ich gewusst, dass es von den Investoren überhaupt keinen Fahrplan und keine weiteren Finanzierungen gibt, hätte ich mir meine eigene Finanzierung sparen können.“ Da das Start-up zu diesem Zeitpunkt noch keine nennenswerten Einnahmen hatte, war das Ende damit besiegelt. Nach dem Anruf seiner Geldgeber während einer Autofahrt ging Kaiser zum Amtsgericht und reichte die Insolvenz ein, da noch Verbindlichkeiten offen waren. Womit der Ärger erst richtig anfing: In einem Gutachten stellte der Insolvenzverwalter fest, dass er schon fünf Monate früher hätten Insolvenz anmelden müssen. „Das war hart: Schließlich hatten wir monatelang gekämpft und versucht, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Aber das interessiert später keinen mehr.“ 40.000 Euro will das Amtsgericht nun von ihm.
Heute rät Kaiser jedem Gründer, sich auch mit diesem Teil des Gründerseins zu beschäftigen. Obwohl das Thema Insolvenz nicht zu den Ambitionen eines Gründers passe und wie eine Bremse wirke. „Wir wollten gerade im ersten Gründungsjahr schnell sein, Gas geben und nicht einen auf typischen BWL-er machen“, lacht er. Doch gerade wenn es offene Verbindlichkeiten gebe, dürfe der Gang zum Amtsgericht nicht zu spät erfolgen. Dankbar ist er heute – trotz des ganzen Ärgers – für die Weitsicht seiner Investoren, die bei der Gründung ohne sein Wissen eine Directors-and-Officers-Versicherung für ihn abgeschlossen haben. Sie ist der Grund, warum er auch jetzt noch schlafen kann. In seinem Freundeskreis hat sein Fall für eine Art Erwachen gesorgt, erzählt er, denn viele seiner Gründer-Freunde hätten an seinem Beispiel gesehen, wie wichtig diese Versicherung sei, die die meisten von ihnen nicht haben. Trotzdem ist der Ärger noch immer groß genug. Neben eigenen Kosten für die rechtliche Beratung ist der Buchhaltungs-Aufwand für das Insolvenz-Verfahren enorm. Das Suchen und Puzzeln von Rechnungen, Geschäftskontakten, Aufträgen und Absagen kostet Zeit und Nerven.
„Kurz trauern ist okay, aber dann das Beste draus machen“
Trotz der schwierigen Zeit, die hinter ihm und noch vor ihm liegt, ist Kaiser heute alles andere als deprimiert: Er lacht viel während des Gesprächs, sein fröhliches Naturell schlägt auch jetzt durch. „Ich habe mir den Hintern aufgerissen, mir nichts zuschulde kommen lassen und bin mit mir im Reinen“, sagt er. Und dann: „Ich bin nicht der Typ, der heult. Kurz trauern ist okay, aber dann will ich das Beste draus machen.“ Auch seine Freundin und überhaupt sein Umfeld seien gut mit dem Scheitern umgegangen, nur für seine Eltern war es ein Schock, vor allem wegen des Insolvenzverfahrens. Er sieht es gelassen. „Sie haben sich mittlerweile daran gewöhnt, dass ihr Sohn nicht den normalen Weg geht.“
Heute sitzt der Gründer an einem neuen Projekt. Weil klar ist, dass erst mal keine Investoren mit ins Boot sollen, verdient er nebenbei Geld, das er dann später investieren will. Gebunden an Vorgaben von Investoren will er nie wieder sein – trotz mancher Bequemlichkeiten. Dieses mal will er langsamer und bedachter vorgehen, nicht unbedingt so schnell wachsen, dafür sein eigener Chef sein.
Neben der Frage, ob und wann sich Start-ups um ein Investment kümmern sollten, bewegt Kaiser noch eine ganz praktische Sache: „Als Gründer sollte man sich unbedingt genügend Zeit für eine umfassende Cashflow-Planung nehmen – auch wenn im Online-Business immer alles ganz schnell gehen muss und man eigentlich gar keine Zeit dafür hat“, lautet seine Lektion. Zumindest für ein Jahr im Voraus sollte die Finanzplanung erfolgen und verknüpft sein mit den aktuellen Konto- und Buchhaltungsdaten, eine Excel-Tabelle reiche hierbei nicht aus. Dies habe er leider vernachlässigt, weil er sich immer so getrieben von den wöchentlichen Investoren-Meetings gefühlt habe – „aber ich hätte mir dann eben nachts oder am Wochenende dafür Zeit nehmen müssen“, sagt er selbstkritisch. Eine Woche lang müsse man sich akribisch damit auseinandersetzen, sämtliche Daten synchronisieren – dann habe man das Schlimmste geschafft.
Es sind Themen, mit denen sich Gründer in der Euphorie ihres Start-ups nicht gerne auseinandersetzen. Kaiser versteht jeden, der davor zurückscheut. Und hofft, dass sein Beispiel trotzdem den einen oder anderen davor bewahren wird, in dieselbe Falle zu tappen wie er selbst.
Fotos: AR Images / Shutterstock (Mund); arka38 / Shutterstock (gefesselte Hände)
Im Fokus: Infos über Start-ups, die es nicht mehr gibt, finden Sie in unserem Special Offline
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