“Eine Insolvenz darf nicht das Ende aller unternehmerischen Pläne sein” – Cafer Tosun vom SAP Innovation Center
Immer mehr etablierte Unternehmen suchen die Nähe zu Start-ups – vor allem, um diesen unter die Arme zu greifen. So auch der Softwareriese SAP. In der kommenden Woche findet zum zweiten Mal das SAP Startup Forum statt. Im Vorfeld der Veranstaltung sprach deutsche-startups.de mit Cafer Tosun, Senior Vice President und Leiter des SAP Innovation Center in Potsdam, über Kreativität, Serviceversprechen und Limousinen.
Start-ups und SAP: Wie genau passt das überhaupt zusammen?
Besser, als man auf den ersten Blick denken mag. Anfang 2010 hat SAP seine Unternehmensstrategie neu ausgerichtet. Viele der Maßnahmen, die infolgedessen eingeleitet wurden, dienen dazu, bei uns genau die Qualitäten zu verbessern, die erfolgreiche Start-ups auszeichnen: Kreativität, Agilität und eine kompromisslose Nutzerorientierung. Die Einführung von sogenannten Lean und Agile Development-Methoden, das Ausrollen einer unternehmensweiten Design-Thinking-Initiative oder auch die Gründung des Innovation Center sind Beispiele dafür. All das hat Wirkung gezeigt.
Inwieweit funktioniert SAP nun wie ein klassisches Start-up?
Wir haben unsere time-to-market, also die Zeit bis zur Markteinführung eines neuen Produktes, von vormals 14 auf mittlerweile unter 8 Monate gesenkt. Die Zahl an gemeinsamen Innovationsprojekten mit Kunden ist hingegen drastisch angestiegen. Und damit die Kundenzufriedenheit. All dem zugrunde liegt auch das Bewusstsein, dass wir unsere Ziele nur als Teil eines Ökosystems der Besten erreichen können. Zu diesem gehören zentral auch Startups. Um dem einen institutionellen Rahmen mit starken Anreizen für Startups zu geben, hat SAP Anfang 2012 das SAP Startup Fokusprogramm ins Leben gerufen, in dem mittlerweile weltweit über 450 Startups auf Basis unserer SAP HANA-Plattform mit uns zusammenarbeiten.
Für alle, die mit SAP HANA nichts anfangen können: Was verbirgt sich dahinter?
Hinter SAP HANA steckt eine aus unserer und aus Sicht vieler unserer Kunden bahnbrechende Technologie, mit der es erstmals möglich wird, ungeheure Datenmengen aus unterschiedlichen strukturierten und unstrukturierten Quellen in Echtzeit oder nahe Echtzeit zu verarbeiten und zu analysieren.
Und was bietet SAP in diesem Zusammenhang jungen Unternehmen?
In einem Wort: Zugang. Zugang zu SAP HANA. Zugang zum Ecosystem eines Weltmarkführers für Unternehmenssoftware mit knapp 200.000 Kunden weltweit und tiefem Know-how in 25 Branchen; und schließlich Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten.
Die angesprochene Verarbeitung und Analysierung von ungeheuren Datenmengen ist ein gutes Thema: Big Data ist derzeit schließlich in aller Munde: Meist hat man jedoch den Eindruck, viele Menschen wissen noch gar nichts mit dem Schlagwort anzufangen: Wie lässt sich Big Data am besten beschreiben?
Ich versuche es mal mit einer qualitativen statt einer quantitativen Beschreibung aus Unternehmenssicht: Viele Unternehmen sind völlig unabhängig von ihrer Größe und Branche mit der Herausforderung konfrontiert, rasant steigende Datenvolumina aus unterschiedlichen Quellen, sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Daten, für ihre Kunden und Nutzer verarbeiten und analysieren zu müssen. Denken Sie allein an die Informationen, die mittlerweile über soziale Plattformen verbreitet werden. Oder Sensordaten. Diese Informationen möchte sich jedes Unternehmen zunutze machen – und das möglichst in Echtzeit. Das gelingt beileibe nicht allen. Und wenn die Unternehmen aufgrund der Datenflut sogar an einen Punkt gelangen, wo sie den eigenen Serviceversprechen gegenüber ihren Nutzern nicht oder nur noch unzureichend nachkommen können, haben sie ein Big Data-Problem. Ob wir hier über Gigabyte, Terrabyte oder teilweise schon Petabyte von Daten sprechen, hängt von jedem Unternehmen und seinem Geschäftsmodell ab.
SAP ist weltweit aktiv, was zeichnet deutsche Ideen, deutsche Geschäftsmodelle aus und was fehlt noch in Deutschland in Bezug auf Start-ups?
Das zu pauschalisieren fällt mir sehr schwer. In meinen acht Jahren bei SAP in Palo Alto konnte man die kreative Atmosphäre im Silicon Valley quasi mit Händen greifen. Eine ähnliche Aufbruchsstimmung nehme ich mittlerweile in der Berliner und der deutschen Startup-Szene insgesamt wahr. Es mangelt also sicher nicht an Ideen mit dem Potenzial, aus denen die nächsten Googles, Facebooks oder LinkedIns entstehen könnten. Allerdings muss sich an den Rahmenbedingungen für Gründer hierzulande noch einiges bessern. Vom Silicon Valley heißt es, dass sobald ein Student in Stanford eine gute Geschäftsidee hat, sofort eine Limousine mit einem finanzkräftigen Investor vor der Uni auf ihn wartet. Darin steckt ein wahrer Kern. Und dieses Engagement bleibt nicht auf die Früh-Finanzierung beschränkt, sondern ist langfristiger Natur. Das braucht es, um global erfolgreiche Unternehmen aufzubauen. Unter anderem daran mangelt es hier noch. Zudem brauchen wir einen produktiven gesellschaftlichen Umgang mit Fehlschlägen. Eine Insolvenz darf für den Entrepreneur nicht gleichbedeutend sein mit dem Ende aller unternehmerischen Pläne. Ganz im Gegenteil sollte sie wertvoller als Erfahrungsgewinn verbucht werden. So ist es in den USA und so sollte es stärker auch in Deutschland sein. Auch im Bereich der qualifizierten Zuwanderung sehe ich noch Verbesserungsbedarf.
In Deutschland sind – so der allgemeine Vorwurf – wenige Start-ups innovativ. Was zeichnet ihrer Meinung nach überhaupt ein innovatives Start-up aus?
Dem Vorwurf muss ich widersprechen. Aus eigener Erfahrung mit dem Startup-Fokusprogramm und den Unternehmen, die darin aktiv sind, kann ich sagen, dass viele von ihnen höchst spannende Geschäftsmodelle und -ideen haben und auch umsetzen. Bei unserem letztjährigen Startup Forum in Berlin hatten wir an einem einzigen Tag 37 Unternehmen vor Ort, die uns ihre Ideen für den Einsatz von SAP HANA präsentiert haben. 18 davon haben wir daraufhin in unser Fokusprogramm aufgenommen. Für unser Forum am 19. Juni erwarten wir ähnliches.
Und was zeichnet innovative Start-ups nun aus?
Innovative Ideen müssen dabei aus unserer Sicht drei wesentliche Anforderungen gleichzeitig erfüllen: Vor allem müssen die Produkte und Dienstleistungen für die Nutzer sinnvoll sein, alltägliche Herausforderungen im Geschäfts- oder Privatleben besser als zuvor lösen helfen. Dann muss es ein solides Geschäftsmodell als Grundlage geben, schließlich wollen alle Geld verdienen. Und nicht zuletzt muss die technische Umsetzbarkeit, beispielsweise durch die entsprechende IT-Infrastruktur, gegeben sein. Ganz wichtig hierbei ist, dass die zündende Idee nur den Startpunkt markiert. Diese dann in eine marktreife Lösung umzusetzen und erfolgreich zu vermarkten, ist der bei weitem schwierigere Teil. Innovation ist nur dann Innovation, wenn Kunden sie kaufen und auch nutzen! Damit helfen wir Start-ups in unserem Programm.
Zur Person
Cafer Tosun, ist Senior Vice President und Leiter des SAP Innovation Center in Potsdam. Zugleich ist er zuständig für die gemeinsamen Projekte mit dem Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik. Er ist seit 1993 bei SAP, hatte verschiedene Rollen in der Beratung und Entwicklung inne und war acht Jahre bei den SAP Labs in Palo Alto im Silicon Valley tätig. Cafer Tosun hat Informatik studiert und ist zertifizierter Projektmanager der Universität Stanford. Auf dem SAP Startup Forum, welches am 19. Juni zum zweiten Mal in Berlin stattfindet, ist Tosun ebenfalls wieder vertreten.