Gründer! „Wir haben zusammen geheult“ – Wolfgang Macht von Netzpiloten
Mit seinen 46 Jahren gehört Wolfgang Macht nicht zur Gruppe „Digital Natives“ sondern ist eher eine Brückenfigur zwischen der alten und der neuen Medienwelt. Als er 1996 Netzpiloten gründet, weil ihn die neuen Medien faszinieren, erleichtert er mit dem Netz-Navigator zahlreichen Menschen den Einstieg ins Internet. Dem Start-up gelang, was vielen anderen Gründungen aus dieser Zeit verwehrt blieb: Er überlebte das Platzen der Dotcom-Blase. Noch heute navigiert der Dienst durchs Netz, wenn auch mit etwas anderer Ausrichtung. Wolfgang Macht ist ein Pionier des Internets und hat spannende Erinnerungen an die dramatische Phase der New Economy, die er hautnah miterlebte.
Als Netzpiloten (www.netzpiloten.de) 1996 das Licht der Welt erblickt, ist es die perfekte Zeit für den Dienst: Die meisten Menschen haben den Unterscheid zwischen E-Mail und Internet noch nicht recht verstanden, manche probieren zaghaft die ersten Suchmaschinen Fireball, Yahoo und AltaVista aus. Doch wonach soll man im Internet eigentlich suchen? Netzpiloten nimmt interessierte Nutzer an die Hand und navigiert sie, ähnlich wie ein Fremdenführer, zu spannenden Orten im noch undurchsichtigen Netzdschungel. Besucher können sich durch thematisch gebündelte Webtouren klicken, die aus persönlichen Empfehlungen des Redaktionsteams zusammengestellt sind.
“Ich merkte, dass da draußen eine digitale Revolution ablief”
Ein Jahr zuvor gründete Wolfgang Macht bereits zusammen mit Matthias Dentler Gewinnspiele.de (www.gewinnspiele.de), beide Plattformen fungieren unter der Netzpiloten AG. „Was mich damals reizte war die Frage, ob sich das Netz kommerzialisieren würde oder ob es es einfach nur eine Mischung aus eher technischen Foren und Datenbanken bliebe. Das war damals noch nicht ganz klar“, erinnert sich Macht. Er gehört zur ersten Generation, die im Studium ansatzweise an das Internet herangeführt wurde. Während seiner Ausbildung zum Journalisten und in den zahlreichen Praktika soll er sich um die „neuen Themen“ kümmern, mit denen die älteren Redakteure nicht viel anfangen können. Als ihn die Zeitung Die Woche als Redakteur für den Bereich Medien anstellt, der Ausbau zu “Neuen Medien” aber aus wirtschaftlichen Gründen nur schwach in die Tat umgesetzt wird, wird er nach zwei Jahren nervös. „Ich merkte, dass da draußen eine digitale Revolution ablief, es aber in den Zeitungen und Zeitschriften nicht mal ordentliche Ressorts dafür gab, die Entwicklung journalistisch zu begleiten. Da war mir klar, ich musste die Seiten wechseln und selber mitmachen bei den Online-Pionieren .“
Wolfgang Macht trifft mit seinen beiden Diensten voll ins Schwarze. Gewinnspiele.de sammelt die acht bis neun Online-Gewinnspiele, die damals von zumeist großen Firmen zur Kundengewinnung genutzt werden, auf einer Seite und verhilft den Unternehmen damit zu neuen Besuchern. Das Team beginnt, auch selbst Gewinnspiele zu bauen, und ist mit seinem Dienst Anfang 2000 in acht Ländern aktiv. Auch Netzpiloten wächst zügig und ist mit dem werbefinanzierten Modell schnell profitabel. Als es an die Internationalisierung geht, suchen die Gründer Ende der Neunziger einen Investor.
Heute ist Macht froh, dass er sich damals den Rat der Frau einholte, die kurz zuvor KabelNewMedia an die Börse gebracht hatte. Sie stellt die richtigen Fragen und Wolfgang Macht wird bewusst, dass er diesen börsengetriebenen Weg erst einmal nicht gehen will. Die Netzpiloten-Gründer fordern von den potentiellen Investoren die Zusage ein, sie erst nach fünf Jahren an die Börse zu bringen – „da blieben von etwa 20 potentiellen Investoren mit einem Schlag nur noch zwei übrig“. Im März 2000 steigt United Internet mit 30 Prozent bei Netzpiloten ein, sofort werden verschiedene Auslandsbüros eröffnet, ein Spot mit Thomas Herrmanns sorgt für Publicity, aus 30 Mitarbeitern werden 150. „Der Sommer 2000 war der reinste Wahnsinn, wir kamen dem exponentiellen Wachstum mit unseren Strukturen nicht mehr hinterher.“
Glücksfall: United Internet gibt die Firmenanteile zurück
Als die Blase sich ihrem Ende nähert, nimmt Macht die Anzeichen zunächst nicht wahr. Er sieht zahlreiche Agenturen untergehen, darunter Kabel New Media, ist aber viel zu beschäftigt mit den Anstürmen und Geschäftsanfragen. Erst als sich immer mehr Werbekunden ernüchtert zeigen vom neuen Medium Internet und ihre Partnerschaften kündigen, kommt er ins Nachdenken. „Die in unseren Web-Touren integrierte Werbung erzwang einen sogenannten ‘forced klick’ von den Nutzern. Viele Werbepartner erkannten, dass dies keine wertvollen Klicks für sie sind, und stiegen aus.“ Als die Einnahmen schlagartig ausbleiben und auch United Internet nicht mehr investieren will, schrumpft das imposante Unternehmen praktisch über Nacht auf sieben Mitarbeiter zusammen. „Wir haben jedes einzelne der über einhundert Personalgespräche selbst geführt und mussten teilweise mit den Mitarbeitern heulen, weil vor uns ein gemeinsamer Traum zerbrach“, erinnert sich Macht an die schwierige Phase nach dem Hype. Während er zuvor mit Jobanfragen überhäuft wurde, sei plötzlich jeder mitleidig angeschaut worden, der eine Internetfirma hatte. Alle hätten sich die Frage gestellt, ob die „Sache mit dem Internet“ nur ein kurzer Spuk war.
Ein Glücksfall verhilft den Netzpiloten-Gründern dazu, dass sie ihre AG trotzdem erhalten können: United Internet gibt ihnen die Firmenanteile zurück, um sie vor der Pleite – und sich selbst vor der Negativ-Presse – zu bewahren. „Wenig später, als reihenweise Internet-Firmen pleite gingen und wir nichts Besonderes mehr waren, wäre das wohl anders gelaufen“, vermutet Macht.
Spätestens seit Facebooks Börsengang ist die Frage laut geworden, ob sich die Internet-Wirtschaft in einer neuen Bubble befindet, deren Blasensprung kurz bevor steht. Wolfgang Macht schüttelt den Kopf, er glaubt nicht daran. „Heute sind die Start-ups stärker aus wirtschaftlichen Motiven heraus getrieben, selbst bei den Copycats der Samwers steht das Produkt im Mittelpunkt.“ Die aktuellen Auf- und Abbewegungen hält er für „ganz normale Mechanismen in einer innovativen Medienbranche“. Der Unterschied zum Jahr 2000 sei doch, dass damals keiner Erfahrung mit dem neuen Geschäft gehabt hätte: Weder Banken noch Investoren noch die gehypten Mediaagenturen. Weihnachten 2000 hätte er von seiner Hausbank, die ihm kurz darauf den Hahn zudrehte, noch Champagner geschenkt bekommen – und dies sei nur ein Beispiel für die ganzen Übertriebenheiten zu jener Zeit. „Damals hieß es: Lauft nackig los und zieht euch unterwegs an! Diesen galoppierenden Wahnsinn gibt es heute nicht mehr, die Startup-Entwicklungen sind planbarer geworden.“ Auch die Rolle der Investoren sei heute eine andere, Gründer würden mehr geschult.
Im Gespräch mit Gründern rät Macht trotzdem, sich gut zu überlegen, ob und wann ein Investor mit ins Boot geholt wird – und ob es ein reiner Geldinvestor oder ein strategischer Investor sein soll. Beides habe Vor- und Nachteile, sie selbst hätten bei ihrem börsenorientierten Investor eine hohe Berichtspflicht gehabt und ständig Zahlen generieren müssen, was belastend war. „Bei strategischen Investoren ist die Leistung wiederum schwer kontrollierbar, da die Einlage zum Beispiel in Bruttomedialeistung besteht.“
Nach dem großen Zusammenbruch haben Macht und Dentler es alleine wieder auf die Füße geschafft. Seit 2005 ist Netzpiloten wieder profitabel. Im Gegensatz zu früher hat die Seite heute mehr Magazin-Charakter und ist stark mit der Bloggerszene verbunden. Nach wie vor erklären die Redakteure das, was im Netz passiert, und weisen auf Trends hin, geben Link- und Video-Tipps. Das Internet ist heute nicht mehr neu sondern Alltagsgegenstand, aber immer noch erklärungsbedürftig. Auch das Geschäft mit den Online-Gewinnspielen läuft nach wie vor. Seit Kurzem ist das Netzpiloten-Team ins Lotto-Geschäft eingestiegen, ausgelöst durch die Neufassung des Glücksspiel-Staatsvertrages, der eine Öffnung des Marktes für Privatanbieter vorsieht. Selbst im Netzzeitalter bleiben manche Themen eben ein Dauerbrenner.
Zur Person
Wolfgang Macht gehört zu den deutschen Internet-Pionieren und gründete Mitte der Neunziger den Gewinnspiel-Aggregator Gewinnspiele.de und den Netz-Navigator Netzpiloten. Beide Unternehmen haben das Platzen der Dotcom-Blase überlebt und sind heute wieder hoch-profitabel. Vor seiner Journalisten-Ausbildung bei verschiedenen Zeitungen studierte Macht Geschichte und Literaturwissenschaft in Freiburg und Hamburg. Hilfestellung zum persönlichen Umgang mit dem Internet gibt der Berliner in seinem Buch „Wir ohne Grenzen – Social Media in Firma und Familie“.
Fotos: Parwez Mohabat-Rahim (oben), Ralf Rühmeier (Mitte), privat (unten)
Im Fokus: Weitere Porträts über Netzmenschen gibt es in unserem Special Gründer-Porträts