Offline! „Wir hätten in die USA gehen sollen“ – Sebastian Kurt über das Ende von the Chicken
Ein CheckIn-Dienst für Produkte sollte es sein, der Name „the Chicken“ kam einem Mitarbeiter nachts im Traum. Heute gibt es das Start-up, das zuvor Shopotainment hieß, nicht mehr. Haben die Deutschen das Thema CheckIn noch nicht wirklich begriffen oder fehlte dem Produkt der Mehrwert? Sebastian Kurt hat sich vom Scheitern seines Start-ups jedenfalls nicht unterkriegen lassen sondern arbeitet heute für ein anderes Start-up – als Angestellter. Würde er noch einmal gründen, würde er vermutlich auf Fremdkapital verzichten.
Schon 2008 startete Sebastian Kurt mit seinem Mitstreiter Adrian Haß das Portal Shopotainment, da beide das Potential erkannten, das im Bereich Produktempfehlungen liegt. Nutzer sollten Produkte mit einem „Hab ich!“ oder „Will ich!“-Aufruf versehen, verdienen wollte das Unternehmen über Affiliate-Programme. Später entschieden sich die Macher für einen radikalen Namens- und Strategiewechsel. Bei „the Chicken“ sollte es weniger um den Kauf als vielmehr um den spielerischen Umgang mit Produkten und den eigenen Erfahrungen damit gehen. Das Team führte Gamification-Elemente ein, konzentrierte sich auf die Produktsparte Lebensmittel und setzte neben Affiliates auf Lizenzmodelle für Firmen. Der große Durchbruch blieb leider trotzdem aus.
“Der Name und das Logo kamen super an”
Schon bevor es für ihn mit Shopotainment losging, beschäftigte sich Kurt intensiv mit dem Thema und schrieb seine Diplomarbeit zu „Interessenprofile in virtuellen Identitäten“. Darin ging es um die persönlichen Vorlieben von Menschen und wie diese virtuell abgebildet werden. Seine Erkenntnisse flossen in das Start-up mit ein und überzeugten auch andere: Die Junggründer konnten eine Exist-Förderung ergattern und später eine Anschlussfinanzierung von der IBB und von Privatinvestoren. Mit dem Geld stellten die Gründer unter anderem zwei Mitarbeiter ein, die sich um das Marketing kümmern sollten.
Es überrascht, wie kritisch Kurt dem Thema Finanzierungsgelder heute gegenübersteht. „In der Zeit zwischen den beiden Investitionen haben wir eine Weile gebootstrappt und waren während dieser Phase fokussierter als in den Zeiten, als das Boot im ruhigen Wasser schwamm“, erklärt er. Aus dem Erleben heraus, dass der Druck ohne externe Gelder größer ist, würde er bei einem neuen Projekt auf Fremdfinanzierung verzichten – zumindest in der Frühphase. „Durch das Geld von der Bank mussten wir uns auch streng an den Businessplan halten und ständig Gespräche führen“ – eine Tatsache, die er als nicht immer förderlich erlebt hat.
Wenn Sebastian Kurt über das Ende von theChicken nachdenkt, wird ihm klar, dass vielen Menschen der Nutzen eines CheckIn-Dienstes für Produkte nicht klar wurde. Auch nach dem Namens- und Strategiewechsel nicht, obwohl dies der richtige Schritt gewesen sei: „Der Name und das Logo kamen super an, der Wiedererkennungswert ist bis heute enorm.“ Vielleicht hätte es ja zwei Jahre später besser geklappt? Für eine positive Antwort auf diese Frage spricht, dass Kurt und sein Mitstreiter eine kurze Begegnung mit der US-amerikanischen Szene hatten, die sehr eindrücklich war: Ein amerikanisches Blog berichtete über theChicken und innerhalb weniger Stunden hatte die Seite plötzlich 1500 Besucher, die die Idee unterstützten. „Ich glaube, wir hätten mit theChicken in die USA gehen sollen. Leider haben wir zu sehr darauf gehört, dass man zunächst in seinem eigenen Markt bleiben soll. Das stimmt nicht: Gründer sollten sich den für ihr Produkt richtigen Markt suchen, und das ist nicht immer der heimische.“
“Wir hätten in die USA gehen sollen”
Aber nicht nur die Marktfrage war letztlich entscheidend, auch intern hätte man Dinge anders machen sollen. Ihr Team, ist Kurt heute überzeugt, sei zu technikfokussiert gewesen. Neben den Informatik- und Marketingkompetenzen habe jemand gefehlt, der kreatives und grafisches Knowhow mit einbringt: „Wir mussten uns den Kreativpart immer von außen einholen.“ So kam es schließlich 2011 zu jenem Abend, an dem sich die beiden Gründer „aus akutem Anlass“ die Finanzplanung für die kommenden Monate anschauten und sämtliche Optionen durchspielten. Am Ende war klar, dass die Notbremse gezogen werden musste und der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens unumgänglich war.
Diese Phase war für Kurt, der ursprünglich aus Chemnitz stammt und später in Berlin aufwuchs, die schwierigste. Das Kümmern um Dinge, die nicht mehr in erster Linie mit dem eigentlichen Geschäft zu tun haben, die Frage nach der eigenen Zukunft, die vielen Gespräche mit Geschäftskunden, die an der Plattform interessiert waren und mit denen man das Ruder noch hätte herumreißen können. Gespräche mit Geschäftsfreunden aus dem Bekanntenkreis und das Geständnis, dass sie ihr Geld wohl nicht mehr bekommen würden. „Wir waren zum Glück immer ehrlich, haben alles frühzeitig kommuniziert und Lösungen gefunden, so dass in dieser Phase keine Beziehungen in die Brüche gegangen sind.“ Zwischen den Gründer selbst habe es in dieser Zeit nie gekracht, „wir würden jederzeit wieder zusammen gründen“.
Als Informatiker bekam Kurt, der schon während der Schulzeit ständig mit Kumpels über interessante Ideen nachgedacht hatte, relativ schnell wieder interessante Jobangebote auf den Tisch. Von Firmen, bei denen er einen geregelten Acht-Stunden-Job absolviert hätte und auf der sicheren Seite gewesen wäre. Heute ist er froh, dass zum richtigen Zeitpunkt der Gründer von snipclip anrief und ihn nach München holte. Snipclip ist für ihn ein guter Kompromiss: Zwar ein Start-up, aber keines in der kritischen Anfangsphase, und auch der Ortswechsel habe ihm gut getan, erzählt Kurt. Mit dem Scheitern von theChicken ist er versöhnt und schämt sich auch nicht dafür, es sei „kein Minus im Lebenslauf“. Und auch verschiedene andere Menschen haben bereits von seinem Wissen, wie man ein Insolvenzverfahren abwickelt, profitiert.
Veranstaltungstipp: Am 15. Oktober findet erstmals die FailCon Berlin statt. Bei der eintägigen Konferenz, die sich an Gründer, Investoren, Developer und Designer richtet, geht es um Fehler, und was man daraus lernen kann.
Im Fokus: Infos über Start-ups, die es nicht mehr gibt, finden Sie in unserem Special Offline
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