Gründerinnen. „Wir wollen Jungdesigner fördern“ – Regine Harr von nelou
Als es mit „MySweetBox“ richtig losging, stampfte Regine Harr das Projekt wieder ein – trotz des „Energierausches“, den ihnen das Süßigkeiten-Start-up verpasst hatte. Die Entscheidung fiel, weil sich Harr wieder auf ihre erste Gründung nelou (www.nelou.com) konzentrieren wollte, eine Plattform für aufstrebende Designer. Nun ist die quirlige Ex-Berlinerin mit ihrem Fashion-Portal in die USA expandiert und zieht auch dort schon wieder um – vom technik-lastigen Silicon Valley ins modebegeisterte New York. Auch in Deutschland werden immer mehr Menschen auf die Modeplattform aufmerksam. Schade nur, dass es für MySweetsBox keinen Käufer gab: Der Shop war die leckerste Form der deutschen Wiedervereinigung.
“Ich habe die IT-Geschichte unterschätzt”
Seit drei Jahren bastelt Regine Harr schon an Konzept und Umsetzung ihrer Designer-Plattform nelou. Am schwierigsten war für sie die Phase in 2011, als plötzlich nichts mehr voranging: Sie habe die „IT-Geschichte“ einfach unterschätzt, erklärt Harr, die sich den Technik-Part über externe IT-Agenturen hereinholte und damit Zeit, Nerven und Geld verbrannte. Bis ihr die Idee zu einem Zwischenprojekt kommt, das sie ablenkt: Innerhalb von vier Wochen stampft die Anfang 30-Jährige zusammen mit Daniel Moser den Online-Shop MySweetsBox aus dem Boden, in dem Nostalgie-Freaks „Care-Pakete“ mit Süßigkeiten aus der eigenen Kindheit kaufen können. Ostpakete, Westpakete oder – als besonderes Bonbon – Einheitspakete mit Produkten aus beiden Teilen Deutschlands. Eine simple Idee, die kurz vor Weihnachten aber voll einschlägt: Zwei Wochen nach dem offiziellen Launch verschicken die Gründer an einem Tag 80 Pakete, der Händler hat nicht mehr genügend Ware vorrätig, „mit so einem Ansturm hatten wir nicht gerechnet“.
Jetzt fließt ihre komplette Energie wieder in nelou. Die Idee, eine Plattform für Jungdesigner zu eröffnen, kam der Weltenbummlerin in Bangladesch. Dort arbeitete Harr mit Ende 20 im Bereich Mikrofinanzierung und schaute sich verschiedene Produktionsstätten an. „Ich habe gesehen, dass kleine Labels in vielen Ländern nicht produzieren können, weil sie an eine Mindestbestellmenge gebunden sind.“ Genau diesen Jungdesignern, egal ob aus Europa, Asien oder den USA, bietet nelou eine Präsentationsplattform für die eigene Kollektion. Eineinhalb Jahre nach dem offiziellen Start tummeln sich schon 470 ausgewählte Nachwuchsdesigner aus 30 Ländern auf der Plattform und präsentieren ihre Labels. Zusätzlich rückt Harr die Newcomer mit einem Online- sowie einem Printmagazin, das extra für die Vienna Fashion Week erstellt wurde, ins Rampenlicht. Noch mehr von den Jungdesignern gibt es in lustig-informativen Interviews, die Regine Harr bei nelou.tv vorstellt.
“Mit MySweetsBox hätte ich das nicht erreichen können”
Nach den Jahren der Konzeptionierung findet Harr es wunderbar, endlich ein vorzeigbares Produkt zu haben. „Plötzlich hören dir die Menschen zu und sind begeistert. Mit einem vorzeigbaren Produkt wird man anders gesehen und man merkt, wie andere nun auf einen zukommen und einen nach Meinungen und Erfahrungen fragen.“ Präsent zu sein, plötzlich Kooperationen mit den FashionWeeks einzugehen, mit Partnern im Modebereich zu verhandeln – diese Herausforderungen machen für Harr den Job reizvoll. „Mit MySweetsBox hätten wir so etwas nicht so einfach aufbauen können. Das gibt das Produkt nicht so einfach her..“
Den Anfang von nelou stemmte Harr noch alleine. Dann stieß Boris Berghammer dazu, der in Österreich zeitgleich die Mode-Plattform styleaut.com hochzog und auf das deutsche Portal aufmerksam wurde. Die Konzepte waren so ähnlich, dass sich die beiden trafen – und gemeinsam weitermachten. „Wir haben gemerkt, dass unsere Fähigkeiten perfekt zusammen passen. Jetzt kümmert sich Boris bei nelou um IT, Grafik und den laufenden Betrieb, ich selbst hole die Projekte ran und mache Marketing und PR.“ Regine Harr, die von San Francisco aus die EM verfolgte und sich aufgrund der Zeitverschiebung schon vormittags zum Fußballschauen verabredete, findet einen treffenden Vergleich: „Er ist die Verteidigung – ich der Stürmer.“ Zu zweit, ist sie heute überzeugt, sind andere Dimensionen möglich, als wenn man sich alleine durchkämpft. „Es ist wichtig, dass man Frust und Freude mit jemandem teilen und sich gegenseitig aufbauen kann. Dafür braucht es jemanden auf Augenhöhe: Ein Angestellter kann mir nicht sagen ‘Das wird schon wieder’, wenn mal was daneben geht.“
Wenn es nach den beiden Gründern geht, soll nelou langfristig das „YouTube für Mode“ werden und als solches neue Trends setzen und dem „Sales-Rausschmiss“ vieler Mode-Plattformen nachhaltigen Konsum und Stil-Vielfalt entgegen setzen. Professionalität ist Harr wichtig: Jeder Designer muss die beiden persönlich überzeugen und mit hochwertigen Produtkfotos punkten. Ziemlich schnell habe sie dabei gemerkt, dass der amerikanische Markt extrem wichtig sei: „Die US-amerikanische Presse fördert junge Gründer einfach mehr als die deutsche“, ist ihre Erfahrung.
Vom Investmentbanking über Mikrofinanzierung zur Designerplattform
Etwas anderes als ihr „Baby“ nelou kann sich Harr momentan nicht vorstellen. Dass das so bleiben wird, scheint allerdings unwahrscheinlich: Harrs Lebenslauf ist ein Sammelsurium an spannenden Tätigkeiten und exotischen Orten. BA-Studium in Philosophy & Economics in Bayreuth und Südafrika, LLM in Law and Economics in Bologna, Rotterdam und Berkeley: Das macht fünf Unis in fünf Ländern innerhalb von fünf Jahren. Ein paar Jahre lang zieht es Harr danach als Investmentbankerin nach London, dann geht sie nach Bangladesch und Nepal, um im Bereich Mikrofinanzierung zu arbeiten. Kurz steht die Überlegung an, über den Themenkomplex Social Entrepreneurship zu promovieren, dann gründet sie doch lieber gleich selbst und setzt den sozialen Aspekt praktisch um: Bei MySweetsBox wurden von jedem verschickten Paket zwei Euro an die Hilfsorganisation Care gespendet und auch hinter nelou steckt ein sozialer Gedanke.
Da Harr in der Modebranche gegründet hat, hat sie im Gegensatz zu anderen Online-Gründerinnen nicht nur mit Männern zu tun. Unterschiede zwischen den Geschlechtern nimmt sie jedoch kaum noch wahr, männliche Gründer seien heute mindestens so familienorientiert wie Frauen. Dem weiblichen Geschlecht wünscht sie manchmal, nicht ganz so straight an ihrem Lebenslauf zu basteln sondern mehr Risiko zu wagen: „Männer trauen sich, mehr Risiken im Leben einzugehen, geben auch mal wieder einen Job auf oder ziehen wieder in eine WG, wenn es sein muss.“ Eine Flexibilität, die sich Regine Harr bewahrt hat: Länger als zweieinhalb Jahre hat sie es bisher an keinem Ort ausgehalten.
Im Fokus: Weitere Porträts über Netzmenschen gibt es in unserem Special Gründer-Porträts
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