Offline! „Jeder Brief bohrt die Wunde wieder auf“ – das Ende von United Maps
„Wir hätten auf Technik statt auf Daten setzen sollen“ – so simpel klingt klingt das Resumée, das Andreas Wiedmann aus der Geschichte seines Start-ups United Maps zieht. Vor einem Jahr musste der Karten-Spezialist gemeinsam mit seinen beiden Mitgründern Insolvenz anmelden und bekommt bis heute die „blauen Umweltpapier-Briefe“ vom Insolvenzverwalter zugeschickt. Obwohl verschiedene Investoren wie der High-Tech Gründerfonds an das Konzept glaubten, klappte es am Ende mit dem Exit nicht.
“Wer kauft schon teures Bier, wenn es irgendwo schlechtes Freibier gibt?”
Als Wiedmann beschloss, United Maps zu gründen, war er noch Geschäftsführer von CartoTravel, einer Tochtergesellschaft des ADAC. Dann wurde das Unternehmen 2007 vom Marktführer MairDumont gekauft und dicht gemacht. Ähnlich wie das Verlagswesen, in dem Wiedmann zuvor 15 Jahre lang tätig war, hatte auch die klassische Kartografie mit den neuen, digitalen Möglichkeiten zu kämpfen. „Mit unserer Kompetenz, den Kartendaten und guten Beziehungen zur TU München wollten wir ein Start-up gründen, das die alte und die neue Welt vereint“, erinnert sich Wiedmann. Mit United Maps sollten die Basiskarten führender Hersteller wie Navtec und Teleatlas mit detaillierten Daten angereichert werden, um „die Löcher zwischen den Straßennetzen“ zu füllen und so ganz neue, auflösungsstarke Karten zu kreieren.
Der Ansatz schien so vielversprechend, dass der High-Tech Gründerfonds zusammen mit verschiedenen anderen Investoren zwei Mal beachtliche Summen in das bayrische Start-up steckte. Leider änderte dies nichts daran, dass der Wert von Kartendaten in den Folgejahren in den Keller rutschte. „Wer kauft schon teures Bier, wenn es irgendwo schlechtes Freibier gibt?“, bringt Wiedmann die Entwicklung auf den Punkt. „Unser Geschäftsmodell, wertvolle Kartendaten zu produzieren und zu verkaufen, ist leider gescheitert.“
Falsche Grundentscheidung: Daten statt Technologie
Die Gründe für das unschöne Ende von United Maps sieht der Münchner in der damaligen Grundsatzentscheidung, auf Daten statt auf technische Entwicklung zu setzen. Menschen bezahlen nicht für Inhalte, sondern für Technologie, ist Wiedmann heute überzeugt. Diese Grundsatzentscheidung hatte nicht nur Auswirkungen auf die Strategie und das Geschäftsmodell, sondern auch auf das Gründerteam: „Wir waren alle drei Unternehmer mit einem gewissen technischen Verständnis, aber keiner von uns hätte programmieren können. Wir dachten, dass wir uns das technische Know-how über die TU München von außen einholen – ein großer Fehler.“ Andererseits glaubt der 48-Jährige nicht, dass damals irgend jemand in United Maps investiert hätte, wenn die Technologie und nicht das vorhandene Kartenmaterial im Vordergrund gestanden hätte. Das Umdenken sei erst später gekommen.
Dass am Ende keiner den Kartendienst kaufen wollte, kam dann aber trotzdem überraschend. Immerhin vollzog das Start-up Ende 2009 noch einen Strategiewechsel und stieg in den App-Markt ein. Dann machte sich das Trio gemeinsam mit einem M&A-Berater daran, die Strategie von United Maps zu verkaufen. Zahlreiche Gespräche und Präsentationen bei den weltweit großen Tech-Konzernen standen auf der Agenda. Interessiert waren viele – kaufen wollte am Ende keiner. Irgendwann war klar, dass mit dem Konzept nichts mehr anzufangen war. „Das war bitter – aber mit dieser Erkenntnis konnten wir endlich einen Schlussstrich ziehen. Wir hatten uns bereits bis aufs Hemd ausgezogen.“ Auf Drängen der Gesellschafter hin hatten alle Gründer bereits seit Längerem auf ihr komplettes Gehalt verzichtet und noch ein Aufgeld in die Firma gelegt. So wurde die Pleite zur Katastrophe: „Wir sind substanziell ausgeblutet, was ziemlich katastrophal ist, wenn man eine Familie im Hintergrund hat. Das würde ich so nie wieder machen.“
Aber Erleichterung war auch mit im Spiel, als die Insolvenz endlich eingereicht war – ziemlich genau vor einem Jahr. Trotzdem sind die Spuren tief und bis heute sichtbar: Zwischen Wiedmann und einem der Mitgründer, mit dem es schon vorher „nicht so ganz klappte“, herrscht heute Funkstille. In den Monaten nach der Pleite blieben sämtliche Anrufe bei Freunden, Bekannten und Headhuntern, von denen sich Wiedmann Job-Möglichkeiten erhoffte, erfolglos. Keine Angebote, keine Gespräche, auch nicht über die üblichen Job-Plattformen. Der Gang zum Arbeitsamt wurde zu einer eindrücklichen Erfahrung. „Schlimm war es, im Arbeitszimmer zu sitzen und auf die täglichen Anrufe und Mails zu warten – aber da kam nichts mehr.“
Mit der Rentnerkarte durch Münchens Innenstadt
Als auch noch das Auto kaputt ging, kaufte sich Wiedmann eine Rentnerkarte für das Münchner Nahverkehrsnetz: „Früher als 9.00 Uhr musste ich ja eh nicht mehr unterwegs sein.“ Irgendwann klappte es dann doch. Nach einem Grillfest rief ihn ein langjähriger Bekannter an, der seit 2003 die Firma metaio führt, ein weltweit führendes Unternehmen im Bereich Augmented Reality. Wiedmann sollte dabei helfen, kaufmännische Strukturen in den Laden zu bringen. Erst sprang er freiberuflich ein, mittlerweile kümmert er sich als Festangestellter um die Unternehmensentwicklung und die amerikanische Tochtergesellschaft. Bei metaio, merkt er, laufe genau das richtig, was sie selbst falsch gemacht hätten: „Hier sitzen Techies par excellence – der Fokus liegt auf der Technologie, die Inhalte kommen später.“ Als knapp 50-Jähriger ist Wiedmann der älteste Mitarbeiter, profitiert aber davon, dass er selbst einige Jahre in einem Start-up tätig war. „Ich bringe Struktur und Seriösität aus 25 Jahren Berufserfahrung mit, aber genügend Flexibilität, um die Jungen nicht zu behindern.“
Da das Insolvenzverfahren noch läuft, wird Wiedmann regelmäßig von seiner Vergangenheit eingeholt – vor allem in Gestalt des Insolvenzverwalters, der sich beständig in Form von blauen Briefen meldet und Nachfragen stellt. Vermutlich wird die Insolvenz mangels Insolvenzmasse abgelehnt werden, doch noch ist das Verfahren im Gange. „Jeder Brief bohrt die Wunde wieder auf und schürt die Angst, wegen Insolvenzverschleppung angeklagt zu werden“, sagt Wiedmann. Zwar glaubt der ehemalige Geschäftsführer, alles richtig gemacht zu haben, aber die Furcht schwingt trotzdem bei jeder Nachfrage mit. Umso dankbarer ist er, dass sein Leben heute wieder im Lot ist und niemand aus seinem privaten oder geschäftlichen Umfeld negativ auf die Pleite reagiert hat. Nur er selbst habe sich am Anfang etwas zurückgezogen, sei mit der Zeit dann aber wieder unter Leute gegangen. So wie auf die Grillparty, nach der es endlich auch beruflich wieder aufwärts ging.
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