„Die Schmerzen im Buchmarkt sind noch nicht groß genug“ – Martin Fröhlich und Katja Splichal von PaperC

PaperC (www.paperc.de), die Download-Plattform für Fachbücher und unser Start-up des Jahres 2009, geht im Herbst mit der neuen Plattform PaperC.com online. Dafür sammeln die Berliner nun Geld über die Crowdinvesting-Plattform Innovestment ein. Im Interview mit deutsche-startups.de erklären Martin Fröhlich und Katja Splichal, warum sie diesen Weg gehen, wie sich der Buchmarkt verändert und auf welche Nutzerbedürfnisse sich Verlage langfristig einlassen müssen.

PaperC gibt es schon seit drei Jahren und ihr habt auch bereits Investoren an Bord. Warum sammelt ihr in der jetzigen Phase über Innovestment Geld von Mikro-Investoren ein?
Durch die Öffnung für die Crowd werden wir eine höhere Durchschlagskraft beim Launch von paperc.com im Herbst 2012 erreichen und können zudem die Entwicklung schneller vorantreiben.

Auf welche Neuheiten dürfen sich Nutzer bei der neuen Plattform freuen?
PaperC.com ist html5-basiert und wir schöpfen damit erstmals die gegenwärtigen Möglichkeiten des eReading voll aus. Herzstück sind die Kompatibilität des Readers mit allen mobilen iOS Geräten, in 2013 auch Android und andere, sowie die erstmalig in Deutschland umgesetzte Offline-Synch: Unserem DevDepartment ist es gelungen, die Web-App wie eine native App zu gestalten. Das heißt: Die App bleibt auch ohne Zugang zum Server voll funktional. Bis zu fünf durchschnittlich große eBooks sind dann offline ohne Download abbildbar und schonen so die Bandbreite der Nutzer, während gleichzeitig alle gemachten Notizen und Markierungen in den Online-Status überführt werden. 

Für Verlage und andere Inhalteanbieter haben wir völlig neuartige Statistiktools entwickelt, die weit über die Einzelseitenerfassung des Leseverhaltens unserer Nutzer hinausgehen und langfristig dafür sorgen werden, dass sich Herstellungsprozesse verändern müssen, um den neuen Nutzern noch gerecht zu werden. Nach dem Launch und mit erfolgreicher Crowdfinanzierung werden wir eine Upload-Funktion hinzufügen, die es unseren Nutzern ermöglicht, Verlagsinhalte und eigene Dokumente zu verknüpfen, Inhaltsverzeichnisse zu erstellen, Zitationen zu verwalten etc.  

Mit der neuen Domain PaperC.com öffnet ihr euch auch für den internationalen Markt. Wie wird sich das auf PaperC auswirken?
Unser Konzept ist derzeit für US-amerikanische Verlage und Content-Lieferanten sogar noch spannender als für die deutschen Kollegen. Während hier das eBook als solches noch für Unsicherheiten sorgt und neue Geschäftsmodelle eher langsam adaptiert werden, hat man drüben längst verstanden, dass der Nutzer jetzt die Regeln macht. Wir rechnen mit einem viel schnelleren Wachstum im Bereich der englischsprachigen Titel, was im Fachbuch-Segment gerade gottlob sowieso im Trend liegt. Eine zunehmend tragende Rolle spielen Universitätsverlage und aktuelle Publikationen: Wer schläft, verliert.

Was hat sich konkret in den Nutzerbedürfnissen verändert?
Unsere mobilen Zugriffsraten liegen bei 40 % und steigen stetig, PDF genügt da nicht. Nutzer akzeptieren auch kriminalisierende DRM-Lösungen nicht, die ihnen beispielsweise untersagen, einen Titel nur auf zwei Endgeräten zu verwenden. Da geht vieles ums Prinzip, um Komfort, um User-Experience und faire Preismodelle. Verlage haben das eBook auch noch nicht als verkaufsförderndes Komplementärgut zum Printbereich verstanden sondern nehmen es mitunter vielmehr als Bedrohung wahr: Die digitale Kopie kostet nichts, wieso sollten die Leute noch bezahlen? Und genau diese Frage gilt es zu beantworten: Wofür sollen und besser noch wollen Kunden bezahlen? In wenigen Jahren wird der eBook-Konsum selbstverständlich sein und die Digitalisierung alle Lebensbereiche betreffen – da sollten Verlage schon jetzt überlegen, in welchen Kontexten ihr Angebot Sinn macht, und sich nicht auf die Frage nach dem Format zurückziehen. 

Zur Zeit testet ihr die Neuerungen in einem geschlossenen Kreis von 1000 Nutzern aus dem IT-Umfeld. Wie sehen die ersten Rückmeldungen aus?
Entweder sind alle ausgesucht höflich, unerwartet unkritisch oder aber tatsächlich sehr zufrieden: Die Feature-Vorschläge decken sich bis aufs Haar mit unseren Plänen. Die wenigen wackeligen Deployments werden trotzdem gelobt und das Nutzerverhalten auf der Plattform spricht für sich: Mit jedem neuen Release verbessert sich die Retention, wird das Feedback detaillierter, werden Verlage hellhöriger. Wir scheinen auf einem hervorragenden Weg und technisch so ziemlich state of the art zu sein.

Auf Seiten der Verlage ist die Angst, durch ein Flatratemodell finanzielle Einbußen zu haben, immer noch groß – berechtigt?
Verlage werden gar nichts mehr verdienen, wenn sie ihren Kunden keine adäquaten Angebote machen. Ein statisches, nicht aktualisierbares, DRM-verschnürtes PDF für 50 oder gar 500 Euro? Torrent ahoi. Natürlich werden Verlage, wenn sie nur noch für den tatsächlich gelesenen Teil entlohnt werden, erstmal weniger am einzelnen Leser verdienen. Aber die Zahl derer, die sehr wohl bereit ist, angemessen zu zahlen, wird diese Verluste ausgleichen – wenn das Angebot stimmt, vergrößert sich das Zielpublikum enorm und wenn Verlage dann noch auf die Idee kommen, ihren Befürchtungen bzgl. einer Kannibalisierung auszutauschen gegen kluge Komplementärgütermodelle, geht auch wieder was im eBook-Markt.

Warum haben sich im Buchmarkt noch nicht dieselben Online-Modelle etabliert wie im Musik- oder Videogeschäft?
Anscheinend sind die Schmerzen noch nicht groß genug. Darüber hinaus ist zu sagen, dass das Lesen am Bildschirm und auf mobilen Geräten lange kein Spaß war. Doch mit dem Aufkommen von dynamischen Formaten wie EPUB und der Verbreitung erschwinglicher Hardware wächst die Nachfrage und damit auch das (illegale) Angebot. Die Rechnung der Verlage war vom Milchmädchen persönlich gemacht und lautete: „Wir verdienen mit eBooks kein Geld, also machen wir auch keine Verluste, wenn wir keine haben. Also verzichten wir auf eBooks.“ Die Schmerzen waren nicht groß genug, aber die Betäubung lässt langsam nach. Der Markt ist an den originären Gestaltern vorbeigewachsen und jetzt versuchen alle, die Lücke zu füllen – wir voran.

Was wollt ihr im kommenden Jahr mit PaperC.com erreichen?
2013 wird das Jahr der Flatrate im Buchbereich. Wir wollen die Plattform gebaut haben, die den Nutzer fragen lässt: “Wie konnte ich ohne?”. Und wir wollen 90 Prozent des relevanten Contents der nicht oligopolistisch belegten Fachbereiche im Mietmodell abbilden. Wir wollen kollaboratives Arbeiten mit aktuellen und verlagsseitigen Inhalten zum Standard machen und uns als White-Label-Lieferant für Buchhandlungen, Verlage und Bibliotheken etabliert haben.