Hohe Ausgaben, keine Transparenz, Demokratiedefizite – Wir müssen die IHK ändern! Gastbeitrag von Florian Nöll
Im März lag er wieder auf vielen Geschäftsführerschreibtischen, der Beitragsbescheid der Industrie und Handelskammer zu Berlin (IHK). Mindestens 100 Euro jährlich zahlt jedes in das Handelsregister eingetragene Unternehmen in Berlin. Haben sie sich schon einmal gefragt warum und wofür? Rechtsgrundlage ist das Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie und Handelskammern. Dieses “vorläufige” Gesetz stammt vom 18.12.1956. Bund und Länder können den Kammern Aufgaben übertragen, was ihren Zweck schnell erklärt. Zu diesen Kernaufgaben gehören insbesondere das gewerbliche Ausbildungswesen, das Sachverständigenwesen, gutachterliche Stellungnahmen zu Förderanträgen und die Erstellung von Exportdokumenten.
Rund 270.000 Mitglieder der Industrie- und Handelskammer zu Berlin sind ab dem 4. Mai zur Wahl der Vollversammlung aufgerufen. Dieses Parlament, das formell das Entscheidungsorgan der IHK ist, hat in Berlin 110 Sitze. 98 davon werden direkt gewählt, bis zu 12 weitere Mitglieder können kooptiert werden. Bei der vergangenen Wahl vor fünf Jahren hat nur etwa jeder 20. Wahlberechtigte seine Stimme abgegeben. Die genaue Wahlbeteiligung ist nicht bekannt. Die Wahlergebnisse werden schlicht nicht veröffentlicht. Richtig, es gibt weder offizielle Zahlen zur Wahlbeteiligung geschweige denn Informationen darüber, wie viele Stimmen auf einzelne Kandidaten entfallen sind. Die Industrie und Handelskammer, und das ist kein Berliner Phänomen, hat ein Transparenzdefizit: Für eine per Gesetz legitimierte Organisation müssen die gleichen Maßstäbe wie für jedes andere Parlament in Deutschland gelten.
Wenn 95 % der Wahlberechtigten ihre Stimme nicht abgeben, dann ist das ein stiller Protest
Auch die Einhaltung der Grundsätze parlamentarischer Demokratie fällt der IHK nicht leicht. Die Kooption habe ich bereits erwähnt. Wenn bei der konstituierenden Sitzung der Vollversammlung vor fünf Jahren der Wahlzettel mit 12 Kandidaten für das 12-köpfige Präsidium bereits vorbereitet war und dann als Block gewählt werden sollte, dann ist das der Ausdruck eines ausgewachsenen Demokratiedefizits.
Es muss doch aber auch positive Aspekte im Zusammenhang mit der IHK geben: Sicher werden wenigstens unsere Beiträge sinnvoll und sparsam eingesetzt? Ich muss Sie enttäuschen: Allein die Bewirtschaftung – inklusive Miete und Pacht – des Ludwig-Erhard Hauses, Sitz der Berliner IHK, kostet circa 12,5 Million Euro pro Jahr. Bei 210 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind das mehr als 50.000 Euro pro Kopf und Jahr – und damit mehr als das Durchschnittsgehalt dieser Mitarbeiter. Wer jetzt kurz nachrechnet wird feststellen, dass er lediglich 5 bis 10 % dieser Summe pro Mitarbeiter für sein eigenes Büro aufwendet. Übrigens: die britische Königin Elizabeth II. gibt jährlich umgerechnet etwa 14,5 Million Euro für ihre Immobilien aus. Keine Transparenz, keine Demokratie und diese Ausgaben: Ist die IHK zu Berlin möglicherweise eine Monarchie, der IHK-Präsident eigentlich ein König?
Gegenleistungslose Abgabe oder Mitgliedschaft mit Mehrwert?
Die IHK muss sich auf Ihre gesetzlich übertragenen Kernaufgaben konzentrieren und die Interessenvertretung ihrer Mitglieder wahrnehmen. 93 % der Berliner IHK-Mitgliedsunternehmen haben weniger als 10 Mitarbeiter. Im Präsidium sitzt nur einer dieser Kleinunternehmer. Hier besteht großer Nachholbedarf. Das zeigt sich auch im Beitragssystem. Ein Einzelunternehmer zahlt bis zu einem Gewerbeertrag, sprich Gewinn, von 5.200 Euro keinen IHK-Beitrag. Erst wenn er mehr als 30.000 Euro Gewinn erwirtschaftet, muss er 100 Euro jährlich bezahlen. Lässt er sein Gewerbe in das Handelsregister eintragen, dann werden die 100 Euro sogar dann fällig, wenn das Unternehmen Verlust macht. Finden Sie das gerecht? Das Beitragssystem muss zugunsten von Jung- und Kleinunternehmern und unabhängig von der Rechtsform verändert werden. Gründer müssen hier sofort von der Beitragspflicht freigestellt werden.
Zuletzt darf die kritische Auseinandersetzung mit dem Kammerzwang nicht fehlen. Unternehmer und Zwang, ist das nicht schon ein Paradoxon? Ich sehe aber auch, dass wir hier mit der Brechstange nicht weiterkommen. Das als Alternative wichtige Aufgaben wie das Ausbildungswesen an den Staat zurückfallen, ist keine wünschenswerte Option. Die IHK muss zu einem modernen Dienstleister werden, der seinen Mitgliedern nutzen stiftet. Die IHK muss sich durch ihre Tätigkeit legitimieren, nicht per Gesetz.
Zu dieser Metamorphose, davon bin ich überzeugt, muss man die IHK-Führung zwingen. Die Berliner Unternehmerschaft ist gefragt sich an der Wahl zu beteiligen.
Zur Person
Florian Nöll ist Unternehmer (unter anderem spendino) und Kandidat zur Vollversammlungswahl der Industrie- und Handelskammer zu Berlin. Dabei ist der Wahlberliner, der bereits als Schüler sein erstes Unternehmen gegründet hat, stellvertretender Sprecher der Initiative pro KMU (www.pro-kmu.com). 30 Kandidatinnen und Kandidaten setzen sich in dieser Initiative gemeinsam für eine moderne, schlanke, transparente und demokratische IHK zu Berlin ein. Seit 2004 engagiert sich Florian Nöll, unter anderem mit der Startup Lounge und als Gründungsmitglied im Entrepreneurs Club Berlin e.V., in der Gründungspolitik und –förderung.