Gründerinnen. „Wir konnten nicht mehr gerade sitzen“ – Berit Müller von modeopfer110

Schon in jungen Jahren hat sich Berit Müller Nadel und Faden geschnappt und Kleidung genäht – bei ihren langen Beinen waren ihr bereits als Teeny die meisten Hosen zu kurz. Heute ist sie Gründerin einer Modeplattform mit dem bezeichnenden Namen modeopfer110 (www.modeopfer110.de), deren Konzept 150.000 Besucherinnen im Monat anlockt. „Erste Hilfe bei akuter Modelust“ gibt es dort – mit dem Ziel, alle nur erdenklichen Themen zum Bereich Mode auf einer Plattform zu bündeln. Egal ob es um Adressen für Modeschulen, Tipps zu Modedesign und Berufseinstieg, Flecken- und Waschhinweise oder eben die neuesten Modetrends geht. Ein netter Nebeneffekt des erfüllten Traums von der Selbstständigkeit: Streitigkeiten um passende Ärmellängen sind passeé.

Angefangen hat die Modedesign-Absolventin als Strickdesignerin beim Modelabel Schumacher in Mannheim. Schnell wird ihr klar, dass in naher Zukunft etwas eigenes her muss: „Man fragt sich irgendwann, wie sinnvoll es ist, tagelang über die Ärmellänge eines Blazers zu streiten, der nicht einmal der eigene ist“, lacht die 32-jährige. Die geistige Unabhängigkeit habe ihr gefehlt, die Freiheit der Ideen. Gemeinsam mit Anja Steffen wagt sie den Sprung: Die beiden kennen sich aus dem Studium in Trier und haben auch schon bei Schumacher zusammen gearbeitet. Kurzerhand beziehen sie eine gemeinsame Wohnung in Berlin und arbeiten komplett von zu Hause aus. Sieben Tage die Woche wird an Konzept und Umsetzung gebastelt, ab sechs Uhr abends mit Laptop auf dem Schoß und Fernsehgedudel im Hintergrund. Keine einfache Zeit. „Wir mussten zur Physiotherapie, weil wir nicht mehr gerade sitzen konnten.“ Anfang 2009 ist es dann soweit: modeopfer110 geht online.

Heute versucht Müller, Arbeit und Freizeit strenger zu trennen. Sie hätten irgendwann begriffen, dass es keinen Sinn macht, sich auszusaugen und selbst zu knechten. Seit das Duo vor einem Jahr ein Büro angemietet hat, ist es noch besser geworden. Mittlerweile gelingt es sogar öfters einmal, dass der Laptop am Wochenende zugeklappt bleibt. „Ich bin beruflich zwar den ganzen Tag über im Internet, privat aber kein Internet-Junkie. Insofern gehöre ich selbst nicht zu unserer Zielgruppe.“ Müller pflegt ihre Kontakte am Wochenende lieber offline. Und vermeidet es, sich Kollektionen anzuschauen oder stundenlang zu shoppen, sie will lieber etwas Distanz davon. Im Letzten sei es eben doch nur Mode.

Aufgewachsen ist Müller in einem kleinen Städtchen im Saarland. Schon während der Schulzeit ist klar, dass sie in die Modebranche will. Sie kommuniziert es wenig nach außen hin, irgendwie kommt es ihr selbst unseriös vor, Modedesign zu studieren. Und doch ist sie überglücklich, als sie endlich in Trier an der Fachhochschule eingeschrieben ist. Während eines Austauschsemesters in London macht sie ein Praktikum beim bekannten Modelabel Alexander McQueen; dessen gleichnamiger Gründer hat sich vor zwei Jahren das Leben genommen. Müller findet dies bezeichnend für die Branche. „Als internationaler Designer unterliegt man einem enormen Leistungsdruck und die Diskrepanz zwischen dem Kreativen und dem Wirtschaftlichen ist sehr schwierig. Dazu kommt meist eine sehr melancholische Seite – ich möchte nicht tauschen.“

Sie selbst habe bei modeopfer110 den Fokus immer auf die Ideen, das Kreative und die Ästhetik gelegt. Die Frage nach einem Investment blieb immer im Hintergrund. Schließlich bringe das größte Budget nichts, wenn man es nicht schaffe, dem Leser das Thema Mode auf persönliche Weise nahe zu bringen. Auch der Businessplan habe mehr mit Ideen und Konzepten zu tun gehabt als mit Zahlen. Wenn Müller auf Konkurrenzseiten stößt, die mit viel Geld und Personal im Hintergrund dasselbe leisten wie sie zu zweit, freut sie sich. Ein Gründungszuschuss half am Anfang über die erste kritische Zeit hinweg; als der neun Monate später auslief, konnte sich modeopfer110 bereits tragen. Die Plattform finanziert sich über Werbung und Affiliateprogramme.

Wenig sei auf ihrem Weg mit modeopfer110 „richtig geplant“ gewesen, die richtigen Kooperationsanfragen seien von selbst gekommen und das Konzept habe sich Schritt für Schritt entwickelt. „Wir wollten einfach eine erfüllende Aufgabe haben, die sich erfolgreich weiterträgt“, erklärt die Frau mit dem dunklen Wuschelkopf. Im Internet unterliege eh alles großen Schwankungen und Veränderungen, da sei es besser, gar nicht so weit im Voraus zu planen – das hätten sie irgendwann begriffen. Wären sie gescheitert, hätten sie eben etwas anderes gemacht. Schade fand sie, dass so viele im Vorfeld gar nicht die Option sahen, dass es auch klappen könnte. „Ins kalte Wasser zu springen ist den Deutschen nicht so in die Wiege gelegt. Es wäre schön, wenn wir da noch geistig offener werden und mehr Mut entwickeln.“

Und wie geht es Müller in der männer-dominierten Start-up-Welt? Sie winkt ab. In der Modebranche sei das etwas anders, auf vielen Veranstaltungen begegne man mehr Frauen als Männern. Als sie allerdings Mai vergangenen Jahres zur Gründerwoche an die Universität Maastricht eingeladen wurden, stand sie bei ihrem Vortrag plötzlich lauter Anfang 20-jährigen Männern gegenüber, die schon das dritte Unternehmen gegründet hatten. „Das hat uns im ersten Moment verunsichert, faktisch fanden die Leute unseren Werdegang aber toll. Wir haben gezeigt: Es kann auch anders gehen! Man muss nicht unbedingt einen wirtschaftlichen Background haben, viel Geld in der Tasche und ein Mann sein, um zu gründen.“

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