Lexikon: Venture Capital-Entscheidungskriterien
In unserer Lexikon-Reihe publiziert Professor Dr. Tobias Kollmann, seit 2005 Inhaber des Lehrstuhls für BWL und Wirtschaftsinformatik – insbesondere E-Business und E-Entrepreneurship – an der Universität Duisburg-Essen, in regelmäßigen Abständen ein Stichwort aus dem von ihm herausgegebenen “Gabler Kompakt-Lexikon Unternehmensgründung“. Der jeweilige Lexikon-Eintrag beschreibt ein für Gründer relevantes Thema kurz und knapp. Heute geht es um den Begriff Venture Capital-Entscheidungskriterien.
1. Begriff: Unter Venture Capital-Entscheidungskriterien werden die zur Auswahl eines Gründungsprojektes betrachteten Entscheidungskriterien verstanden, die insbesondere für Investoren von Wagniskapital eine bedeutende Rolle spielen.
2. Ausprägungen: Die Venture Capital-Entscheidungskriterien lassen sich im Wesentlichen zu fünf Gruppen zusammenfassen. In der ersten Gruppe sind die Aspekte zusammen gefasst, die das Geschäftsmodell des Unternehmens ausmachen. Dazu gehören zum einen auf das Produkt und den Markt bezogene Kriterien wie Marktgröße, Marktwachstum sowie Einzigartigkeit und Marktakzeptanz des Produkts (Unique Selling Proposition), zum zweiten die Beurteilung der einzelnen, möglicherweise einen Vorteil begründenden Wertschöpfungsaktivitäten (z.B. eine neue Produktionstechnologie) und auch die Beurteilung der Wertschöpfungskonfiguration insgesamt (z.B. die Frage, was zugekauft wird und was nicht), sowie zum dritten die Analyse der Ertragsmechanik des Unternehmens. Dabei ist besonders auf die Haltbarkeit des Wettbewerbsvorteils zu achten, bei Technologie orientierten Unternehmen also z.B. auf das Vorhandensein von Patenten oder anderen Schutzrechten. Zu den anderen Gruppen gehören die Charakteristika des Managementteams (Management) hinsichtlich Kompetenzen, Track Record sowie Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Fragen der Industrie und Wettbewerbsintensität, finanzielle Kriterien wie Rendite und Risiko sowie die generellen Anforderungen und Kriterien des Fonds. Eine wichtige Grundlage stellt darüber hinaus der Business Plan selbst dar. Als Voraussetzung für ein Investment wird regelmäßig auch ein qualitativ hochwertiger und formal richtiger Business Plan angesehen. Der Business Plan ist aber hauptsächlich eine Grundlage, um zu einer Einschätzung hinsichtlich der oben aufgeführten Kriterien im Verlauf der Investment-Phasen zu kommen.
3. Rangordnung: Eine besondere Bedeutung wird i.d.R. der Einschätzung der Fähigkeiten und persönlichen Merkmale des Entrepreneurs bzw. des Start-up-Managements eingeräumt. Eine eindeutige Rangordnung all dieser Kriterien fehlt jedoch bisher, weil die Wichtigkeit in der Entscheidung mit der jeweils eingenommenen Perspektive und der betrachteten Investment-Phase schwankt. So scheinen vorab durch Venture Capital-Gesellschaften (VCG) zur Beurteilung eines Ventures vor allem die Charakteristika und Fähigkeiten des Start-up-Managements und in zweiter Linie dann Marktgröße und -wachstum sowie die finanzielle Seite mit der erwarteten Rendite herangezogen zu werden. Aus einer Ex-post-Betrachtung heraus, die eher die Erfolgsfaktoren der Start-up-Unternehmen beleuchtet, scheinen dagegen neben der Qualität des Managementteams die Marktakzeptanz des Produkts und Schutzmöglichkeiten gegenüber dem Wettbewerb bedeutsamer zu sein. Noch ein anderes Bild ergibt sich bei einem Blick auf die Investment-Phasen. In der Screening-Phase dienen zunächst hauptsächlich Anforderungen der VCG an ein Investment wie Investitionsvolumen, Branche des Start-up-Unternehmens, Finanzierungsphase und auch geographische Lage, die sich aus der in der Satzung gegenüber den Investoren festgeschriebenen Investmentstrategie ergeben, als Ausschlusskriterien, die unbedingt erfüllt sein müssen. In der weiteren Evaluierung treten dann die anderen, auf die Qualität des Unternehmens gerichteten Kriterien in den Vordergrund. Sie folgen weniger einem Ausschluss- als einem kompensatorischen Prinzip.
4. Probleme: Probleme treten sowohl in der Bestimmung der relevanten Entscheidungskriterien als auch in deren Anwendung auf. Neben anderen methodischen Schwierigkeiten bei der Bestimmung der durch VCG verwendeten Kriterien bestehen z.B. Zweifel, ob VCG ihren eigenen Entscheidungsprozess bewusst durchdrungen haben. Venture Capitalists scheinen nur über eine unzureichende Genauigkeit in der Selbstbeobachtung ihrer verwendeten Entscheidungskriterien zu verfügen und tendenziell die am wenigsten wichtigen Kriterien bei der Begründung ihrer Entscheidung über zu betonen. Auf der anderen Seite gibt es Indikationen, dass sowohl unerfahrene als auch sehr erfahrene Venture Capitalists weniger zuverlässig und effektiv in ihren Entscheidungen sind als moderat erfahrene Venture Capitalists. Bei unerfahrenen Venture Capitalists mag ein Grund in der unzureichenden Strukturierung der Informationsflut liegen, sehr erfahrene Venture Capitalists scheinen sich dagegen verstärkt auf Automatismen und gewonnene Intuition zu verlassen, die zu Voreingenommenheit und fehlerhaften Einschätzungen führen.
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