Über Transparenz – Kolumne von Thomas Clark

Wie transparent darf ein Unternehmer sein? Diese Frage stellt sich bereits bei der Entwicklung einer Geschäftsidee. Erzähle ich anderen davon oder halte ich mich bedeckt, damit mir keiner die Idee klaut? Meine Einstellung […]

Wie transparent darf ein Unternehmer sein? Diese Frage stellt sich bereits bei der Entwicklung einer Geschäftsidee. Erzähle ich anderen davon oder halte ich mich bedeckt, damit mir keiner die Idee klaut? Meine Einstellung dazu ist eindeutig: Sprich mit möglichst vielen Leuten darüber. Das Feedback kann dir zeigen, ob du auf einem guten Weg bist oder nicht. Du wirst erkennen, wo die Herausforderungen warten (verstehen die Leute überhaupt, was du machen willst) und wo Begeisterung aufkommt. Die Sorge, dass jemand in rasendem Tempo mit trockenem Kalkül deine Idee kopiert und damit schneller auf den Markt kommt, halte ich für illusorisch. Um ein Idee erfolgreich umzusetzen, brauchst du in erster Linie Leidenschaft. Nur wer fest an eine Idee glaubt, wird die Kraft haben, sie erfolgreich umsetzen zu können – auch gegen Widerstände. Dieser emotionale Bezug entsteht so gut wie nie durch einen bloßen Ideenaustausch. Dazu bedarf es mehr.

Das heißt natürlich nicht, dass sich andere von Geschäftskonzepten nicht anstecken lassen können. Die Miteigentümer von deutsche-startups.de (gemeint sind die Samwer-Brüder; liebe Grüße, Marc) sind ein Paradebeispiel dafür, was man erreichen kann, wenn man Augen und Ohren offen hält in Bezug auf neue Ideen (in diesem Fall vor allem auf der anderen Seite des Atlantiks). Als wahre „Exekutionsmaschinen“ (und das meine ich mit Bewunderung) haben sie es verstanden, die Ideen von US-Start-ups für Deutschland zu kopieren und zu optimieren. Allerdings: Der Funke der Begeisterung ist auch hier erst über gesprungen, als bereits die umgesetzte Geschäftsidee zu sehen war. Also: Keine Sorge, lasst eure Gedanken zu einer Geschäftsidee ruhig auch andere wissen.

Bei der Gründerinitiative enable2start (www.enable2start.de) geht die Frage der Transparenz deutlich weiter: Die Sieger werden über ein Jahr lang von einem Redakteur begleitet. Das bringt Aufmerksamkeit, führt aber auch dazu, dass man sprichwörtlich „die Hosen runterlassen muss“, denn schließlich werden auch die Geschäftszahlen veröffentlicht.

Hubertus (Bessau) von mymuesli (www.mymuesli.com) kennt dieses Gefühl. Er gehört zu den Gewinnern der ersten Runde von enable2start (2007/08) – was dazu führte, dass jeder Interessierte nachlesen konnte, wie es bei den „Müsli-Jungs in Passau“ so läuft. Nun, es lief gut: Im Frühjahr 2007 ging Mymuesli an den Start, Ende 2008 lagen über 500.000 Euro auf dem Geschäftskonto. Trotzdem sind Hubertus und seine Gründerkollegen Max und Phillip in dieser Anfangszeit geschäftlich „konservativ“ geblieben. Sie haben sich kein Gehalt ausgezahlt.

Ich habe vor ein paar Tagen mit Hubertus länger telefoniert und ihn gefragt, ob die Veröffentlichung der Zahlen negative Effekte hatte. „Nein, es gab keine explizit negative Auswirkung“, sagte er mir. Keiner seiner Mitarbeiter hatte deshalb mehr Gehalt verlangt, kein Geschäftspartner daraufhin die Preise für ihre Waren erhöht. Was es allerdings gab, so Hubertus, waren „die üblich blöden Sprüche, die man bei so etwas zu hören bekommt.“ Einige hätten gemeint, wow, das sei doch WAHNSINNIG viel. Andere, dass das eigentlich popelig sei, nicht vergleichbar mit WIRKLICH erfolgreichen Start-ups. Dumme Sprüche halt.
Solche Sprüche stören das Geschäft nicht. Hubertus und ich waren uns einig, dass wohl kein Kunde mehr oder weniger Müsli bestellt hat, nur weil er nachlesen konnte, wie viele Dosen im letzten Quartal für wie viel Geld verkauft wurden. (Für Red Bull zahlen Konsumenten bis heute sehr stolze Beträge für sehr kleine Dosen, obwohl Gründer Didi Mateschitz rennstreckensichtbar zeigt, wie viel Geld er damit verdient.)

Was jedoch bleibt, ist das Gefühl: Angenehm ist es nicht, die Hosen runter zu lassen. Oder, wie Hubertus es formulierte: „Auf Anhieb fallen mir nicht so viele positive Gründe ein, warum ich übermäßig transparent sein sollte.“ Aus diesem Grund haben er, Max und Phil kurz nach dem Ende der Berichterstattungszeit bei enable2start beschlossen, sich bei geschäftlichen Dingen wieder bedeckt zu halten. Sie hatten einfach keine Lust mehr mit anderen Leuten diskutieren zu müssen, was viel oder wenig ist. „Ich will nicht, dass mich beim Abendessen jemand fragt, ob ich mir das Glas Wein auch wirklich leisten kann, das ich eben bestellt habe. Oder, warum ich nur so einen billigen Wein bestelle, obwohl ich doch so viel Geld habe“, meint er.

Das ist natürlich überspitzt. Was jedoch stimmt: Transparenz führt oft zu Missverständnissen, gerade bei Geschäftszahlen. Jette Joop hatte mir einmal erzählt, dass ihre Mitarbeiter anfangs tiefen Einblick in die geschäftliche Entwicklung ihrer Jette GmbH hatten. Das hätte sie aber bald geändert, weil „viele damit einfach nicht umgehen konnten.“ Vielleicht kennt das auch der eine oder andere von euch: Ein Mitstreiter findet heraus, wie viel Umsatz euer Start-up gerade macht – und schon denkt er: „Das ist enorm, ich werde hier doch ausgenutzt.“ Gerade im E-Commerce kommt es immer wieder vor, dass sich Mitarbeiter von (Gerüchten über) Umsätze in Millionenhöhe blenden lassen. Dass dabei in der Regel gar nicht so viel hängen bleibt, entgeht diesen „Geblendeten“ meist.

All diese Missverständnisse sind nervig und stressig – und führen dazu, dass sich viele Unternehmer „nicht in die Karten schauen lassen.“ Diese Einstellung treibt jedoch mitunter merkwürdige Blüten. Ich hatte schon Gründer und Unternehmer, die empört reagierten, als ich sie fragte, wie hoch ihre Firmenanteile sind; so, als hätte ich ihre Intimsphäre betreten. Tatsächlich kann jeder Mensch im Handelsregister nachsehen, wenn er eine Antwort auf so eine Frage haben will (auch online unter www.handelsregister.de, für etwa 4,50 Euro pro Auskunft). Die Information ist öffentlich. Ebenso öffentlich sind die Gewinne einer GmbH, eine rasche Suche im elektronischen Bundesanzeiger (www.ebundesanzeiger.de) bringt die hinterlegten Bilanzen hervor. Das scheint allerdings wenig daran zu ändern, dass einige Unternehmer es als Affront betrachten, wenn man fragt, wie es geschäftlich zuletzt so läuft.

Am Ende ist das Thema wohl stark von unserer Mentalität geprägt. Dass sich Amerikaner leichter damit tun, über ihr Gehalt und ihre geschäftlichen Erfolge zu sprechen, ist bekannt. In skandinavischen Ländern kann sogar jeder nachsehen, was sein Nachbar zuletzt verdient hat, erzählte mir Hubertus. Es gäbe Dokumente, wo die Namen der Bewohner einer Gemeinde alphabetisch aufgelistet sind, jeweils mit der Zahl der zuletzt geleisteten Einkommenssteuer daneben. „Wie eine Art Telefonbuch“, meinte Hubertus lachend. Die Skandinavier haben damit offenbar kein Problem.

Ich glaube, dass es uns guttun würde, mit dem Thema Transparenz auch etwas lockerer umgehen zu lernen. Das heißt nun nicht, dass jeder Gründer ständig aktiv über Geschäftszahlen sprechen muss. Aber wer auf Nachfrage ein bisschen transparenter agiert, darf auch darauf hoffen, dass ihm gegenüber mehr Offenheit gezeigt wird – im positiven Sinne. Bei enable2start dient die Transparenz dazu, interessierten Lesern zu veranschaulichen, was es heißt, zu gründen. Dazu gehören viele Faktoren – der Umgang mit Mitarbeitern, das (meist mühsame) Angeln nach Kunden, der Aufbau von Infrastruktur. Die begleitenden Geschäftszahlen sind nur ein Orientierungsrahmen für diese Faktoren. Doch den zu haben ist wichtig, um zu sehen, wo ein Startup steht (Zumal ihr schnell erkennen werdet, dass es selbst bei wirklich tollen Geschäftsideen meist länger als gedacht dauert, bis erste Zahlenerfolge zu sehen sind – Mymuesli ist da wirklich eine GANZ große Ausnahme). Dass enable2start bei diesem Thema einzigartige Transparenz bietet, halte ich für eine notwendige Voraussetzung, um autoritativ zu informieren – und im Idealfall auch noch Unternehmergeist zu wecken. Ich finde, das ist eine schöne Mission.

Bleibt eine Frage: Wie sieht es mit mir aus in Bezug auf Transparenz? Schließlich bin ich auch Jungunternehmer (naja, ich bin 41) Also: Ich habe Ambo Media im April 2009 gegründet. Im Vorjahr machte mein kleine Agentur 515.000 Euro Umsatz und kam auf einen Gewinn von 112.000 Euro vor Steuern (76.000 Euro nach Steuern). Wenn ich mir diesen Gewinn ausschütte, muss ich dann noch einmal 25 Prozent Kapitalertragssteuer zahlen, womit wir bei 57.000 Euro wären.

Fühlt sich irgendwie komisch an, das zu publizieren. Allerdings: Man kann nicht Wein trinken und Wasser predigen. Und SO spannend oder aussagekräftig sind die Zahlen einer kleinen Agentur wohl auch nicht. Seht das Ganze also eher als eine Art „symbolische Veröffentlichung”.

Zur Person
Thomas Clark heißt irgendwie britisch, spricht irgendwie österreichisch und lebt in Hamburg. Er betreut die Gründerinitiative enable2start (www.enable2start.de), bei der sich Gründer derzeit bewerben können. Thomas ist Gründer und Geschäftsführer von Ambo Media, einer Agentur für die Entwicklung und Umsetzung von Kommunikationskonzepten aller Art – von Zeitschriften über Websites bis zu Social-Media-Applikationen. Der gebürtige Wiener war zuvor Redakteur, Korrespondent und Leiter Unternehmensentwicklung der Financial Times Deutschland.

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Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.