Von Alexander
Montag, 28. März 2011

Chancen für Start-ups: Wer knackt den deutschen Social-TV-Markt?

Das Geschäft mit interaktivem Fernsehen – kurz iTV – ist ein typischer Godot-Markt. So fiebern Dienste-Anbieter nun schon seit Jahren dem Durchbruch des iTV-Markts entgegen – und werden traditionell doch immer wieder enttäuscht. Wie eben die Darsteller in Samuel Becketts Theater-Klassiker „Warten auf Godot“, der auch niemals auftaucht. Jetzt aber könnte in den festgefahrenen iTV-Markt in Deutschland endlich wieder etwas Bewegung kommen. Wenn auch über Umwege.

„Langsam aber sicher wachsen Internet und Fernsehen zusammen“, analysiert stellvertretend Video-Experte Bertram Gugel in seinem Weblog Digitaler Film. „So legen die Entwicklungen der letzten Monate nahe, dass wir dieses Jahr einen deutlichen Schritt nach vorne machen, wenn es darum geht, Internet und Fernsehen zu verzahnen.“ Woran aber klassische iTV-Dienstleister eigentlich zur Zeit am wenigsten beteiligt sind. Denn kurioserweise findet interaktives Fernsehen derzeit zunehmend abseits von TV-Geräten statt. Was den ewigen Godot-Markt aber jetzt entscheidend pushen könnte.

Kampf dem Teufelskreis: Warum der iTV-Markt endlich kommt

In der Vergangenheit jedenfalls hatten iTV-Dienste immer mit einem klassischen Henne-Ei-Problem zu kämpfen. Denn damit Nutzer parallel zum linearen Fernsehprogramm interaktive Zusatzdienste in Anspruch nehmen konnten, mussten sie immer erst einmal in zusätzliche Hardware investieren: zum Beispiel in internetfähige Settop-Boxen. Nur auf diese Weise wurde das lineare TV-Programm rückkanalfähig, so dass Verbraucher in das Gesehen eingreifen konnten. Das Problem aber war: Da nur wenige Haushalte über spezielle iTV-Hardware verfügten, wurden kaum interaktive Services angeboten. Dadurch aber blieben viele iTV-Dienste letztlich uninteressant. Ein Teufelskreis also.

Das Beispiel Betty TV jedenfalls verdeutlicht, wie schwer es iTV-Anbieter wohl auch in Zukunft mit proprietären Systemen haben werden. Bei dem 2007 in Deutschland gestarteten iTV-Dienst konnten Nutzer über eine „interaktive Fernsehbedienung“ parallel zum TV-Programm zum Beispiel Quiz-Fragen beantworten oder an Umfragen teilnehmen. Damit das funktionierte, musste man ein Set mit Funk-Adapter und -Modem kaufen (Preis: ca. 40 Euro). Der Adapter wurde über die Scart-Buchse an das TV-Gerät angeschlossen, das Funk-Modem an die Telefonbuchse geklemmt. Sobald dann etwa ein Voting möglich war, wurden diesen Informationen über den Adapter ausgelesen und ein kurzer Hinweis auf dem Display der Fernbedienung erschien. Nutzer konnten dann über die Tasten der Fernbedienung voten, das Funkmodem diente dabei als Rückkanal (siehe Videoclip).

Der einst mit großen Erwartungen gestartete Dienst wurde allerdings bereits wenige Monate später wieder eingestellt, gerade einmal 120.000 deutsche Haushalte hatten sich für Betty TV entschieden. Dennoch voten heute – also vier Jahre nach dem Betty-Aus – immer mehr Fernsehzuschauer bei TV-Shows mit. Kein Wunder. Denn im Gegensatz zu früher ist nun erstmals keine spezielle iTV-Hardware mehr nötig, um bei Quiz-Shows mitzuraten oder abzustimmen: Smartphones sei Dank.

Bereits im Jahr 2008 zeigte eine Studie des Vermarkter-Verbands European Interactive Advertising Association (EIAA): Immer mehr Verbraucher nutzen Internet und TV parallel. Ein Trend, der jetzt noch mehr an Bedeutung gewinnt. Denn vor drei Jahren mussten Verbraucher beim Surfen auf dem Sofa noch unhandliche Notebooks nutzen. Jetzt aber sind immer mehr WLAN-fähige Smartphones und Tablet-PCs in Umlauf, die den Trend zur parallelen Mediennutzung noch zusätzlich befeuern.

iTV-Markt 2011: Das Smartphone wird Programmbegleiter

Nach einer Schätzung des BITKOM beispielsweise werden 2011 über zehn Millionen Smartphones in Deutschland verkauft, was einem Plus von 39 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Und damals gingen auch schon 7,2 Millionen der mobilen Alleskönner über die Ladentheken. Auch bei Tablet-PCs erwartet der BITKOM einen wahren Boom, wenn auch noch auf deutlich niedrigerem Niveau. So rechnet der Hightech-Verband in diesem Jahr mit 1,5 Millionen verkauften Tablet-PCs.

Mit Smartphones und Tablet-PCs werden sich in den kommenden Jahren immer mehr Endgeräte verbreiten, die sich ideal als Plattform für iTV-Dienste eignen. So zeigen erste Nutzerstudien schon heute, dass Smartphones und Tablet-PCs bevorzugt genutzt werden, um zuhause gemütlich auf dem Sofa im Wohnzimmer zu surfen – also genau dort, wo traditionell auch der Fernseher in deutschen Haushalten steht. Vor diesem Hintergrund ist es also kein Wunder, dass derzeit immer mehr Start-ups das TV-Programm mit interaktiven Smartphone-Diensten verzahnen. Aktuell jedenfalls steht allein im Apple Appstore über ein halbes Dutzend Anwendungen zum Download bereit, mit welchen Nutzer das gewohnte Fernsehprogramm zu einem interaktiven TV-Spektakel aufpeppen können.

Die zur Zeit wohl ausgereifteste Anwendung bietet US-Startup Yap.tv (www.yap.tv). Wer die gleichnamige App auf sein iPhone lädt, kann anschließend das aktuelle Fernsehprogramm kommentieren und mit Freunden über Sendungen diskutieren. Damit die App nicht zum geschlossenen System verkommt, ist ein Twitter-Feed integriert. Dort werden immer aktuelle Tweets angezeigt, deren Hashtag zu einer gerade ausgewählten Sendung passt („American Idol“). Auf diese Weise erfahren Yap-Nutzer auch bequem, wie außerhalb der App über eine Sendung diskutiert wird. Wer in der App auf einen Tweet antwortet, liefert dagegen automatisch den Hashtag „yapTV“ mit. So schafft das US-Startup zusätzlich Awareness und gewinnt im Idealfall kostengünstig weitere Nutzer für seine TV-App.

Das Beispiel Yap.tv verdeutlicht allerdings auch, dass Social-TV-Anwendungen alles andere als ein Selbstläufer sind. So surfen zwar immer mehr Nutzer beim Fernsehen parallel auf Smartphone oder Tablet-PC im Internet. Um sich zeitnah über aktuelle Sendungen auszutauschen, ist aber keine extra Anwendung nötig. Schließlich nutzen viele Couch-Surfer einfach direkt bewährte Online-Angebote wie Facebook oder Twitter, um mit Freunden zu quatschen. Wer daher im Social-TV-Markt bei Nutzern punkten will, muss handfeste Mehrwerte bieten. Yap.tv versucht das beispielsweise, indem Nutzer jederzeit interaktive Votings starten können („Soll der Kandidat die Casting-Show gewinnen?“), die mit interaktiven Charts bebildert werden. Wer will, kann zudem einzelne Freunde in einen „Living Room“ einladen. In diesem privaten Chatroom lässt es sich etwa über Sendungen lästern, ohne dass die Allgemeinheit etwas davon erfährt: was so bei Twitter nicht möglich ist.

Einen etwas anderen Ansatz als Yap.tv verfolgt dagegen die deutsche Applab GmbH mit Sitz im bayerischen Kulmbach, die mit dem Dienst Waydoo (www.waydoo.de) eine der ersten deutschen Social-TV-Apps anbietet. Auch hier können Nutzer mit Freunden über das aktuelle TV-Programm diskutieren, insgesamt geht die Anwendung aber in Richtung einer interaktiven TV-Zeitschrift. Wer daher einen James-Bond-Film schaut, kann mit einem Fingertipp zusätzliche Informationen von Drittquellen wie Wikipedia, BildMobil oder der Film-Datenbank Internet Movie Database (IMDB) aufrufen. Das funktioniert zwar nur, wenn sich bei Drittanbietern auch Einträge finden, deren Titel exakt zu Waydoo-Beschreibungen passen. Doch wer gemütlich auf dem Sofa surfen will, erhält im besten Fall alle wichtigen Infos zu einem Film aus einer Hand: ohne noch den Umweg über eine Google-Suche nehmen zu müssen. Auch das kann ein relevanter Mehrwert sein. Schließlich gibt es Schöneres, als im Liegen auf virtuellen Touchscreen-Tastaturen einzelne Keywords einzutippen.

Doch so spannend die einzelnen Ansätze der Social-TV-Anbieter auch sein mögen: Die Killer-App für das interaktive Fernsehvergnügen haben Start-ups bislang noch nicht gefunden. Dieser Eindruck drängt sich nicht zuletzt deshalb auf, da vielen Apps noch ein viel versprechendes Business-Modell fehlt. So sind Social-TV-Anwendungen in der Regel kostenlos, obwohl Nutzer für gelungene Apps bestimmt bezahlen würden. Vorausgesetzt, dass Angebot und Mehrwert stimmen. Denn der Trend zur parallelen Mediennutzung wird sich nicht mehr umkehren. „Interaktives Fernsehen findet nicht auf dem Fernseher statt, sondern auf einem zusätzlichen Screen“, weiß Video-Experte Gugel. Beste Voraussetzungen für Start-ups also. Denn das Ende des ewigen Godot-Markts ist greifbar nah.

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