“Zielgruppe sind Querdenker und Menschen, die offen für Neues sind” – Stefan Probst vom Startup Weekend Nürnberg im Interview

Vom 18. bis 20. September findet das Startup Weekend Nürnberg statt. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Initiator Stefan Probst über Sandkästen, Augmented Reality und veränderte Rahmenbedingungen.

Zweimal stieg das Startup Weekend in Hamburg. Jetzt findet die dritte Auflage in Nürnberg statt. Warum ausgerechnet Nürnberg?
Als ich kurz nach dem zweiten Startup Weekend in Hamburg von dem Konzept erfahren hatte war ich sofort davon begeistert. Die erste Überlegung damals war dann: “Kann so ein Event auch in Nürnberg funktionieren?” Nach einigen Gesprächen war klar, dass die regionale Szene hier zwar nicht mit Hamburg oder Berlin vergleichbar ist, das Interesse aber sofort bei vielen geweckt war. In unserem Grossraum organisieren wir regelmässig Open-Coffee-Club- und Webmontag-Treffen, die zwischen Fürth, Nürnberg, Erlangen und Bamberg wechseln. Diese kann man als eine Art Vorstufe zum Startup Weekend sehen. Ausserdem hat die Open Source Business Foundation vor zwei Jahren bereits das erste Barcamp in Nürnberg ausgerichtet. Inzwischen beteiligen sich fast 30 Organisatoren aktiv an den Vorbereitungen für das Startup Weekend Nürnberg und freuen sich auf ein faszinierendes Wochenende in unserer Metropolregion.

Ursprünglich wurde das Startup Weekend von Cem Basman und einigen Mitstreitern ins Leben gerufen. Die sind nun aber nicht mehr an Bord, oder?
Cem hatte das Startup Weekend in Hamburg zusammen mit Jason organisiert und unterstützt uns seit dem Beginn der Planungen für das Startup Weekend Nürnberg. Er wird voraussichtlich auch in Nürnberg dabei sein, aber nur “inkognito” am Rande -sozusagen als “special guest”. Darauf freuen wir uns natürlich ganz besonders!

Welche Erfahrungen aus den bisherigen Veranstaltungen konnten Sie in die Planung für die dritte Auflage einfließen lassen?
Wir haben zu Beginn eine Umfrage unter den Teilnehmern der beiden Hamburger Events gemacht, mit einigen davon gesprochen und haben auch im Kreis der Organisatoren mehrere Teilnehmer aus Hamburg. Wir wollten von Anfang an darauf achten, an welchen Punkten das Konzept noch verbessert werden kann. Daraus haben sich vor allem Änderungen bei der Vorstellung der Ideen, der Anzahl der möglichen Neugründungen sowie der Rechtsform und Satzung für die neuen Unternehmen ergeben.

Welche?
Das Ideen-Pitching möchten wir diesmal in zwei Runden durchführen mit ausreichend Zeit zwischen beiden Runden, um zu den Ideen diskutieren, recherchieren und sich austauschen zu können. In der zweiten Präsentation wird die Idee dann nicht mehr vom ursprünglichen Ideengeber, sondern jemand anderem vorgestellt, um die Idee und nicht die Person in den Vordergrund zu bringen. Ebenfalls auf das Feedback von Hamburg hin kann es diesmal am Sonntag Abend auch mehr als eine Gründung geben, falls sich entsprechend starke Konzepte und Gründerteams dazu finden. Damit gerät niemand mit seiner Idee auf die “Verliererseite” und die Gründergruppen werden kleiner. Für die Rechtsform der neuen Unternehmen gehen wir von der britischen Limited weg, da diese zwar günstig und schnell eingerichtet ist, aber im folgenden eine ganze Reihe von Nachteilen gegenüber deutschen Rechtsformen aufweist. Wir planen eine Kommanditgesellschaft mit einer haftungsbeschränkten UG als Komplementär, die über Mehrheitenentscheidungen gesteuert werden kann. Für die Zeit nach dem Wochenende wollen wir einen Modus anregen, in dem aktive Gesellschafter weitere Anteile hinzugewinnen können und die Anteile von inaktiven Gesellschaftern nach einiger Zeit verfallen, so dass am Ende eine Gruppe aktiver Anteilseigner stehen sollte. Die konkrete Ausgestaltung müssen die Teilnehmer jedoch selbst finden, wir werden dazu keinerlei Vorgaben machen.

Bei Startup Weekend geht es darum, in 48 Stunden ein Unternehmen zu gründen. Was macht den Reiz einer solchen Schnellgründung aus?
Im Gegensatz zu den klassischen Formen wie Businessplan-Wettbewerben oder Gründungsplanspielen, die sich meist über Wochen und Monate erstrecken, ist das Konzept des Startup Weekends extrem kompakt. Durch die neuen Möglichkeiten der netzweiten Zusammenarbeit, offenen Open-Source-Komponenten und modularen Business-Bausteinen ist es beeindruckend, welche Ergebnisse in dieser extrem kurzer Zeit realisiert werden können. Für viele Teilnehmer wird es ein Crash-Kurs in Selbstorganisation, Gruppendynamik und Unternehmensgründung sein, eine in jedem Fall sehr intensive und leidenschaftliche Erfahrung. Gerade auch um ganz bewusst den normalen Alltag zu verlassen.

Was wird ihre Rolle in den 48 Stunden sein?
Dafür zu sorgen, dass die Teilnehmer alles vorfinden, was sie brauchen um entspannt, kreativ und effektiv arbeiten zu können. Wir stellen den Rahmen, damit das Event reibungslos ablaufen kann. Dazu gehört die Technik mit einer 100 Mbit Internetanbindung und flächendeckendem robusten WLAN, ausreichend Räumlichkeiten und Arbeitsmaterialien und natürlich nicht zuletzt unkomplizierter Verpflegung direkt vor Ort. Inhaltlich werden sich die Teilnehmer im wesentlichen selbst organisieren. Bei der Ideenfindung helfen wir noch aktiv mit, den Prozess zu strukturieren, aber spätestens ab Samstag Mittag bestimmen die Teilnehmer ihr Vorgehen ganz allein. Das Orga-Team wird dabei das ganze Wochenende über mit weiteren Experten auf Nachfrage unterstützend bereit stehen.

Wer ist die Zielgruppe des Startup Weekends?
Alle Querdenker, Daniel Düsentriebs und vor allem Menschen, die offen für Neues sind, die bereit sind, sich auf neue Erfahrungen einzulassen, die lernbereit und wissbegierig sind. Das Startup Weekend ist auch ein Sandkasten, um neue Konzepte auszuprobieren, Ideen auf die Probe zu stellen oder um sich einfach nur mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Es sind alle herzlich eingeladen, die sich mit dem Thema Unternehmensgründung beschäftigen wollen, egal ob sie am Ende mitgründen möchten oder nur die Erfahrungen und Kontakte aus dem Wochenende mit nach Hause nehmen.

Haben Sie eine Vermutung, welche Ideen und Geschäftsmodelle beim diesjährigen Startup Weekend eine Rolle spielen werden?
Es gibt keinerlei Vorgaben zu den Geschäftsideen. Trotzdem ist es natürlich eher unwahrscheinlich, dass ein neues Pharma-Unternehmen entstehen wird. Stattdessen bietet es sich sicher an, für die Infrastruktur und Webpräsenz des Unternehmens auf Open-Source-Komponenten zu setzen und die wesentlichen Geschäftsprozesse mit IT-Technologie zu gestalten. Über das Portal zum Startup Weekend Nürnberg bieten wie die Möglichkeit schon im Vorfeld Geschäftsideen im Forum zu präsentieren, zu hinterfragen und zu diskutieren.

Was finden Sie momentan besonders spannend?
Mein Favorit ist Augmented Reality, das reale Umgebungen mit künstlichen Welten und zusätzlichen Informationen verschmilzt. Kombiniert mit GPS Orts- oder Bewegungsinformationen lassen sich daraus völlig neue und faszinierende Anwendungen erstellen. Sowohl die Endgeräte als auch die Technologien sind größtenteils bereits vorhanden, es fehlt an vielen Stellen einfach nur noch ein “just do it”.

Von den bisherigen Startup-Weekend-Gründungen edelbild.de und indawo hat man nach dem Wochenende nicht mehr viel gehört. Wie wollen Sie dies bei der dritten Auflage verhindern?
Die grösste Herausforderung besteht darin, dass jeder Teilnehmer nach dem Wochenende wieder in seinen Alltag zurückkehrt und viel von der Energie und dem Enthusiasmus des Wochenendes dann verflogen ist. Einige werden die Möglichkeit und den Willen haben, sich weiterhin aktiv einzubringen, während andere keine Zeit mehr dafür finden. Die fehlende räumliche Nähe für einen fortlaufenden persönlichen Kontakt kommt erschwerend hinzu. An den meisten dieser Rahmenbedingungen können wir nichts ändern, aber wir können die Teilnehmer auf die Erfahrungen aus anderen Startup Weekend Ausgründungen aufmerksam machen. Dazu werden wir Modelle anregen, welche die problematischen Punkte gezielt adressieren und zu verbessern versuchen. So sollte sich das neue Unternehmen mithilfe von einfachen Mehrheiten steuern lassen, die z.B. flexibel per email getroffen werden können. Die Geschäftsführung sollte möglichst in der Hand einer überschaubaren Gruppe von erfahrenen Unternehmern liegen. Bei aller Experimentierfreude am Wochenende darf man nicht aus den Augen verlieren, dass hier ein reales Unternehmen gegründet wird – mit allen damit verbundenen Pflichten und Verantwortungen.

Wird in Deutschland zu wenig gegründet?
Wir stehen gerade mitten im Beginn eines radikalen Umbruchs, der unser bisheriges Marktwirtschaftssystem in vielen Punkten in Frage stellt und gleichzeitig völlig neue Möglichkeiten hervorbringt. Dramatisch gefallene Transaktionskosten ermöglichen Geschäftsmodelle, die in Vergangenheit schlicht undenkbar waren. Das Internet in Kombination mit Open-Source-Software und dem Social- oder dem kommenden Semantic-Web erlaubt es, von mittlerweile fast jedem Ort der Welt aus mit geringem finanziellen Aufwand erfolgreich ein neues Business auf den Weg zu bringen. Und das weitgehend unabhängig von der Herkunft, der Sprache oder der Kultur. Die Grenzen zwischen dem klassischen Unternehmen, Mitarbeitern, Kunden und der Umwelt sind zunehmend fließend und es werden diejenigen als Gewinner daraus hervorgehen, die die neuen Prinzipien am geschicktesten nutzen werden. Innovative Konzepte wie das Startup Weekend helfen dabei diese Chancen aufzuzeigen und in diesem Umfeld zu experimentieren. Für diese Formate brauchen wir in Deutschland noch viel mehr Unterstützung, um die Weichen für die Zukunft zu stellen und aktiv neue Alternativen zum bisherigen Wirtschaftssystem voranzubringen.

Haben Sie eigentlich schon selbst ein Unternehmen gegründet?
Meine erste Gründung liegt schon 20 Jahre zurück, wir haben damals das “Linux Valley Franken” massgeblich geprägt und mit aufgebaut. Das Faszination, Unternehmer zu sein ist dabei bis heute geblieben. Ich ziehe nach wie vor sehr viel Energie daraus, Gründer und junge Unternehmen mit meinen eigenen Erfahrungen zu unterstützen und zu begleiten.

Zur Person
Stefan Probst, Jahrgang 1967, studierte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg Informatik. Sein erstes Unternehmen gründet er 1990, ab 1993 begründet er die deutsche LST Linux Distribution und gestaltet so das “Linux Valley Franken” mit. Als Entwicklungsleiter und Managing Director sammelt er im Open Source Bereich bei LST, Caldera, SCO, SUSE und Novell internationale Erfahrungen. Seit 2008 berät er mit Entresol Unternehmen und Start-ups bei ihrer Open-Source-Strategie und vermittelt die Prinzipien und Regeln der Open-Source-Kultur. Als Vorstandsmitglied der Open Source Business Foundation unterstützt er Unternehmen dabei, die richtige Brücke zwischen Business und Open Source zu finden. An der Lake Constance Business School erwirbt er derzeit den MBA.