“Viral Marketing”, wie funktioniert das eigentlich? – Gastbeitrag von Martin Oetting, Teil 1
Im Marketing für Web-Startups hat sich zwischen den Boomjahren der New Economy und den aktuellen Entwicklungen im Web 2.0 Entscheidendes getan. Die meisten Macher der New Economy hatten zunächst keine nennenswerten Nutzerzahlen auf ihren Plattformen. Außerdem verstanden sie die Gewohnheiten und Erwartungen der wenigen Nutzer kaum. Eine Folge: das Marketing lag oft ziemlich daneben. Man wollte damals mit den Methoden der klassischen Werbung Marken aufbauen – wie bei Waschmitteln. Das kostete Unsummen, die in keinem Verhältnis zu den zu erzielenden Erlösen standen, und zudem brachte es häufig viel weniger Nutzer als man sich erhofft hatte.
Heute ist das anders. Heute haben die jungen Web-Unternehmer verstanden, dass sich digitale Produkte im Netz von allein ausbreiten können und dass das Marketing durch die Zielgruppen selbst geschehen muss, wenn man wenigstens ansatzweise effizient zu seinen Nutzern kommen will. Und dass man nicht im stillen Kämmerlein seine Plattform bastelt, dann ins Netz startet und das Nutzerproblem erst danach mit dem Buchen von Werbung löst…
Ahnungslosigkeit auf allen Seiten
Oder… Haben Sie wirklich? Vielleicht doch nicht alle? Jochen Krisch, Beobachter der deutschen Web-Szene, beklagte sich neulich: “Die einen bauen auf Google AdSense. Die anderen suchen ihr Heil in viralen Filmchen. Da gilt es noch eine Menge Aufklärungsarbeit zu leisten.” Und in der Fast Company war zu lesen, dass das wirklich effiziente Web-StartUp-Marketing eine Art großes Geheimnis sei, das nur wenige kennen: “Das Geheimnis nennt sich \’Viral Expansion Loop\’, ein Konzept, das außerhalb des Silicon Valley kaum bekannt ist.” (Der Autor des Artikels liegt an dieser Stelle allerdings völlig falsch, denn was er euphorisch Viral Expansion Loop nennt, ist zum Teil bereits seit Jahrzehnten unter dem Begriff Netzwerkeffekte oder Netzwerkexternalitäten bekannt, oder aber spätestens seit den wichtigsten Erfolgsgeschichten der New Economy.)
Es scheint also noch immer diese Vorstellung zu geben – dass man zuerst seine geniale Seite entwickelt und sich erst im nächsten Schritt um das Marketing zu kümmern braucht. Das aber funktioniert so in den meisten Fällen nicht, und auch lustige Viralfilme helfen bei der ganzen Sache am allerwenigsten. Aber glücklicherweise gibt es andere, bessere Wege.
“Viral Marketing” – was ist das eigentlich?
Viral Marketing ist der gezielte Versuch, ein Angebot so am Markt zu platzieren, dass es sich von selbst in der Bevölkerung ausbreitet, bei seiner Nutzergewinnung also möglichst intensiv von Mundpropaganda-Effekten profitiert. Der Versuch, virale Werbefilme zu verbreiten, ist übrigens nicht das Selbe. Denn wie oben erwähnt, muss sich das Angebot selbst ausbreiten. Bei den viralen Filmen breitet sich aber nicht die beworbene Webplattform aus, sondern nur der Film. Und ob das neue Nutzer bringt, steht meistens in den Sternen.
Mit viralen Filmen kann arbeiten, wer ohnehin Werbung produziert, beispielweise für physische Produkte. Diese können sich nicht von selbst im Web verbreiten. Da muss es also die Werbung tun, oder die Mundpropaganda zum jeweiligen Produkt. Wenn ich aber ein digitales Produkt habe – das also bestens in der Lage ist, sich im Web auszubreiten – dann sollte ich keine Zeit damit vergeuden, lustige Filmchen zu machen, sondern alle Energie vielmehr darauf konzentrieren, dass mein Produkt im Netz seine Nutzer ansteckt.
Zwei Wege für erfolgreiche Produkplatzierung
Um das hinzubekommen, gibt es letztlich nur zwei Wege. Und am besten ist dran, wer beide geht. Der eine Weg ist, die Mundpropaganda bereits direkt in sein Produkt hineinzukonstruieren. Wer das kann, der hat eine traumhafte Ausgangslage für die Ausbreitung seiner Plattform. Der zweite Weg besteht in der Arbeit mit Meinungsführern und wichtigen Empfehlern. Ich nenne diese beiden Ansätze auch “ansteckende Produkte” und “ansteckende Beziehungspflege”.
Ansteckende Produkte sind sozusagen der Gipfel der Evolution im Web-Marketing. Sie basieren meistens auf einem der beiden folgenden Grundszenarien. Im besten Fall bewerben die Nutzer der Plattform diese ganz automatisch und letztlich fast schon ungewollt – allein durch die Verwendung. Das klassische Beispiel hierfür ist die Online-Grußkarten-Plattform. Der Klick auf den Link bringt die Person nicht nur dazu, die Grußkarte anzusehen, sondern erfährt auf diesem Wege auch, dass es die Seite mit den Online-Grußkarten gibt, und denkt sich vielleicht: “Mensch, nette Sache, verwende ich nächstes Mal auch.” Und so geht es weiter – die Plattform verbreitet sich von ganz allein. Eine sehr viel jüngere Seite, die dank dieser Mechanik zu ihren Nutzern kommt, ist die Terminabstimmungsseite doodle.ch. Mit wenigen Klicks kann dort eine Terminauswahl organisiert und potenziellen Teilnehmer dazu eingeladen werden. Klick auf den Link und … “Mensch, nette Sache, verwende ich nächstes Mal auch.”
Die zweite Möglichkeit, ein ansteckendes Produkt zu bauen: der Nutzer bewirbt die Plattform zwar nicht automatisch durch die Nutzung, er oder sie hat aber einen direkten Vorteil davon, wenn Freunde und Bekannte die Plattform ebenfalls für sich entdecken. Sites wie StudiVZ, Facebook und auch Twitter haben von solchen Effekten profitiert. Wenn man sich erst einmal bei einem solchen Network registriert hat, macht es anschließend natürlich deutlich mehr Spaß, wenn man mit möglichst vielen Leuten, die man kennt, darüber kommunizieren kann. Allgemein kommt dieser Effekt immer dann zum Tragen, wenn es sich um Kommunikationsangebote dreht – Telefon und Faxgerät wurden dadurch groß, ICQ oder auch Skype.
Beide Ansätze zielgerichtet anwenden
Das sind also die beiden grundsätzlichen Ansätze – entweder die Plattform wird schlicht dadurch bekannt, dass Leute sie verwenden. Oder aber sie wird bekannt, weil es den Nutzern selbst etwas bringt, andere zur Plattform einzuladen. Nicht jede Plattform kann allerdings die oben genannten Ansätze für sich nutzen. Gerade E-Commerce-Shops werden für den einzelnen Nutzer nicht unbedingt besser, wenn mehr Leute sie verwenden. Und sie fallen auch nicht dabei auf, wenn bei ihnen eingekauft wird. (Weil das so ist, sind die röhrenförmigen und auffällig bedruckten Müsli-Verpackungen von MyMuesli sicher ein interessantes Vehikel, um in Studenten-WGs etc. den Anbieter durch ein auffallendes Produkt bekannter zu machen.) In diesem Fall sollte man auf “den kleinen Bruder” für ansteckende Produkte ausweichen: Widgets.
Ein Widget ist letztlich nichts anderes als der Versuch, das eigene Angebot ansteckender zu machen. Man bietet bestehenden Kunden die Möglichkeit, einen Ausschnitt der Seite oder eine interessante Funktionalität in das eigene Blog oder Social-Network-Profil einzubauen. So kann – etwas weniger durchschlagend – das gelingen, was auch Online-Grußkartendiensten hilft: die eigene Nutzung der Seite wird direkt anderen gezeigt.
Aufgrund der Länge des Beitrags und dem Umfang des Themas setzen wir den Artikel morgen zu gleicher Stelle und Uhrzeit mit Teil 2 fort. Darin: Wie arbeite ich effizient mit Entscheidungsträgern und Mulitplikatoren zusammen.